Zwischen Sozialismus, Feminismus und der 'Judenfrage'

Stephanie Braukmann untersucht den Antisemitismus in der sozialistischen Frauenbewegung um 1900

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor etwa 100 Jahren waren 'Frauenfrage' und 'Judenfrage' in aller Munde. So wundert es nicht, dass die 'Judenfrage' auch in der Frauenbewegung erörtert wurde, in der sich selbst zahlreiche Jüdinnen engagierten. Und selbstverständlich waren unter den konfessionell gebunden Frauen(rechts)organisationen nicht nur christliche wie der "Katholische Deutsche Frauenbund" und der "Deutsch-evangelische Frauenbund", sondern auch ein "Jüdischer Frauenbund". Allerdings werden die religiösen Gruppierungen und Organisationen der Frauenrechtsbewegung um 1900 in der Geschichtsschreibung des Feminismus nur wenig beachtet. Bekanntlich wird diese vielmehr in einen gemäßigten Flügel, dem Helene Lange und Gertrud Bäumer vorstanden, und einen radikalen Flügel mit den beiden prominenten Protagonistinnen Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann eingeteilt und zwar durchaus aus guten, das heißt in diesem Fall historischen Gründen. Waren die religiös orientierten Frauenorganisationen doch von deutlich geringerer Bedeutung. Wichtiger waren da schon die der Sozialdemokratie angeschlossenen Frauenorganisationen. Beiden, dem radikalen wie auch dem gemäßigten Flügel wird daher gerne das Etikett 'bürgerlich' umgehängt, um sie so von der so genannten "proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung" zu unterscheiden.

Deren Verhältnis zur 'Judenfrage' und zum Antisemitismus geht Stephanie Braukmann in ihrer unter dem Titel "Die 'jüdische Frage' in der sozialistischen Frauenbewegung. 1890-1914" erschienen Studie nach. Ob die sich in den sozialistischen Organisationen für die Belange von Frauen einsetzenden Gruppierungen und Unterorganisationen allerdings zurecht zur Frauenbewegung gerechnet werden können, ist durchaus nicht unstrittig. Galt ihnen die 'Frauenfrage' doch nur als Nebenwiderspruch, der mit der Lösung des Hauptwiderspruches zwischen Kapital und Arbeit - also dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus beziehungsweise Kommunismus - ganz nebenher mit verschwinden werde. Darüber hinaus verwarf Angelika Schaser erst jüngst die Rede von einem sozialistischen Flügel der Frauenbewegung mit der Begründung, dass nur die so genannten 'bürgerlichen' eigenständige feministische Organisationen anstrebten. (siehe literaturkritik.de 3/2007).

So ist es also durchaus nachvollziehbar, dass Braukmann den von ihr verwandten Topos "proletarische-sozialistische Frauenbewegung" zu rechtfertigen sucht. Proletarisch-sozialistisch, so sagt sie, "bestimmt den klassenstrukturierten Lebenszusammenhang, der die Erfahrung der Frauen prägte, und eine ihrer zentralen politisch-theoretischen Grundannahmen: die Überzeugung, dass die Frauenfrage nur im Rahmen der sozialen Frage zu lösen sei". Die Bestimmung als Frauenbewegung markiere, dass die Frauenfrage "gleichwohl nicht in ihr aufgeht". Damit sei der Kategorie Geschlecht ebenso wie der Kategorie Klasse "Bedeutung beizulegen".

Braukmanns Begriffsbildung scheint allerdings nicht ganz stimmig. Entweder wird die Frauenfrage im Rahmen der sozialen Frage gelöst, womit die Klassenfrage die Geschlechterfrage dominieren würde, oder aber sie sind gleichermaßen relevant. Das von der Autorin als "Zeitschrift der proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung" apostrophierte Publikationsorgan "Die Gleichheit" jedenfalls ließ seinerzeit keine Zweifel aufkommen und bezeichnete sich seinem "Charakter nach [als] ein Organ des proletarischen Klassenkampfes". Und wie Braukmann selbst ausführt, wurden weder die Zeitschrift noch ihre führende Redakteurin Clara Zetkin "müde zu betonen, dass die moderne Frauenfrage vor allen Dingen eine soziale Frage sei und entsprechend die volle Emanzipation der Frau erst in einer sozialistischen Gesellschaft verwirklicht werden könne".

Gerade mit der Übernahme der Redaktion durch Zetkin Anfang der 1890er-Jahre brach Braukmann zufolge eine "neue Phase in der Geschichte der proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung an, die sich jetzt sehr viel eindeutiger als die Mehrheit der Organisation der frühen Arbeiterinnenbewegung als sozialistisch verstand und sich nicht zur bürgerlichen Frauenbewegung, sondern zur Sozialdemokratie hin orientierte". Folgerichtig erklärte "Die Gleichheit" unter Zetkins Ägide, die "deutsche Proletarierinnen" seien "für ihren Befreiungskampf - von Ausnahmen abgesehen - einzig und allein auf ihre Klassengenossen und Klassengenossinnen angewiesen". Sie verstand sich also eindeutig als Teil der sozialistischen Bewegung, die mit der - als bürgerlich kritisierten - Frauenbewegung allenfalls Bündnisse einging.

Erklären, wenn auch nicht auflösen ließe sich das Oxymoron proletarisch-sozialistische Frauenbewegung vielleicht dahingehend, dass sein erster Teil eine Selbstbezeichnung, der zweite Teil eine Fremdbezeichnung - durch die Autorin der vorliegenden Untersuchung sowie weiterer heutiger feministischer HistorikerInnen - ist. Mag man sich auch an der Bezeichnung stoßen, so kann man sie hier doch einmal hinnehmen und sich dem eigentlichen Forschungsgegenstand Braukmanns zuwenden: dem Verhältnis von Antisemitismus und der - nun ja - proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung. Ein, wie die Autorin anmerkt, bislang weitgehend unerforschter Bereich. Ziel ihrer Arbeit ist es, die bestehende Forschungslücke zu schließen. Hierzu macht sie sich Shulamit Volkovs Bestimmung des Antisemitismus als 'Kulturellem Code' zu eigen.

Quellenbasis ihrer Untersuchung sind die Jahrgänge 1892-1914 der "Gleichheit". Anfang und Ende des Untersuchungszeitraumes sind durch Zetkins Übernahme der Redaktion zu Beginn der 1890er und den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bestimmt. Angesichts der 14-tägigen Erscheinungsweise des Periodikums liegt somit ein beachtlicher Fundus vor, der wiederum ein beträchtliches Arbeitspensum erfordert, wenn man wie Braukmann eine Totalerhebung unternimmt. Aufgrund dieser umfangreichen Basis war es der Autorin möglich, über die "bloße Identifikation antijüdischer Klischees" in der Zeitung hinaus- und der Frage nach ihrem Stellenwert und ihrer Funktion nachzugehen. Die vorliegende Arbeit unternimmt also die Beantwortung der Frage, "[i]nwieweit die in der 'Gleichheit' entfalteten Diskurse dieser subalternen Gegenöffentlichkeit als Teil der 'Kultur der Emanzipation' selbst auf Antisemitismus und Judenfeindlichkeit als einen weiteren Ausschlussmechanismus im Wilhelminischen Kaiserreich neben 'Klasse' und 'Geschlecht' rekurrierten". Hierzu bedient sich die Autorin einer von ihr als struktur-funktionale Diskursanalyse bezeichneten Methode, "die Aufbau, Struktur und Argumentationsverlauf der zu analysierenden Texte einen hohen Stellenwert zumisst, ohne dabei den gesellschaftlichen Kontext, in dem sie entstanden, zu vernachlässigen".

Braukmanns eigentliche Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Zunächst beleuchtet sie das Verhältnis der proletarisch-sozialistischen Frauenbewegung zu den zeitgenössischen antisemitischen Parteien und Verbänden und zeigt, dass die "sozialistischen Frauen" die antisemitischen Organisationen zwar "tatkräftig und kompromisslos" bekämpften, jedoch gerade "unter Ausschluss ihres wichtigsten Elements: der Judenfeindschaft". Sodann geht sie anhand von Begriffen wie "Schacher", "Wucher" und dem Topos vom "Tanz ums goldene Kalb" antijüdischen Stereotypen in den "kapitalismuskritischen Diskursen" der "Gleichheit" nach und erörtert deren Stellenwert. Wie Braukmann zeigt, handelte es sich bei diesen und anderen von der "Gleichheit" benutzten antisemitischen Symbolen durchaus nicht nur um eine "bloße Anhäufung einzelner antijüdischer Metaphern". Vielmehr "generierten [sie] eine zusammenhängende symbolische Ordnung, deren einzelne Elemente mit einander verknüpft und in ihrer Gesamtheit in die Klassen- und Gesellschaftsanalyse der 'Gleichheit' integriert wurden", so dass die Zeitschrift der "wilhelminische[n] Klassengesellschaft" "unverkennbar jüdische Züge" zuwies. Antijüdische Symbole wurden also "im Zuge der sozialistischen Argumentation nicht zurückgedrängt, sondern in transformierter Form reproduziert". Damit, so konstatiert Braukmann, trug "Die Gleichheit" in "erheblichem Umfang" zu deren "Erhalt" bei.

Soweit, so schlecht. Wichtig ist Braukmann zufolge jedoch auch ein nicht zu vernachlässigender Unterschied zwischen der "antijüdisch codierten symbolischen Ordnung in den Debatten der sozialistischen Frauenbewegung" und denjenigen des "politischen Antisemitismus", in dessen Propaganda antijüdische Symbole - anders als in der "Gleichheit" - keineswegs einen "strikt metaphorischen Charakter" hatten. Vielmehr identifizierten diese Jüdinnen und Juden tatsächlich mit dem Kapitel, diffamierten sie und griffen sie an.

Im letzten Kapitel zeigt die Autorin, dass und inwiefern das 'Judentum' der Bewegung als "Repräsentant der vormodernen Welt" galt. Auch dies ein Unterschied zum politischen Antisemitismus, der die Juden ganz im Gegenteil als Vertreter der ihnen verhassten Moderne angriff.

"Die Gleichheit" und somit die proletarisch-sozialistische Frauenbewegung habe sich zwar "unmissverständlich gegenüber dem politischen Antisemitismus abgegrenzt", lautet Braukmanns Fazit, doch ist es ihr nicht gelungen, "eine offensive, von Solidarität getragene pro-jüdische Haltung zu entwickeln". Abschließend müsse festgehalten werden, "dass in die kritische und emanzipatorische Debatten der Sozialistinnen ein judenfeindlicher Subtext eingelassen war, der über den gesamten untersuchten Zeitraum von 1890 bis 1914 bestehen blieb".


Titelbild

Stephanie Braukmann: Die "jüdische Frage" in der sozialistischen Frauenbewegung 1890-1914.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
314 Seiten, 37,90 EUR.
ISBN-13: 9783593381848

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch