Bei Anruf Sex

Die Debüterzählung der jungen Russin Irina Tabunowa liegt in einer Taschenbuchausgabe vor

Von Manuela LückRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manuela Lück

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ira arbeitet in einer Telefonsexagentur namens Erwachsenenwelt und wird bei jeder Schicht zu Lena mit Körbchengrösse C. Ihre Arbeitswelt ist, im Gegensatz zu dem, was sie ihren Kunden erzählt, nüchtern und kühl und besteht aus zwei Reihen von Glaskabinen, in denen die Darstellerinnen - so werden sie von der Geschäftsleitung genannt - sitzen. Sie sind rhetorisch und fachlich geschult und können in jede erdenkliche Rolle, vom minderjährigen Mädchen bis hin zur älteren Domina schlüpfen. Kein noch so ausgefallener Wunsch ist ihnen fremd. Ira ärgert sich, wenn die Kunden unvermittelt oder nach nur ein paar Minuten auflegen, denn dies verringert ihren Lohn.

Sie und ihre Kolleginnen müssen nach jedem Anruf eine Statistik und eine Auswertung über jeden Kunden anfertigen, um fortan noch genauer auf seine Wünsche eingehen zu können. Ira bemüht sich, ihren Job gut zu machen und liest nach Feierabend in erotischen Zeitungen, um ihre Rhetorik zu verbessern. Am liebsten sind ihr jedoch die Stammkunden, deren Perversionen sie kennt und die sie entsprechend befriedigen kann. Manchmal rufen auch Männer an, die nur reden wollen und sie dafür bezahlen, einfach nur irgendwelchen Geschichten zuzuhören.

Tim, der Veteran, ist einer von ihnen. Er will sich von ihr verabschieden, bevor er zur Fremdenlegion geht. Ira weiß, dass es von der Geschäftsleitung verboten und außerdem gefährlich ist, sich mit Kunden zu treffen. Einige Kolleginnen hat es schon böse erwischt. Sie haben Pech gehabt. Aber sie will ihn sich ja nur kurz ansehen und dann nach Hause fahren.

Irina Tabunowa skizziert in "Erwachsenenwelt" eine desillusionierte Gesellschaft, in der die Sexualität nur noch eine professionelle und schnell zu bekommende Dienstleistung ist. Auch wenn Ira die Hoffnung auf eine Beziehung noch nicht aufgegeben hat, scheitern sie und ihre Kolleginnen immer wieder an der Sprachlosigkeit jenseits ihres einsilbigen Arbeitsalltags. Die sexuelle Fantasiewelt, die sie am Telefon fingieren, hat mit ihrem realen Leben überhaupt nichts zu tun. Es ist der gelungen, diese Diskrepanz zwischen der kalten Dienstleistung der sexuellen Wunschvorstellungen und den eigentlichen Wünschen der 'Erwachsenen' aufzuzeigen. Und dies klingt als trauriger Erzählton noch einige Zeit nach. Es ist nicht der kalkulierte Tabubruch in der Erzählung, der alle Praktiken und Fantasien mehr als deutlich beschreibt, sondern die stille, in den Nebensätzen aufscheinende Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit, die beeindruckt. Etwa wenn Kunden sich stundenlang irgendwelche Geschichten anhören oder Tim, der sich auf Iras Rolle als Lena nicht einlassen will und versucht, diese immer wieder zu durchbrechen. So ist der letzte Satz der Erzählung, "Ich schau ihn mir an und gehe...", vielleicht der schönste, denn in ihm steckt die Zartheit eines Neuanfangs - aber auch Lenas Angst enttäuscht und verletzt zu werden.


Titelbild

Irina Tabunowa: Erwachsenenwelt. Roman.
Übersetzt aus dem Russischen von Franziska Zwerg.
Berliner Taschenbuchverlag, Berlin 2007.
108 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-13: 9783833304583

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