Ein Wunderland

Dieter Kiesewalters Erfahrungsberichte von deutschen Auswanderern

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit langer Zeit bilden die Deutschen die drittgrößte Volksgruppe Kanadas. Derzeit stellen sie 2,4 Millionen Einwohner. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind viele von ihnen in den flächenmäßig zweitgrößten Staat der Erde ausgewandert, die Haupteinwanderungzeit umfaßte die Jahre 1952 bis 1957. Nachzügler wurden womöglich angeregt durch Heinrich Lübke, Bundespräsident von 1959 bis 1969, der einer Einladung nach Kanada gefolgt war und seinen Landsleuten die Weiten Kanadas empfahl: "Ich rate jedem, wenn er die Möglichkeit hat, nach Kanada zu gehen. Dann wird er ein Wunderland sehen."

Die meisten Neubürger Kanadas hatten es furchtbar schwer: Schlecht ausgebildet, durch den Krieg ohne nennenswerte Schulbildung oder Berufsausbildung, ohne hinreichende Kenntnisse der englischen oder französischen Sprache, mußten sie froh sein über jeden Job, den sie in der Neuen Welt ergattern konnten. Oft waren es Saisonarbeiten, Knochenjobs in Holfällercamps, im Ernteeinsatz bei Farmern, im Straßenbau. Wer mehr Glück hatte, rasche Auffassungsgabe vorausgesetzt, bekam eine saisonunabhängige Arbeit als Bäcker, Kürschner oder Verkäufer.

Den deutschen Einwanderern erging es da oft besser - weil sie zumeist irgendeine Ausbildung hatten, im Gegensatz etwa zu den Kanadiern. Schon 1958 gehörten die deutschen Einwanderer zu den Spitzenverdienern im Land. Gleichwohl konnten sie oftmals in ihrem Beruf nicht Fuss fassen, da viele kanadische Betriebe gewerkschaftlich organisiert waren, sogenannte "closed shops" bildeten. Aus diesem Grunde war auch unter den deutschen Einwanderern ein grosser Zwang zum Berufswechsel zu beobachten. Wer mehr Glück hatte und sich rasch anpassen konnte, bekam eine saisonunabhängige Arbeit in einem Handwerk oder einem der grossen Industriebetriebe im Süden Ontarios.

Der Autor des vorliegenden Buches, Dieter Kiesewalter, noch als Kind mit der Familie aus Schlesien geflohen, kam 1958 nach Kanada. Er und seine Frau Linda arbeiteten zunächst im Hotelfach. 1959 wurde ihnen das erste Kind geboren - und die Familie wuchs schnell. So mußten sie sich etwas Eigenes aufbauen: eine Hühnchen-Braterei ("Chicken Delight"), die sich zu einer kleinen Kette von Läden mauserte - Lieferservice inbegriffen. Später wurden die Läden verpachtet, wurde ein deutsches Restaurant gebaut, der "Lindenhof".

Dieter Kiesewalter, immer mit Sehnsucht nach "Good Old Europe" im Herzen, studierte in Kanada und engagierte sich für die Deutsche Gemeinde, sozial und kulturell: Ein Kirchenneubau, die Gründung und Leitung des Brahms-Chors, politische Funktionen im deutsch-kanadischen Kongreß gehören zu seinen herausragenden Leistungen. Noch später begann er, die Geschichten seiner Gemeinde, seiner Freunde und Bekannten zu sammeln und zu verschriften. Es sind sehr eindrucksvolle Texte darunter, vor allem aus den ersten Jahren nach dem Krieg. Sie erzählen von den Assimilierungsschwierigkeiten, vom Kampf auf dem Arbeitsmarkt, vom Durchhaltewillen in den Englischkursen, von primitiven Unterkünften und der Hilfsbereitschaft der Kanadier, von der Erziehung der Kinder unter deutschen Vorzeichen und vom Tod in der Fremde. Kiesewalter hat eine große Sammlung von Dokumenten zusammengetragen, die von der Kreativität der deutschen Gemeinde zeugen - wie auch sein Buch, das im Selbstverlag erschienen ist und beim Autor direkt bezogen werden kann.

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Dieter Kiesewalter: Kanada, gelobtes Land? Aus dem Leben einer deutschen Auslandsgemeinde. Erzählungen, Dokumente, Fotos, Erlebnisse, Geschichten. Mit 120 Fotos und Illustrationen.
Selbstverlag Dieter Kiesewlater, Ottawa 1995.
320 Seiten, 38,30 EUR.

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