Feindbild Moderne Kunst

In "Picasso und der Nationalsozialismus" beschreibt Michael Carlo Klepsch Picassos Politisierung im Widerstand gegen den Faschismus

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf dem Höhepunkt seiner Macht machte sich der Diktator auf zu einer seltsamen Fahrt. Im düsteren Morgengrauen bestieg er mit seiner Entourage die schweren Mercedes-Limousinen. Einen Traum, so vertraute er einem Getreuen an, wolle er sich erfüllen: alleine durch Paris, umgeben nur von seinen liebsten Künstlern. Und so stiegen am 28. Juni 1940 die Architekten Albert Speer und Hermann Giesler sowie der Bildhauer Arno Breker mit Adolf Hitler ins Auto zur Fahrt durch die menschleere Stadt. Die Fahrt endete am Montmartre vor Sacré-Coeur. Unweit der Kirche steht das Bateau-Lavoir genannte Haus, in dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts Picasso lebte und arbeitete.

Die Moderne Kunst war den Nazis verhasst. In seinem Buch "Picasso und der Nationalsozialismus" beschreibt Michael Carlo Klepsch den "Bildersturm", mit dem die Nazis die Moderne aus den deutschen Museen und Sammlungen verbannt hatten. Zum Programm wurde das Kunstverständnis des verhinderten Künstlers, des "Anstreichers". Klepsch zitiert ausgiebig aus Hitler Rede zur Eröffnung des "Hauses der Deutschen Kunst" am 18. Juli 1937 in München. Zum Anlass der Eröffnung wurde dort die "Große Deutsche Kunstausstellung" gezeigt und Hitler selbst hatte sich die Entscheidung über die Auswahl der dort gezeigten Künstler vorbehalten. Picasso war nicht darunter. Ihn konnte man aber einige hundert Meter weiter in der Ausstellung "Entartete Kunst" sehen: 650 Kunstwerke von 120 Künstlern aus den deutschen Museen waren hier versammelt. Die "Schandausstellung" vereinigte "die gesamte deutsche Moderne vom späten Corinth über die Brücke-Künstler, den Blauen Reiter, Dada und Bauhaus bis zur Neuen Sachlichkeit". Alle diese Werke, darunter auch Bilder Picassos, sollten als "krankhafte Ausgeburt des Wahnsinns oder als Schwindel eines jüdisch unterwanderten Kulturbolschewismus vorgeführt werden".

Klepsch stellt dem eskalierendem Kreuzzug der Nazis gegen die Moderne Kunst die jeweiligen Aktivitäten Picassos gegenüber. Nur wenige Tage vor den Ausstellungseröffnungen in München war am 12. Juli der spanische Pavillon zur Pariser Weltausstellung eröffnet worden. Im Zentrum dort stand ein Werk Picassos: "Guernica" (siehe literaturkritik.de 7/2007). Mit diesem Bild suchte Picasso die bewusste Konfrontation mit dem Faschismus. Der "Ästhetisierung der Politik" durch den Faschismus, so hatte Walter Benjamin gefordert, gelte es mit der "Politisierung der Kunst" zu begegnen. "Genaus dies", bilanziert Klepsch, "tat Picasso nun in den Jahren vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs."

Die offene Parteinahme Picassos gegen die faschistische Bewegung machte den Künstler zu einem Symbol des Widerstandes. Zugleich bedeutete sie eine akute Bedrohung des Künstlers, je näher die Deutschen herankamen. Als sie Frankreich überfielen, mehrten sich deshalb die sorgenvollen Aufforderungen an Picasso, das Land zu verlassen. Doch Picasso blieb. "Man muss seine Entscheidung," so meint Klepsch, "letztlich als einen grundsätzlichen, aus innerer Überzeugung gewählten Entschluss verstehen. So wie die meisten Personen seiner Umgebung für sich den Weg in den Widerstand wählten, entschloss sich auch Picasso, der Herausforderung nicht aus dem Weg zu gehen."

In Paris stand Picasso unter Beobachtung. Interessant ist, dass die Deutschen bei den französischen Sicherheitsbehörden bereits eine "Akte Picasso" vorfanden. Akribisch hatte man den jungen Künstler, seit seiner Ankunft in Paris zu Beginn des Jahrhunderts beobachtet und Belege für seine "staatsfeindliche" Einstellung gesammelt. Nun erhielt Picasso ein Ausstellungsverbot und er durfte das Stadtgebiet nicht mehr verlassen. "Damit befand sich Picasso faktisch in deutscher Hand." Doch blieb er zunächst verschont von weiteren Repressalien. Tatsächlich konnte er sogar Kontakt zur Widerstandsbewegung halten. "Es genügt zu sagen", zitiert Klepsch das Mitglied der Résistance Pierre Daix, "dass Picasso von allen Personen, die sich aktiv in der Résistance betätigt hatten, von seinen Ideen und seinem Mut als einer der Ihren betrachtet wurden."

Dennoch blieb die Bedrohung bestehen. Schließlich kommt es zu einer Gestapo-Aktion. Klepsch folgt in der Schilderung der geplanten Verhaftung Picassos der Darstellung, die Arno Breker nach dem Kriege von den Geschehnissen gab. Demnach habe dieser von der geplanten Verhaftung Kenntnis erhalten und sich daraufhin direkt bei Gestapochef Heinrich Müller für Picasso eingesetzt. Müller habe dann Befehl gegeben, alle Aktionen gegen Picasso zu stoppen. Das Eingreifen Brekers geschah, so Klepsch, "weder aus Sympathie für Picasso noch aus einem Gefühl der Kollegialität, einem in Not geratenen Künstler helfen zu können". Es begründete sich "ausschließlich aus dem Kalkül, damit zu dem gegebenen Zeitpunkt vom Dritten Reich Schaden abwenden zu wollen."

Klepschs Darstellung dieses brisanten Teils der Beziehung zwischen Picasso und den Nationalsozialisten kann letztlich auch nicht darlegen, welche Umstände dazu führten, dass die Nazis Picasso weitgehend unbehelligt ließen. Zu fragen ist auch, mit welchem Kalkül die Nazis Picassos Kontakte zur Résistance zuließen. Oder soll man davon ausgehen, dass sie davon nichts wussten? Das ist schwer vorstellbar.

Im Oktober 1944 trat Picasso der Kommunistischen Partei bei. Für Picasso war dieser Beitritt "die logische Folge meines ganzen Lebens. Denn, und darauf bin ich stolz, ich habe die Malerei nie als bloßen Zeitvertreib, als Zerstreuung betrachtet". Die Malerei so zitiert Klepsch Picasso weiter, "ist eine Waffe zum Angriff und zur Verteidigung gegen den Feind." Wie auch immer der Beitrag Picassos im Kampf gegen den Faschismus einzuschätzen ist, er ist ein Beleg für die politische Haltung des Künstlers. Klepschs Buch erzählt nach, wie sehr diese politische Haltung des Künstlers sich in erzwungener Opposition zum Faschismus entwickelte.


Titelbild

Michael Carlo Klepsch: Picasso und der Nationalsozialismus.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2007.
239 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783491350113

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