Zwischen Moment und Ewigkeit

Stefan Monhardts Gedichtband "Augenblicksgötter"

Von Christa HagmeyerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christa Hagmeyer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Augenblicksgötter" - bereits der Titel des Gedichtbandes von Stefan Monhardt deutet einen Spagat an. Gegensätze wie Moment und Ewigkeit, Nichtigkeit und Allmacht prallen in dieser Wortkombination aufeinander. Sechsundzwanzig Gedichte zu Begriffen wie "Zeit, Raum, Weg, Macht, Seele" und andere Abstrakta - ein Gedankenkosmos soll in einem kleinen Buch Platz finden? Stefan Monhardt wagt sich mit dem Medium der Sprache heran und zeigt dem Leser, dass diese nicht zweifelsfrei übermitteln kann, dass die Sprache selbst wesenlos ist.

Da greift er eine alte Tradition auf, er nützt die Form des Gleichnisses und nähert sich mit der Bildersprache "Ansichten" im Doppelsinn des Wortes. Abstrakte Begriffe werden gegenständlich und scheinen der sinnlichen Erfahrung zugänglich. Aber der Dichter opponiert gegen die Verständnisgewohnheit, gegen die Sprachübereinkunft einer Kulturgemeinschaft. Er forscht nach unverbrauchtem, weil ungenütztem Wortsinn. Er erinnert an das Gegenteil eines Begriffes, weil ja alles nur gemeinsam mit seinem eigenen Gegenteil ein Ganzes bildet. Und damit löst er sich von der lehrhaften Absicht eines Gleichnisses und beharrt auf der Offenheit jeder Wahrnehmung. Er verneint die Existenz einer Botschaft außerhalb der Sprache.

Jedes Phänomen ist der Veränderung unterworfen, also auch seinem Nichtsein. Zur "Zeit" als einem Prozess gehört die Pause, das Anhalten, und wenn man sich dies dinglich klarzumachen versucht - "als wäre sie (die Zeit) zu begreifen" -, dann gleicht der Prozess "wie stoff der rasend an den fingernägeln vorbeiritzt". Wer innehält, ob freiwillig oder gezwungenermaßen, empfindet, "ich liege in der zeitfalte / ich spüre wie das über mir neben mir weitergeht". Dieses haptisch verankerte Gedankenspiel geschieht nicht um seiner selbst willen. Der Dichter fragt in eigener Sache nach der Konsequenz, er lässt sein Gedicht glauben, "es sei ausgespart aus dem tod". Dann spricht er den Leser an, für den ebenso wie für den Dichter gilt: "und du fällst einen moment mit dem gedicht in die falte". Abstand ist die Voraussetzung, dann "hörst du die zeit".

Was nimmt der Dichter auf dem Zeitstrahl nun wahr? Den "Weg" verortet er jahreszeitlich im Frühjahr und führt mit dem Spätjahr die Erinnerung ein, verrät aber noch nichts über den Sinn. Noch sind wir beim Räumlichen, das aber im "randlosen auge" der Elster sein Gegenteil erfährt, ebenso wie "der schritt der stockte". Der Schritt hat hier kein Profil, Identität ist hier unerheblich, denn es geht um den "ununterscheidbaren ort". So ist also nicht einmal der kleinste Zusammenhang gleichzeitig zu denken. Der kürzeste Weg "zwischen tisch und stuhl" kann ein Umweg sein, auf dem einem manches begegnen kann, Entscheidungen oder ein Gedicht zum Beispiel, denn das Gedicht ist ein Stück Natur.

Machen und Macht - wodurch wird Dichtung bestimmt, von der Technik und /oder Inspiration? In Stefan Monhardts Dichtung bedingen sich beide Pole. Er wagt lange Verse und schafft damit Klangraum, wenn es der Fluss so will: "ich schrieb fort in diesem wechsel / von eigenem ziel / und zwang der worte und fakten bis / sich etwas quer legte / ein strudel darum bildete / exzentrische macht // ich ließ mich einen moment von ihr tragen / nicht freundliches nicht feindliches element".

Es geht zumindest hier nicht um Wertung, sondern um Wahrnehmung und um Respekt vor den Bildern. Sie haben Macht über den Dichter, nicht umgekehrt. Die Macht ist ein Neutrum, sie wird gut oder böse erst durch den, der sich ihrer bedient. Die "Zeit" findet auch in Monhardts Zeilenbruch und in dem Fehlen von Satzzeichen ihren Ausdruck; überraschende Gedankenschnitte bewirken ein Innehalten und gleichzeitig einen Sog. Der Leser muss so manchen "Weg" wiederholen. Diese Textarbeit beschert ihm unterschiedliche, zusätzliche Interpretationen.

"Unsichtbarst" - die unmögliche Steigerung soll wohl unmissverständlich betonen, dass es hier nicht um die narrative Wiedergabe der Welt geht, sondern um den bildhaften Ausdruck von Empfindungen und das in rascher Folge "[...] und falle / keine angst / ich bin frei / und es gefällt mir nicht". Geschlossene Augen sollen dem Tastsinn Zeit geben, etwas Gleichartiges zu erkennen, "das mit mir sterben wird". Aber das lyrische Ich erreicht das Wesen der Dinge nicht, denn es kann offensichtlich die treffende Blickrichtung nicht lange genug beibehalten.

Monhardt verzahnt die vier Elemente sprachlich in den Titeln "Wasser und Feuer", "Feuer und Erde", "Erde und Luft" und setzt den "Gewalten" seine kürzesten Gedichte entgegen, besonders "leichte" Gedichte. Noch mehr Kontraste werden zusammen geführt, so Wärme und Härte beim "Vater" und im folgenden Gedicht, wo die Hand fühlt "die wärme des körpers / auf den harten falten des lakens / und ist voll furcht / weil es plötzlich trennt wie sonst nur das denken". Von der Seele wagt Monhardt hier zu reden, und wenn dies direkt nicht möglich ist, so hilft, wie schon von alters her, ein Vergleich, das Wörtchen "wie".

Wissen und Sicherheit, Jetzt und Erinnerung, was wäre verlässlich, was ist sagbar? Monhardt stellt Behauptungen auf, denn diese reizen mehr als Fragen: "etwas das wie die sprache nicht zur welt gehört" oder "die welt [...] gleich machten wie nacktheit". Als ob Nacktheit gleich machte und Existenzgefälle nivellieren könnte. Gerechtigkeit scheint unmöglich, denn nur gleichzeitiges Geschehen wäre annähernd gerechtes Geschehen.

Nach alldem behauptet Monhardt, Denken sei kinderleicht, dieses Jonglieren mit Realität und Illusion. Das Ding wird vom Sehen nicht berührt, es bleibt an seinem Ort. Und die Sprache - nichts als Phrasen, Fragment, unzulängliche Metaphorik? "Dann" beginnt ein Text, doch was war vor diesem "dann", vor diesem Augenblick? Bestenfalls sind Augenblicke wahrzunehmen und wenn überhaupt, bildlich zu erfassen. Daran gemessen erscheint uns das Gebaren der uns im Alltag begegnenden, sich überschätzenden "Augenblicksgötter" doch allzu vollmundig.

Ein Buch, das anregt, auf Dinge zu hören und Sprache zu sehen. Eine Bilder-Welt, wie zum ersten Mal entdeckt mit dem Mut zur Unsicherheit "[...] oh fenster oh sehen oh staunen oh wetter [...] als hätten sie vergessen was sie wirklich sagen wollten [...]". In dieser Weise mag der Dichter gerne weiter rätseln; so meinte es auch die Jury des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, die ihm in diesen Wochen ein Literaturstipendium zusprach. Dies wird dem gebürtigen Schwaben und Wahlberliner Freiräume oder eine "Zeitfalte" ermöglichen, um auf den Fluss der Zeit zu hören.


Titelbild

Stefan Monhardt: Augenblicksgötter. Gedichte.
Drey Verlag, Gutach 2007.
40 Seiten, 17,00 EUR.
ISBN-10: 3933765307

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