Der vertrocknete Aprikosenbaum blüht wieder
Andrej Kurkow erzählt in "Herbstfeuer" vom Leben in der Ukraine
Von Georg Patzer
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Und tatsächlich: Nichts änderte sich, und das Leben ging genau so weiter wie bisher." Ist das gut oder schlecht? Alles rundherum wird erschüttert, die Metropole Kiew wandelt sich ständig und schnell. Nur im Dorf Lipowka, gar nicht weit weg von Kiew, bleibt alles, wie es ist. Der ehemalige Kolchosenbauer Fjodor kommt auf die Idee, im Teich Fische zu fangen, sie auf seinem Hof und im Haus zu trocknen, damit in die Stadt zu gehen und sie für viel Geld zu verkaufen. Ein guter Einfall, denn das Geschäft läuft gut, er wird immer wohlhabender. Nur seine Frau Olja ist unzufrieden: Sie erträgt den Fischgestank nicht, der jetzt über dem Hof liegt und alles überlagert. Und als Fjodor eines Tages nicht mehr wiederkommt, ist sie nicht traurig. Zu öde waren die dreißig Jahre mit ihm, zu nervig ist der Gestank. Fröhlich und frei verbrennt sie den Fisch, der noch zum Trocknen auf den Leinen hängt. Aber dann kommt ihr Mann eines Abends doch noch nach Hause, klettert über den Zaun und wird von ihr für einen fremden Eindringling gehalten. Wehrhaft ersticht sie ihn mit einer Heugabel. Als sie ihn dann doch noch erkennt und merkt, dass niemand ihre Tat bemerkt hat, verbrennt sie ihren toten Mann mit dem Herbstlaub und vergräbt die Reste, "und das Leben ging genau so weiter wie bisher". Nur dass der vertrocknete Aprikosenbaum, unter dem sie ihren Mann verscharrt hat, plötzlich wieder blüht.
So ist das Leben in der Ukraine und im Rest der ehemaligen Sowjetunion: Der Kapitalismus hält Einzug, manches wird besser, manches wird schlechter. Für viele aber bleibt alles gleich, und nur eine zufällige Tat, die auch eine Verzweiflungstat sein könnte, vom Schicksal aber doch als Glück angeboten wird, kann alles zum Guten wenden.
Mit seinem zauberhaften Roman "Picknick auf dem Eis" mit einem kranken Pinguin, der bei dem Ich-Erzähler wohnt, ist der ukrainische Autor Andrej Kurkow auch hier in Deutschland berühmt geworden. Mit Charme, Witz, viel schwarzem Humor und einem Sinn für das Skurrile erzählt er von den chaotischen Verhältnissen in der Ukraine nach dem Ende der Sowjetunion, von der Mafia, die die Macht jetzt mehr oder weniger offen übernommen hat und von seltsamen Helden, die sich allem verweigern, außer dem Glück. Und das kommt häufig ganz anders als man es erwartet.
In seinen neuen Geschichten erzählt er von solchen seltsamen Menschen: von einem Privatdetektiv, der einen Fall von Samenraub (per benutztem Kondom) aufklären soll und am Schluss selbst mit einer Vaterschaftsklage bedroht wird. Oder von dem Schriftsteller, der sich in Deutschland eine Spenderleber hat einpflanzen lassen und bei seiner Rückkehr von der Polizei erfährt, dass er das Organ eines ermordeten Politikers erhalten hat. Auch hier hatte die Mafia die Hand im Spiel, und die Polizei hat den Autor lückenlos und minutiös überwacht, um der Organspenderkriminalität auf die Spur zu kommen. Erzählt wird auch von einer Firma, die einen Extremtourismus unter anderem in Gefängnisse oder sogar in die verseuchte Tschernobyl-"Zone" anbietet, was sich dann aber als mystifizierter Gag herausstellt. Oder von Telefonzellen, in denen man mit dem Jenseits telefonieren kann.
In lebendiger, knapper, lakonischer, manchmal auch poetischer Sprache erzählt Kurkow fast im Plauderton wie ein neuer Märchenonkel, von all diesen kleinen skurrilen Begebenheiten, von seltsamen Menschen, die sich in der modernen Welt mit ihrer Korruption, Erpressung, ihrem Mord, Totschlag, ihrer Spitzelei und allgegenwärtigem Betrug irgendwie einrichten müssen. Es ist ein schwieriges Leben, mitunter nahe am Abgrund, immer bedroht von der nächsten Katastrophe - und gerade deswegen sehr glaubhaft. Kurkows Menschen aber suchen immer noch das Glück und manchmal finden sie es auch, aber anders, als es in der normalen Welt zugehen könnte.
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