Keine schwarzen Schafe

Louis Auchincloss zeichnet in seinem Roman "East Side Story" ein Porträt einer schottischen Einwandererdynastie

Von Angela KrewaniRSS-Newsfeed neuer Artikel von Angela Krewani

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

East Side Story ist hier - wie im berühmteren Gegenstück des Westens - gleichermaßen Programm. Louis Auchincloss berichtet in seinem gleichnamigen Roman parabelhaft von der noblen, Reichtümer anhäufenden Familie der Carnochans, deren Urahn David Carnochan Mitte des 19. Jahrhunderts aus Schottland in die USA ausgewandert war und hier einen einträglichen Tuchhandel begründete, welcher der Familie schnell zu Ansehen und Reichtum verhalf. Prototypisch ist die New Yorker East Side der angestammte Wohnort der Familie, der auch bis in die jüngste Gegenwart nicht von deren Mitgliedern verlassen wird, es sei denn zum Sommeraufenthalt im Schloss-Imitat auf Long Island.

Gleichsam markiert der Wohnort der Familie auch ihren Status im Einwandererland Amerika: Sie gehört nicht zur Familie der in New England, im Roman vornehmlich Boston, ansässigen ersten Familien der "Mayflower-Generation", die aus religiösen Gründen die Heimat verlassen hatten. Sie verschuldet sich eher der zweiten Auswandererwelle, also derjenigen, die aus Abenteuerlust und Wunsch nach Verbesserung der Lebensumstande in die neue Welt zogen und dann vor den Juden und anderen, nicht-englischsprachigen Immigranten schnell in hohe gesellschaftliche Stellungen aufstiegen und ihre Position gleichsam symbolisch an der oberen Ostseite der Stadt zementierten.

Interessant ist die Form des Romans, der sein Geschehen gleichsam nicht an einen allwissenden, überzeitlichen Erzähler delegiert, sondern eher fragmentarisch über die Zeit Porträts einzelner Familienmitglieder zeichnet. Es sind ihrer insgesamt 12, angefangen bei Peter, dem Sohn des schottischen Einwanderers, der anlässlich des 75. Jahrestages der Ankunft des Urahns im Jahr 1904 die frühe Geschichte der Familie aufzeichnet bis zu Loulou, die als letztes Familienmitglied Mitte der 1970er Jahre, unverheiratet und lungenkrank, die Bilanz des Familienlebens zieht, deren Mitglieder sich vornehmlich um Anhäufung von Reichtümern und die Steigerung des sozialen Status gekümmert hatten. Das Resümee fällt, entgegen dem äußerlichen Erfolg der Familie, recht trostlos aus: "Im Unterschied zu vielen anderen Familien der besseren Gesellschaft gab es unter ihnen keine Versager oder ins Ausland geschickte schwarze Schafe, die allmonatlich ihren Wechsel bekamen, damit sie blieben, wo sie waren. Ganz offenbar besaßen die Carnochans einen besonders ausgeprägten Überlebensinstinkt. Andererseits war ihr Beitrag zu den schönen Künsten, zur Politik, zur Wissenschaft oder auf irgendeinem anderen Gebiet, bei dem es mehr um das Geben als das Nehmen ging, minimal. Zwar gab es in der Familie keine Verbrecher, aber auch keine Heiligen. Die Carnochans schienen in erster Linie damit beschäftigt gewesen zu sein, ihr eigenes Fortbestehen zu gewährleisten."

Die konstatierte Gradlinigkeit dieser prototypischen amerikanischen Familie, die fehlende Faszination an Dekadenz wie auch eine Unempfindlichkeit den Bereichen des Lebens gegenüber, die sich durch Gefühl und Selbstverlust auszeichnen, lässt die Geschichte der Familie seltsam starr erscheinen. Sicherlich ist es kein Verfallsbericht einer Dynastie, wie wir sie aus der europäischen Literatur kennen. Eine Reminiszenz an diese Erzählmuster ist jedoch in der Lungenkrankheit zweier weiblicher Figuren, Estelles und Loulous, vorhanden, die gleichzeitig auch als die schärfsten Kritikerinnen ihrer Verwandtschaft auftauchen. Somit bleibt die Geschichte der Familie, trotz der interessanten Form der isolierten Porträts und der angedeuteten Kritik, seltsam starr und unglaubwürdig. Soviel Eintönigkeit kann doch selbst die elegante New Yorker Upper East Side nicht hervorbringen.


Titelbild

Louis Auchincloss: East Side Story. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Karl A. Klewer.
DuMont Buchverlag, Köln 2007.
288 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783832180294

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