Nichts als eine höhere Form von Vandalismus

Pierangelo Maset beschreibt in "Laura oder die Tücken der Kunst" die Verschwörung von Liebe und Kunst

Von Annika NickenigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Annika Nickenig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei historische Ereignisse bilden den zeitlichen Rahmen der Handlung in "Laura oder die Tücken der Kunst": Zwischen der deutschen Wiedervereinigung - "the sound of reunification" - und dem 11. September bewegt sich der wesentliche Teil des Geschehens um die junge Galeristin Laura Vermeer, die, wie der Klappentext ankündigt, von der im Schatten agierenden Kunstterroristin zur rampenlichtgeübten Kunstmanagerin aufsteigt. Obwohl es in Masets zweitem Roman fast ausschließlich um Kunst geht - um Kunstobjekte und Künstlersubjektivität, um die Gesetze des Marktes, um den Einfluss der Kunst auf zwischenmenschliche Beziehungen und umgekehrt -, existiert diese gleichwohl nicht um ihrer selbst Willen, als selbstbezügliches L'art pour l'art. Lauras Welt ist sowohl historisch als auch geografisch sehr konkret verankert, offensichtlich werden in ihr das Wechselverhältnis von Kunst und Gesellschaft und die Machtverhältnisse des Marktes und seiner Akteure verhandelt.

Laura ist keine völlig neue Figur: Schon in "Klangwesen", dem ebenfalls bei kookbooks erschienen Erstlingswerk des Autors, spielt sie eine Nebenrolle, während die einstigen Protagonisten nun wiederum am Rande auch in Masets neuem Roman auftauchen - so beispielsweise Eric Dert, dessen persönliches Hab und Gut von Laura und ihrer Mentorin Ruth Netzer als Kulisse, als lebendiges Kunstwerk verwendet wird: "Erics Leben hat genau die Ausstattung, die wir als Bobs Kunst gebrauchen können." Diese 'Verwendbarkeit' des Lebens für das Kunstschaffen macht sowohl den Reiz der sich entwickelnden Freund- und Liebschaften aus als auch deren Korrumpierbarkeit. Grundsätzlich ist die Darstellung von zwischenmenschlichen Begegnungen und Beziehungen die besondere Stärke des Romans. Maset gelingt es, die ihnen inhärente Zufälligkeit und Flüchtigkeit zu beschreiben, und zugleich die unwiderrufliche Prägung, die sie bedeuten können. Unzählige Kontakte werden in "Laura oder die Tücken der Kunst" geknüpft und wieder fallen gelassen, wechseln von der geschäftlichen auf die private Ebene und zurück, es herrscht ein permanentes Geben und Nehmen von Zuneigung und Sexualität, Sicherheit und Verrat, Plagiat und Inspiration.

Laura Vermeers Leben verändert sich schlagartig durch die schicksalhafte Begegnung mit der erfolgreichen Kunstagentin Ruth Netzer, diesem "Wesen aus einer Mischung von Fleisch, Blut, Quecksilber und Treibsand". Die hier der Figurencharakterisierung dienende verbale Komposition verschiedener Materialien wird im späteren Verlauf zum Wesensmerkmal der aufstrebenden jungen Kunst: Schamhaare und Nagellack auf Papier, Glastische und Folien auf Holzplanken sind die Erfolgs- und Gestaltungsprinzipien in den Ateliers von New York, London, Berlin. Die erfundenen Bilder, Skulpturen und Installationen werden samt ihrer Konzepte in Masets Beschreibungen tatsächlich sehr plastisch und machen sich ausgesprochen gut zwischen den 'echten' Kunstwerken, auf die (nicht nur über den Namen der Titelfigur) beständig rekurriert wird. So steckt das Buch voller kunsthistorischer und literarischer Verweise, und der Leser wird erfasst von der Art hermeneutischer Paranoia, die viele postmoderne Romane auszeichnet und während der man sich beständig fragt, welcher Verweis nun bedeutungstragend ist und welcher insignifikant oder rein assoziativ. Auf diese Weise wird die Gefühls- und Erlebniswelt der Protagonistin an den Leser weitergegeben. Sowohl auf der beruflichen Ebene wie in den hetero-, homo- und autoerotischen Passagen oszilliert Lauras Leben zwischen Zufall und Kontrolle, Konspiration und Selbstbestimmung. Mal hat sie die Fäden selbst in der Hand, dann wieder scheint sich alles gegen sie verschworen zu haben, und nie ist sicher, ob es sich hierbei um den Lauf der (Kunst-)Welt handelt, um einen Umschwung in den Machtverhältnissen oder vielleicht um einen von Anfang an genau konzipierten Plan. Während Laura zunächst als Assistentin bis zur völligen Selbstaufgabe und unter Einsatz ihrer eigenen Beziehungen ein sehr prekäres Leben lebt, wird sie schließlich als Galeristin selbst zur wertsetzenden Instanz, die über den Erfolg anderer mitbestimmen kann.

Kunst ist in Masets Roman eine "höhere Form von Vandalismus": "Schau dir die Kunstgeschichte an, von Caravaggio bis Duchamp wurde das, was diesen Künstlern vorausgegangen war, aufgewühlt oder zerstört", lehrt Ruth ihren Schützling - und dieser hat zu begreifen, wie sehr das auch für alle anderen Lebensbereiche gilt. Denn die Aussagen und Erkenntnisse, die in diesem Text über die Kunst getroffen werden, lassen sich übertragen: Das grundlegende Prinzip der permanenten Überwindung von Regeln und Widerständen, der Zwang, etwas ganz Neues zu erschaffen, die Willkür der gesetzten Werte und Wichtigkeiten, all das findet sich nicht nur in anderen Künsten wieder, sondern tastet auch den Status des Kunstwerkes als solches an. Während Laura zunächst noch die Erhabenheit der Kunst dadurch zu unterminieren versucht, dass sie den Werken unbemerkt etwas hinzufügt (wie etwa Pablos "La Vénus du Gaz" per Sprühflakon ihren Morgenurin), entwirft sie später ihrerseits Konzepte und Metaphern für eine Kunst des "Zwischenraums". "Die Künstler unserer Zeit werden mehr und mehr zu Organisatoren, Managern und Kommunikatoren. Sie ähneln zuweilen weit mehr Versicherungsangestellten als exzessiven Romantikern", schreibt Maset in einem Essay über die Gegenwartskunst. Während sich die kunsttheoretische Überlegungen des Autors in einer Figur wie Hyde zu materialisieren scheinen, widersetzt sich die Protagonistin dem vorherrschenden Trend. Auch wenn sie den Prozess mitverfolgen kann, in dem die Idee des Schönen vom 'Kunstmöglichen' abgelöst wird, das Konzept über das Material, das Handwerk und schließlich über den Künstler hinausschreitet, hält sie an der soziopolitischen Relevanz der von ihr präsentierten Werke fest.

Alles ändert sich schließlich noch einmal, als die Realität in diese sich permanent medientechnologisch verändernde Kunstwelt einbricht. Nachdem über viele Seiten hinweg der Wert und die Wirkung von Kunstwerken in Gesprächen und Vernissagen diskursiv konstruiert und destruiert wurde, ist das Verstummen angesichts der Bildschirme, auf denen Flugzeuge in Türme einschlagen, umso bezeichnender: "Es schien sich um ein tatsächliches Ereignis zu handeln, wie blöd standen die Leute davor." Masets Roman reflektiert durch die Konfrontation von illusionshafter Kunstwelt und irreal erscheinender Wirklichkeit auch ein Ereignis wie den 11. September und die Grenzen der Darstellung von Realität. Die immergleiche bildliche Übertragung wirkt wie ein hilfloser Versuch, das Tatsächliche zu erfassen, das Scheitern einer Kulturbegegnung von westlicher und östlicher Welt, während in der endlosen Wiederholung das Geschehene nur immer stärker der Wirklichkeit zu entrücken scheint. Lauras Leben, das im Kunstgewerbe buchstäblich Form und Gestalt erhält, fügt sich hier zugleich in die politischen Gegebenheiten ein. Es ist ein Leben zwischen Ost und West, Europa und Amerika, ein Leben der kulturellen Vermittlung- aber auch des Scheiterns interkontinentaler Beziehungen. Die politische Katastrophe verändert schließlich die zwischenmenschlichen Verhältnisse und Laura geht zum ersten Mal eigene Wege, durchbricht die langjährige Abhängigkeit: "Es ist sehr schwierig, Beziehungen zu verändern, die sich in einem einmal entwickelten Muster bewegen. Wir rotieren in Bildern und Worten um die Erwartungsachse, die der Blick der anderen zulässt. Doch es gibt Einschnitte, Ereignisse, die auflösend wirken. Die Beziehung zwischen Ruth und mir hatte sich durch das Attentat verändert [...]."

Trotz dieser Thematik ist das dank der Illustrationen von Andreas Töpfer auch optisch sehr ansprechende Buch mit großer Leichtigkeit und für das Vergnügen geschrieben. Es lohnt sich, nach Beendigung der Lektüre noch einmal an den Anfang des Romans zurückzukehren, wo die mediale Erfassung der Erdoberfläche mit der Geschichte der Protagonistin parallel geschaltet wird: "Die mich gesehen oder berührt haben, sind ein wenig verantwortlich für die feine Linienführung der Faltenbahnen meines Gesichtes, die sich wie auf einer unleserlichen Karte verzweigen." So ist im ersten kurzen Kapitel bereits angelegt, wie sich im folgenden auf komplexe Weise Kunst, Raum und Körper miteinander verknüpfen.


Titelbild

Pierangelo Maset: Laura oder die Tücken der Kunst.
Kookbooks Verlag, Idstein 2007.
255 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783937445267

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