Sehnsuchtsmenschen auf der Suche nach Glück

Keto von Waberers Erzählungsband "Umarmungen"

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was ist Glück? Was macht glücklich? Meist ist die Antwort auf scheinbar einfache Grundbegriffe wie Wahrheit oder eben auch Glück alles andere als leicht. Dass eine mögliche Antwort eher von der Abwesenheit, zumindest der Brüchigkeit und dem nur augenblickhaften Aufscheinen von Glück auszugehen hat, zeigen die zwölf neuen Erzählungen von Keto von Waberer. Die ehemalige Architektin, Journalistin und Galeristin, die als freie Schriftstellerin in München vor wenigen Monaten ihren 65. Geburtstag feierte, gilt seit ihrem späten Debüt vor über zwei Jahrzehnten als Spezialistin für Liebesgeschichten.

Ihre "Umarmungs"-Heldinnen und Helden sind denn auch allesamt Liebes-Glück-Sucher, deren Einsamkeit und Scheitern Waberer empathisch nachzeichnet. Ohne ins Kitschig-Triviale abzugleiten, wenn sich in der banalsten, anscheinend noch so unscheinbaren Existenz für einen Augenblick jener Moment einstellt, der das Leben für immer verändert, beschreibt Waberer Sehnsuchtsmenschen, die trotz Leid und Misserfolg ihre Würde behaupten.

So wie Frau Meiser in der titelgebenden Erzählung "Umarmungen". Die schüchterne Witwe ist in ihren ebenso zurückhaltenden türkischen Untermieter Nazim verliebt. Erst am Ende kommt es zu Umarmungen, Gesten der Zärtlichkeit und unschuldigen Zeichen von Nähe, als Frau Meiser den todkranken Nazim in den Armen hält. Tragisch, dass er dabei den Namen einer anderen Frau murmelt.

Melancholisch endet auch die "Liebesgeschichte" von Annette in der Kurzgeschichte "Ein richtiger Mann". Da die Nachfragen der Kolleginnen nach ihrem Freund Florian immer drängender werden, kommandiert Annette den nur erfundenen Lover nicht nur in die USA ab, sondern lässt ihn in erfundenen Briefen, die sie den Kolleginnen in der Mittagspause vorliest, sich auch alsbald einer anderen zuwenden.

Traurig ist das Ende von "Stella", der Geschichte des betagten Albert, der den Tod seiner geliebten Luise nicht verwindet. Mehr Glück hat in "Alta Moda" die einsame und etwas verschrobene Schneiderin Raissa, deren ehemaliges Brautkleid eines glücklichen Tages einen Abnehmer findet und die den vermeintlichen Fluch, immer allein zu bleiben, endlich buchstäblich abschütteln kann: "Sie streckte die Hand nach ihm aus, Enno trat ein, schloss die Ladentür hinter sich und schüttelte lächelnd den Schnee aus seinen Haaren".

Keto von Waberer überzeugt über weite Strecken - vielleicht mit Ausnahme der etwas langatmigen Schlusserzählung - mit subtiler, unprätentiöser Meisterschaft, seelischen Prozessen leise und lebhaft zugleich nachzuspüren. Die "Umarmungen" zeugen von ihrem Geschick, psychologisches Einfühlungsvermögen kreativ in Szene zu setzen. Herausgekommen ist so ein leicht zu lesender und gleichwohl anregender Erzählband, der dazu einlädt, innezuhalten und über die individuelle Antwort auf die Frage nach dem Glück nachzudenken.


Titelbild

Keto von Waberer: Umarmungen. Erzählungen.
Berlin Verlag, Berlin 2007.
194 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783827007186

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