Wer ist genialer: Goethe oder Zidane?

Elisabeth Tworek und Michael Ott versuchen in "SportsGeist - Dichter in Bewegung" einen Spagat zwischen den Polen Sport und Intellekt

Von Stephan SonntagRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stephan Sonntag

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Buch mit einem im eleganten Anzug beim Fußballspielen abgelichteten Pier Paolo Pasolini auf der Vorderseite und dem Titel "SportsGeist - Dichter in Bewegung" ruft augenblicklich Gottfried Benn ins Gedächtnis. Weniger weil sich Benn einen Namen als Sportskanone gemacht hätte, sondern vielmehr aufgrund einer Frage, die da lautete: "Gibt es überhaupt ein gesundes Genie?" Die Antwort, illustriert anhand zahlloser Beispiele von Charles Baudelaire und Ludwig van Beethoven bis zu Paul Verlaine und Oscar Wilde, lautete eindeutig: "Genie ist Krankheit."

Noch weit vor Benn ist der Graphologe und Bergsteiger Heinrich Steinitzer in seiner Schrift "Sport und Kultur" der Frage nach dem bildenden Einfluss des Sports auf den menschlichen Geist nachgegangen. Er kam zu dem ebenfalls ernüchternden Schluss, dass "die Großen dieser Erde sportlicher Betätigung gleichgültig oder abgeneigt gegenüber stünden" und der Sport somit entweder nur "ohne Bedeutung für die Kultur sein kann" oder als " ein Symptom des Verfalls" betrachtet werden muss.

Diesen Auffassungen folgend, könnte das Buch der beiden Literaturwissenschaftler Elisabeth Tworek und Michael Ott gleich wieder ins Regal wandern und diese Rezension beendet werden. Doch die Lektüre lohnt sich, Sport und Geist dürfen auch mal, wie im Titel, zu einem Wort verschmelzen. Und die Beispielliste von Tworek und Ott ist zumindest auf den ersten Blick nicht weniger umfangreich, als die von Benn und reicht von "B" wie Bertolt Brecht bis "T" wie Ludwig Thoma und Friedrich Torberg.

Wer nun zu überlegen beginnt, ob ein "Körperklaus" wie Brecht seine Affinität zum Boxen tatsächlich im Geviert der Ringe ausgelebt hat, begibt sich schon auf die richtige Verständnisfährte. Ausgangspunkt des Buches sind zwar meist zufällig entstandene, private Fotografien, die Schriftstellerinnen und Schriftsteller bei sportlichen Betätigungen zeigen, doch es werden auch kurze Zitate und längere Textausschnitte in den Blick genommen, die die intellektuelle Auseinandersetzung der Autoren mit dem Sport dokumentieren.

Tworek und Ott wollen mit dieser Herangehensweise den von Benn und Steinitzer gefassten Interpretationsrahmen sprengen und den Blick öffnen. "Vielleicht ist es das Wichtigste der vorliegenden Sammlung aber, daß es 'den' Sport eben nicht gibt, so wenig wie 'den' literarischen Blick darauf oder 'das' intellektuelle Urteil darüber." Durch die "teilnehmende Beobachtung" der Literatur am Sport, soll sie "vieles in Erfahrung bringen und vieles erzählen, was er über sich selbst nicht weiß". Der Widerspruch zwischen dem dummen Sportler und dem ungelenken Intellektuellen - nur ein überkommenes Klischee?

Henry Miller war leidenschaftlicher Radfahrer und bekannte selbst, dass er so hart trainiere, "als ob ich an den Olympischen Spielen teilnehmen wollte". Friedrich Torberg errang die tschechische Meisterschaft im Wasserball 1928, Günter Herburger hat weltweit sämtliche bedeutende Marathonläufe absolviert und Erika Mann gewann 1931 eine 10.000-Kilometer-Rallye quer durch Europa. Im Kreise dieser über jeden Zweifel erhabenen sportlichen Betätigungen bewegen sich auch die leidenschaftlichen Fußballer Pier Paolo Pasolini, Albert Camus und Vladimir Nabokov. Ob nun aber Hermann Hesses Nacktkletterei, Thomas Manns gelegentliche Strandbäder und Robert Musils Ruder- und Segelunternehmungen, bei denen er etliche Male "beinahe ertrunken" wäre, tatsächlich schon sportliche Betätigungen zu nennen sind, bezweifelt selbst das Autorenduo Tworek/Ott.

Als weitaus spannender und aufschlussreicher erweisen sich im Übrigen die schriftlichen Zeugnisse über das Verhältnis von Sport und Kultur. Der Sport dürfe nicht zu einem Kulturgut gemacht werden, fordert etwa Brecht, "weil ich weiß, was diese Gesellschaft mit Kulturgütern so alles treibt, und der Sport dazu wirklich zu schade ist". Der Sport muss also vor der Kultur geschützt werden und nicht umgekehrt? Thomas Mann siedelte den Sport im Bereich der "bürgerlichen Normalität" an, von deren profanen Tätigkeiten der Künstler ausgeschlossen ist. Also stehen Kunst und Sport doch in einem Widerspruch zueinander? Alfred Polgar schließlich bewunderte in sportlicher Hinsicht insbesondere die Tiere, das Schwimmen der Fische ebenso wie den Flugsport der Vögel. Langsam wird deutlich, was Tworek/Ott mit der "Vielschichtigkeit der aktiven und passiven Formen des Phänomens Sport" gemeint haben. "SportsGeist" offenbart das ambivalente Verhältnis von Sport und Kultur, Bürgertum und Künstlertum, Körperlichkeit und Intellektualität.

Robert Musil hat den Konflikt in seinem "Mann ohne Eigenschaften" einmal am Beispiel des "genialen Rennpferds" erhellt: "Nun haben aber noch dazu ein Pferd und ein Boxmeister vor einem großen Geist voraus, daß sich ihre Leistung einwandfrei messen lässt und der Beste unter ihnen auch wirklich der als der Beste erkannt wird, und auf diese Weise sind der Sport und die Sachlichkeit verdientermaßen an die Reihe gekommen, die veralteten Begriffe von Genie und menschlicher Größe zu verdrängen." Damit scheint nun alles klar: "Halla", Zinedine Zidane und Albert Einstein dürfen unumwunden unter dem Begriff "Genie" subsumiert werden. Doch was ist mit Michael Schumachers Ferrari F 2004, der ihn zum siebten Weltmeistertitel fuhr? Ein geniales Auto?


Titelbild

Elisabeth Tworek / Michael Ott: SportsGeist. Dichter in Bewegung.
Arche Verlag, Hamburg 2006.
149 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 371602354X

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