Nachtschleier über Danzig
Der vergessene Dichter Willibald Omankowski / Omansen wird in einer zweisprachigen Studienausgabe wieder entdeckt
Von Agnes Koblenzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWer als Künstler unter Zeitgenossen Anerkennung genießt, gerät bei den Nachfahren oft in Vergessenheit. Diese Regel findet auch im Falle des Danziger Lyrikers Willibald Omankowski Bestätigung, der nun nach fünfzigjähriger Unterbrechung von polnischen und deutschen Literaturwissenschaftlern Andrzej Katny und Jens Stuben mit einem neu aufgelegten Lyrikband gewürdigt wird. "Danzig zur Nacht" / "Gdansk noca" lautet der Titel des im Neisse Verlag auf deutsch und polnisch herausgegebenen Bandes, dessen Inhalt - die von deutsch-polnischen Spannungen gezeichnete Vergangenheit der ehemaligen Stadt Danzig - wohl kaum besser als in einem gemeinsamen Projekt überwunden und als ein Zeichen beidseitiger Versöhnung verstanden werden kann.
1886, im gleichen Jahr wie Gottfried Benn geboren, vertritt Willibald Omankowski mit seinen konventionell gebauten, an Reim, Metrik und Strophik gebundenen Versen die dichterische Vorgeneration des Zeitgenossen. In seinen von Heimattreue und -liebe, von Naturverherrlichung und Zerstörungsangst beherrschten Themen steht Omankowski den Dichtern Rainer Maria Rilke, Joseph von Eichendorff oder Theodor Storm nahe. Doch - wie es in dem ausführlichen Nachwort der Studienausgabe heißt - mit dem unverkennbaren Lokalkolorit, der Leidenschaftlichkeit und Monumentalität seiner Texte, vermag sich Omankowski von seinen Vorbildern erfolgreich abzusetzen und gilt zumindest unter den Zeitgenossen als eine Größe der Heimatliteratur.
Von den Erlebnissen des Ersten Weltkrieges und den politischen Umbrüchen gezeichnet, sieht der Fatalist Omankowski vieles in seiner Umgebung durch die Politik und den Fortschritt gefährdet. Dazu gehören gleichermaßen die paradiesische Ruhe der Ostseelandschaft wie die historischen Stadtbauten, nach 1920 aber auch die deutsche Unabhängigkeit des zur Freistadt ausgerufenen Danzig.
In diesem Stil entwirft der Dichter Landschaften, die die einzigartige Stadtarchitektur samt ihrer Umgebung für immer verewigen. Seine Zeitzeugenberichte fangen zudem die Gefühle der Einwohner, ihre Feindschaften, Ängste und Vorurteile ein. Unverkennbar deutlich sind diese auch in den polnischen Versionen ausgewählter Gedichte zu spüren, die - in der Übersetzung von Agnieszka K. Haas, Krzysztof Lipinski und Zdzislaw Wawrzyniak - den Originalen sehr nahe bleiben. Abbildungen aus den Sammlungen der Hauptbibliothek der Universität Gdansk oder des Westpreußischen Landesmuseum Münster vervollständigen den Blick auf die historische Region.
Fast schon als zwingende Konsequenz erscheint bei all der "Trübsalproblematik" die ausgeprägte Nacht-Motivik Omankowskis, die als Mittel künstlerischer Umsetzung ebenfalls bei den Neuromantiker- und Symbolistendichtern beliebt ist. Von dunklen Stimmungen, Trauer und Hoffnungslosigkeit beherrschte Gedichte wie "Stadt zur Nacht", "Nacht an der Weichsel", "Traum durch die Winternacht", "Nächtliches Lied", oder "Danzig über Nacht", finden sowohl in den bereits zu Lebzeiten Omankowskis herausgegebenen Gedichtsammlungen Platz, als auch in den Nachlasswerken, die das neue Gedichtband erstmalig herausgibt.
Nicht allein die Dichtung verhilft Omankowski zum zeitweiligen Erfolg. Neben seiner universitären Laufbahn ist er als engagierter Mitgestalter des kultur- und kommunalpolitischen Lebens in Danzig, und als Musik- und Theaterkritiker auch in großen Zeitungen Deutschlands vertreten. Trotz seiner prodeutschen, jedoch entschieden antinationalsozialistischen Haltung gerät er mit dem Zweiten Weltkrieg unter den Druck der braunen Regierung und ändert sogar den Namen zu Omansen, um seine berufliche Stellung nicht zu gefährden.
Der nach dem Zweiten Weltkrieg in der deutschen Literatur aufgeblühte Topos der "verlorenen Heimat" verhilft Omansen, der nun selbst seine Heimat an die Polen verliert, zum letzten Höhenflug. In dem Band "Trost und Traum" aus dem Jahre 1947 wandelt sich seine, von der Ferne aus zurückerinnerte Heimat in ein verlorenes Paradies und gerät zu einem "Konstrukt von Wunschträumen" (Hubert Orlowski), das mit fortschreitenden Jahren immer realitätsfremder wird. Das lyrische Ich Omansens, immer stark mit der Außenwelt verbunden, vermittelt diesmal die Gefühle vieler tausend Heimatloser. Jedoch anders als in ähnlichen, oft aus größerer historischer Distanz heraus formulierten Aussagen sind Omansens Texte bar jeder Anklage, eher schon im Zeichen der Reue und Hoffnung für die baldige deutsch-polnische Aussöhnung verfasst. Diese ließ über fünfzig Jahre auf sich warten und kommt auch gegenwärtig in recht kleinen Schritten voran. Umso mehr Anlass für weitere Projekte dieser Art.