Wir sind, was wir kaufen

Robert Misik über "Glanz und Elend der Kommerzkultur"

Von Tobias AmslingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Tobias Amslinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über die "Ökonomisierung der Kultur" wurde immer wieder Klage geführt - zuletzt medienwirksam von Ingo Schulze bei der Verleihung des von E.ON gesponserten Thüringer Literaturpreises. Dass allerdings die Auseinandersetzung mit der gleichzeitigen "Kulturalisierung der Ökonomie" ebenso wichtig ist, zeigt der Wiener Publizist Robert Misik in seiner jüngst erschienenen Analyse des modernen "Kulturkapitalismus".

"Das Kult-Buch" hat Misik sein ebenso scharfzüngiges wie -sichtiges Buch genannt, das uns die Augen öffnet für die enorme Bedeutung des alltäglichen Shoppings und aufräumt mit altbackener Konsumkritik. Wir konsumieren nicht etwa, weil wir werbeverseuchte "Marionetten böswilliger Konzerne" seien, sondern weil wir immer 'etwas dazu' erhalten: der Kauf des fair gehandelten Kaffees verschaffe uns ein gutes Gefühl, der iPod weise uns als Trendsetter aus, und die Converse Chucks seien einfach "Kult". Noch der einfachste Gegenstand sei heute mit Bedeutung aufgeladen, wohingegen der reine Gebrauchswert in den Hintergrund trete. Der Konsument, so Misik, frage ganz bewusst diesen ideellen Mehrwert nach und bastele sich so seine Identität zusammen: "Im Lifestyle-Kapitalismus ist der Stil eines Menschen, seine Identität, unmittelbar verbunden mit den Dingen, die er konsumiert."

Einerseits eröffne der Konsum neue Erfahrungswelten und mache die Welt bunter. Andererseits sieht Misik eine Gefahr darin, dass inzwischen fast "jedes Erlebnis entlang vorfabrizierter Bilder modelliert" sei. Selbst für die vermeintlich so besondere romantisch Liebe gebe es einen festen Katalog von Konsumangeboten: die rote Rose, das Candle-Light-Dinner, der Kinobesuch. Darüber hinaus widmet Misik ein ganzes Kapitel einer "Theorie der Shopping Mall" und legt überzeugend dar, wie die Einheitsästhetik der so genannten Passagen, Arkaden oder Kolonnaden die gewachsene Struktur der Innenstädte zerstört.

Das hauptsächliche Vermögen von Unternehmen bestehe inzwischen "aus imaginären Werten, zu deren Kernbestand das 'Image' zählt, und wird dieses beschädigt, kann der reale Wert des Unternehmens schnell ins Bodenlose fallen." Der Geschäftsmann der Zukunft ist in Misiks Augen kein dicker Kapitalist, sondern ein kreativer Künstlertyp, der ohne Unterlass an seinen Brands arbeitet und sie auf Hochglanz poliert - oder künstlich verwahrlosen lässt. Je nachdem, ob der Käufer sich gerade eher für Eleganz oder "Retro-Chic" interessiert. Das bedeute natürlich auch, dass moralisches Handeln für Unternehmen relevant werde, sobald der Konsument dieses nachfrage. Sein Kaufverhalten wirke auf das Unternehmen zurück, weshalb Misik auch im Konsumenten einen Art Produzent sieht. Zugespitzt formuliert: "Konsum von Stil und Kultur hat eine ebenso wichtige Bedeutung für die Bearbeitung und Veränderung der äußeren Lebenswelt wie für die Selbstbearbeitung der Innenwelt der Subjekte - womit aber auch das Konsumieren eine 'Produktionsform' ist".

Aber nicht nur Unternehmen feilen mit Hochdruck an ihrer Corporate Identity. Selbst auf nationaler Ebene sieht Misik seine Beobachtungen bestätigt: Staaten arbeiten an einer ausgefeilten Öffentlichkeitsarbeit, die dem Rest der Welt die Bedeutung der Marke schmackhaft machen solle. Der Marketingfachmann des Goethe-Instituts präsentiere sein Land als "hedonistisch, ausgelassen und tolerant", indem er Bilder der NSDAP-Aufmärsche mit Fotos von der Love-Parade kontrastiere. Schließlich greife sogar die antikapitalistische Bewegung auf die Mechanismen des Branding zurück und habe eigene Celebrities wie Naomi Klein.

Das klingt alles nicht neu, das hat man alles irgendwie bereits gewusst oder geahnt. Misiks Verdienst ist es, die Dinge auf den Punkt zu bringen, und eine Fülle von Untersuchungen und Beobachtungen anzuführen. Worum es ihm in erster Linie geht, ist Aufklärung. Er hat keine Heilsbotschaften, keine antikapitalistischen zehn Gebote im Gepäck. Sein Buch ist ein gelungenes Plädoyer für eine neue Form der Konsumkritik, und gegen den Dünkel, sich nicht mit dem scheinbar Banalen und Unwichtigen - dem eigenen Kaufverhalten - auseinandersetzen zu wollen. Es schärft das Bewusstsein für die Involviertheit jedes Einzelnen - denn wer konsumiert nicht? Wie es von diesem Punkt aus weitergeht, das steht auf einem anderen Blatt.


Titelbild

Robert Misik: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur.
Aufbau Verlag, Berlin 2007.
199 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783351026516

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