Ein Klassiker der Nervenkunst

Joris-Karl Huysmans' "A Rebours" in neuer Übersetzung

Von Andrea NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sein Brotberuf war recht nüchtern, arbeitete er doch viele Jahre lang als Angestellter im französischen Innenministerium. Und doch schuf er in seinen Büchern exzentrische Vorstellungswelten von berauschender Schönheit. Joris-Karl Huysmans, geboren am 5. Februar 1848 in Paris, gehört zu den ambivalentesten Literaten des Fin de siècle. Sein Roman "A Rebours" (1884) ging als Brevier aller Dandys und Ästheten in die Literaturgeschichte ein.

Seine literarischen Anfänge orientierten sich jedoch an Emile Zola und den Naturalisten. Detailgenau beschreiben seine frühen Werke, etwa sein Roman "Les sœurs Vatard" (1879), das Milieu der Pariser Unterschicht. "A Rebours", im Deutschen bisher bekannt unter dem Titel "Gegen den Strich", markierte eine Wende in seinem Schaffen.

"Es war ein Buch voller Gift. Es war, als haftete seinen Seiten ein schwerer, sinnverwirrender Duft nach Weihrauch an": So charakterisierte, so feierte Oscar Wilde Huysmans' Roman in seinem Werk "Dorian Gray". Das süße Gift, das der Roman einflößt, sind die Verlockungen des Erlesenen und Überreizten. Auf dreihundert Seiten wird beschrieben, wie Jean Floressas Des Esseintes, "ein schmächtiger junger Mann von dreißig Jahren, anämisch und nervös", ein wohlsituierter, überreizter Pariser Aristokrat, sich in einer künstlichen Welt des Ästhetizismus einrichtet. In seinem Landhaus in Fontenay-aux-Roses versucht er die hässliche Realität seines von Positivismus, Materialismus und Fortschrittsgläubigkeit geprägten Zeitalters zu vergessen. Ein "natürlicher Hang zur Künstlichkeit", ein ekstatischer Mystizismus und die überhitzte Gier nach immer neuen Sinnesreizen bilden die Konstanten seines Gefühlslebens. Er beschäftigt sich mit Farben, Düften und bizarren Orchideen, lässt den Panzer seiner Schildkröte mit Gold überziehen und mit Edelsteinen verzieren, schärft seinen Geschmackssinn mit Hilfe seiner selbsterfundenen Likörorgel, versenkt sich in die Bilder Gustave Moreaus und Odilon Redons, liest Barbey d'Aurevilly, Charles Baudelaire, Edgar Allan Poe und Stephan Mallarmé. Seine fiebrigen Visionen und die Genüsse, die sich nur einem höchst verfeinerten Bewusstsein abgewinnen lassen, steigern sich zu einem gefährlichen Wahn. Er verfällt dem Lebensüberdruss, verweigert sich der Nahrungsaufnahme und verlässt schließlich, von Seelenqualen bedrückt und voller Sehnsucht nach Erlösung, sein kunstvolles Refugium.

Das minimalistische Handlungsgerüst des Romans verknüpft Kapitel, die in präzisen, metaphernreichen Beschreibungen die sinnlichen Empfindungen des Helden ausleuchten. In Des Esseintes verkörpert sich die im Krisenbewusstsein des ausgehenden 19. Jahrhunderts wurzelnde Gefühlslage der Dekadenz, geprägt von Untergangsstimmung, Weltmüdigkeit und Spätzeitbewusstsein. Huysmans selbst, der später zum Katholizismus konvertierte und sich verstärkt mit religiösen Fragen beschäftigte, erkannte die Ausweglosigkeit des dekadenten Lebensstils. Er distanziert sich von "A Rebours", erkannte aber zugleich, dass der Roman für sein späteres Schaffen den Ausgangspunkt bildete. In seinem "Vorwort. Zwanzig Jahre nach dem Roman geschrieben" erklärt er: "Aber am meisten wundere ich nich bei dieser Lektüre darüber, daß alle Romane, die ich seit ,A Rebours' verfaßt habe, als Keim in diesem Buch angelegt sind." "A Rebours" war stilbildend, für den Autor wie für eine ganze Epoche.

Zu Huysmans' 100. Todestag am erschien eine Neuübersetzung des berühmten Romans, diesmal unter dem Titel "Gegen alle". Akzentuiert der geläufige Titel "Gegen den Strich" die Denkrichtung der Décadence, die die Relation von Natur und Kunst verkehrte und die Kunst über die Natur herrschen ließ, so betont Übersetzerin Caroline Vollmann mit dieser programmatischen Titelwahl eher die pessimistische, weltabgewandte Grundhaltung des Helden. In ihrer gelungenen Übersetzung kommt der große sprachliche Glanz des französischen Originals zum Tragen. Ihr Tonfall ist erfrischend, dabei elegant und melodiös, sie formuliert präzise und zugleich zupackend. Mir großem Geschick glättet Vollmann jene Stellen, die in der älteren Übersetzung noch zu manchen Umständlichkeiten und Holprigkeiten geführt haben.

Huysmans Held Des Esseintes ließ alle seine Bücher eigens drucken und mit edlen Einbänden versehen, die ihren Geist wiedergeben sollten. So ist es nur angemessen, dass der bei Zweitausendeins erschienene Band ausgesprochen hübsch ausgestattet ist, mit Leineneinband und Goldschnitt, und somit das Flair jener Epoche einzufangen versucht, die vom schönen Verfall schwärmte.


Titelbild

Joris-Karl Huysmans: Gegen alle.
Übersetzt aus dem Französischen von Caroline Vollmann.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2007.
366 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783861505877

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