Im Zentrum ist ein weißer Fleck

Elmar Schenkels Hinführung zu Joseph Conrads Leben und Werk

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So wie die Figuren in Joseph Conrads Romanen häufig aus dem Nebulösen entstehen, so nähert sich Elmar Schenkels Biografie dem Autor auch tastend, ahnend. Schenkel kreist Conrad ein, indem er Fakten nennt, ihn in ein historisches Umfeld einordnet, seinen Umgang mit anderen Menschen beschreibt, aus seinen und den Tagebüchern anderer zitiert, manchmal sogar seine Kleidung beschreibt. Es findet kein chronologischer Nachvollzug seines Lebens statt (ein solcher findet sich in einer Zeittabelle am Ende des Buches). Ganz ähnlich wie in Conrads Werk, doch ohne ihn schlicht zu imitieren, wird der Autor räumlich und zeitlich umschifft, es wird an mehr oder weniger bizarren Punkten seiner Vita Anker geworfen, werden Rückblenden und Vorschübe geleistet. Doch Schenkel verliert dabei nie sein Ziel aus den Augen: Joseph Conrads Leben und Werk auszuloten, die weißen Flecken auf der biografischen Landkarte aufzufüllen, und vor allem: Verfälschungen und Stilisierungen aufzudecken - seien sie von Conrad selbst oder anderen tradiert worden.

Schon der Name Joseph Conrad, ein Pseudonym des 1857 in Polen geborenen Jósef Teodor Konrad Korzeniowski, hat zu zahllosen Diskussionen und Spekulationen geführt. Genauso seine Herkunft - von den Polen wurde er aufgerufen, sich politisch für sie einzusetzen, ganz wie sein Vater (der ein anerkannter Widerstandskämpfer war), und als er dies nicht in erwartetem Maße tat, wurde ihm Verrat am eigenen Land vorgeworfen. Auf Englisch schrieb er seine Bücher, aber in Frankreich hatte sein Werk den größten Erfolg. Auch seine Reisen auf See, seine Ehe, seine Bekanntschaft mit der Spionin Jane Anderson und sein sperriger, zu Exzentrizitäten neigender Charakter gaben Anlass zu wildesten Vermutungen.

Und Schenkel räumt damit tüchtig auf: Er recherchiert nach, deckt auf, füllt Leerstellen, stellt neue Bezüge her. Und Conrad ersteht beim Lesen wieder auf, er wird bis hin zu intimen Details aus seiner Ehe und dem Familienleben gezeigt. Man kann ihn sich lebhaft vorstellen - und kennt ihn immer noch nicht. Ein schönes Scheitern, das Schenkel hier vorführt und mit Reflexionen zum biografischen Schreiben versieht. Conrad als Mensch ist durch seine Darstellung nachvollziehbar geworden, gerade durch das Ausräumen von Allgemeinplätzen und Klischees über ihn. Gleichzeitig bleibt er rätselhaft, widersetzt sich einer Einordnung, bleibt schillernd, nicht greifbar. Und wirkt dabei umso faszinierender.

Und ebenso schillernd liest sich auch Conrads Literatur. Schenkel führt galant in dieses Werk ein, beschreibt die Entstehungsgeschichte. Auch stellt er die Bedeutung von "Herz der Finsternis" als einer der ersten Romane des Anti-Kolonialismus heraus, als fundierte Kritik an den Verhältnissen in Afrika. Denn Conrad war selbst Augenzeuge, kannte die Verhältnisse - und dies wirkte sich wiederum auf seine Literatur aus. Schenkel geht diesen Verschachtelungen zwischen Leben und Werk nach, und zeigt auch Conrads Verschiebungen, Verhüllungen, die falschen Fährten, auf die man gelangen kann, wenn man die Romane zu nah am Leben des Autors entlang deuten will.

Conrads Werk wurde viel und sehr facettenreich rezipiert. Vor allem in Frankreich gelesen und gefördert, war es auch Vorbild und Inspiration für Künstler in England, den USA und in Deutschland. Am bekanntesten ist vermutlich die filmische Bearbeitung von Francis Ford Coppola, sein Kriegsfilm "Apocalypse Now", der auf "Herz der Finsternis" beruht. Schenkel beschreibt nicht nur die Wirkung von Conrads Werk, sondern auch die Wirkungen seiner Person. So arbeitete er eine Zeitlang mit Ford Madox Ford zusammen und war mit André Gide bekannt und mit Gérard Jean-Aubry befreundet. Und auch hier wieder bleiben viele Wechselwirkungen eine bloße Annahme. Klar ist nur soviel: Freundschaften gingen zu Bruch, Briefe gingen verloren, und Conrads Bild wandelte und wandelte sich.

Raum für Fantasie lässt auch die Bildbiografie von Renate Wiggershaus. Zum 150. Geburtstag wurde sie neu aufgelegt. Hier wird in chronologischer Abfolge Conrads Leben nachvollzogen, und zwar in kurzen Beschreibungen, Zitaten aus dem Werk und Briefen, sowohl von ihm selbst als auch von Zeitgenossen. Ebenfalls neu aufgelegt wurde "Lord Jim", der neben "Herz der Finsternis" zu Recht als einer der wichtigsten Romane Conrads gilt.


Titelbild

Elmar Schenkel: Fahrt ins Geheimnis. Joseph Conrad. Eine Biographie.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
367 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783100735607

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Renate Wiggershaus: Joseph Conrad. Leben und Werk in Texten und Bildern.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
244 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783458349969

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Joseph Conrad: Lord Jim. Ein Bericht.
Übersetzt aus dem Englischen von Elli Berger.
Insel Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
474 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783458349952

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