Ein Mensch im Widerstand

Peter Hoffmann erzählt die Lebensgschichte des "Widerstandskämpfers Joachim Kuhn"

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Kuhn war ein tragischer Held von großem moralischen Mut." So resümiert Peter Hoffmann seine Darstellung der "Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn." Mit nüchterner Akribie hat der Autor die verfügbaren Informationen über Kuhn aus privaten Archiven und ehemals sowjetischen Quellen gesichtet und die entscheidenden Jahre im Leben des Joachim Kuhn rekonstruiert. Hoffmann würdigt zum einen die Anteile, die "Stauffenbergs Freund" an der Verschwörung des 20. Juli 1944 hatte: Kuhn war Experte für die Sprengstoffbeschaffung. Zum anderen aber beschreibt Hoffmann ausführlich Kuhns leidensvolle Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, sowie die darauffolgende missglückte Wiedereingliederung in die bundesdeutsche Gesellschaft. Hier liegt eine Brisanz der Tragik Kuhns: Der psychisch erkrankte Kuhn konnte in der Bundesrepublik nie mehr Fuß fassen. Er starb vereinsamt, verschuldet und nahezu vergessen 1994 in einem Pflegeheim.

Weitgehend vergessen war auch Kuhns Rolle, die er bei der Vorbereitung des Attentats auf Hitler spielte. Nur Eingeweihten war bekannt, dass er gemeinsam mit dem am 8. August 1944 hingerichteten Albrecht von Hagen bereits 1943 für eine geplantes Attentat auf Hitler Sprengstoff besorgt hatte. Auch für das Juli-Attentat 1944 waren beide mit dem ebenfalls am 8. August hingerichteten Helmuth Stieff für die Sprengstoffbeschaffung zuständig.

In den Kreis der Verschwörer war Kuhn über Claus Graf Schenk von Stauffenberg gekommen. Stauffenberg war von Mai 1942 bis Januar 1943 Kuhns Vorgesetzter in der Organisationsabteilung des Generalstabes des Heeres. Während dieser Zeit, so rekonstruiert Hoffmann das Geschehen, waren "kritische Gespräche über die Führung [...] an der Tagesordnung." In einem "nächtlichen Gespräch im Hauptquartier des Generalstabes des Heeres bei Winniza im August 1942" legte Stauffenberg Kuhn seine Überzeugungen dar. Dabei begründete er seine Überlegungen zum Tyrannenmord nicht nur mit offensichtlichen militärischen Versäumnissen der Führung, sondern auch mit den Verbrechen, in die die Wehrmacht im Rahmen der Mordaktionen gegen die jüdische Bevölkerung verwickelt war. Kuhn zeigte sich von Stauffenbergs Überzeugungen "tief beeindruckt", selbst zog er für sich aber erst nach der Niederlage in Stalingrad die "Konsequenz", die eine Beseitigung Hitlers beinhaltete.

Kuhn war im übrigen auch privat mit der Stauffenberg-Familie verbunden. Er war verlobt mit Marie Gabriele Gräfin Stauffenberg. Der Darstellung Hoffmanns entnimmt man, dass Kuhn eine sehr innige Bindung zu ihr aufgebaut hatte. Umso einschneidender muss ihn das Scheitern der Beziehung getroffen haben. Die Verlobung wurde gelöst, weil - man mag es heute kaum glauben - die "religiösen Fragen" nicht geklärt werden konnten. Es war schließlich die Haltung der Mutter Kuhns, die "auf evangelischer Trauung und Kindererziehung" bestand. Der Sohn "teilte zwar die starre Überzeugung seiner Mutter nicht, hatte aber auch nicht die Kraft, sich ihrem Willen zu widersetzen."

In der Bewertung dieses Scheiterns hält sich Hoffmann zurück, doch darf man annehmen, dass die behütende Dominanz der Mutter ihren Teil zur psychischen Destabilisierung Kuhns beitrug. Von nun an zieht sich durch Kuhns Leben eine wachsende Persönlichkeitsspaltung, die ihn zunehmend seiner autonomen Identität beraubt.

Nach dem missglückten Attentat vom 20. Juli entkam Kuhn seiner Festnahme an der Ostfront, weil der Kommandeur seiner Divison, Generalleutnant von Ziehlberg, ihm freie Hand gab, zu tun, "was er für richtig halte." Während Ziehlberg für diese noble Geste Monate später noch verurteilt und am 2. Februar 1945 hingerichtet wurde, geriet Kuhn in sowjetische Gefangenschaft. Unklar sind die Umstände: wurde er bei einem Fluchtversuch nach Skandinavien gefangengenommen, oder lief er freiwillig zu den Sowjets über? Jedenfalls bestand von nun an der Verdacht, Kuhn sei desertiert und habe militärische Informationen zum Schaden der deutschen Soldaten an die Sowjets geliefert.

Die Sowjets wiederum betrachteten ihren Gefangenen ebenfalls mit Misstrauen. Man verdächtigte die im Widerstand aktiven deutschen Militärs, die Beseitigung Hitlers nur deswegen geplant zu haben, um danach in einer Koalition mit den Westmächten den Kampf gegen die Sowjetunion fortsetzen zu können.

Die schwierigen Haftbedingungen während der Kriegsgefangenenzeit setzten Kuhn sehr zu. Erst 1956 wurde er aus der Kriegsgefangenschaft entlassen. In Deutschland wurde der ,Heimkehrer' wenig freundlich empfangen: "Nach hier vorliegenden vertraulichen Mitteilungen", so zitiert Hoffmann aus einem Schreiben des Berliner Polizeipräsidenten an das Entschädigungsamt Berlin, "soll sich K. in der Gefangenschaft politisch nicht einwandfrei verhalten und mit den Kommunisten zusammengarbeitet haben." Ein ebenso langwieriges wie unwürdiges Verfahren wegen ,Agententätigkeit', bei dem auch der Vorwurf der Desertation wieder aufgefrischt wurde, war die Folge.

Hoffmann schildert anschaulich die aufreibenden Auseinandersetzungen Kuhns mit den Behörden. Der Briefwechsel wurde im Laufe der Jahre immer kurioser und "wirrer", zugleich schritt die Persönlichkeitsspaltung Kuhns voran. Freunden und Bekannten gegenüber gab er sich als Kronprinz Wilhelm von Hohenzollern aus. Seit dem Tod der Mutter 1976 befand sich Kuhn in amtlich verordneter Pflegschaft.

Kuhns Schicksal in der Nachkriegsbundesrepublik gereicht dieser nicht zur Ehre. Im Banne des Antikommunismus und unter dem Einfluss der Lüge von der ehren- und tugendhaft kämpfenden Wehrmacht, geriet Kuhn in unwürdigen Verdacht. In das Klischee des heldenhaften Widerständlers passte er nicht. Alles summierte sich zu einer persönlichen Tragödie. Hoffmann würdigt Kuhn, indem er die tragische Lebensgeschichte sachlich erzählt. Diese Erzählhaltung rückt die Dinge wieder in ein normales Maß: erkennbar wird ein Mensch mit Stärken und Schwächen. Zu Lebzeiten Kuhns blieb ihm diese Normalität versagt.


Titelbild

Peter Hoffmann: Stauffenbergs Freund. Die tragische Geschichte des Widerstandskämpfers Joachim Kuhn.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
246 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783406558108

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