Revolte und Terrorismus
Zwei Bände zur "antiautoritären Revolte der 68er" sowie zum "Terrorismus in der Bundesrepublik" liefern Analysen zur Einordnung der Revolte sowie zur Wirkung des Terrorismus in den 1970er-Jahren
Von H.-Georg Lützenkirchen
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSimon Kießlings Band "Die antiautoritäre Revolte der 68er" entstand als Dissertation an der Humboldt-Universität Berlin. Die Studie will die so genannte 68er-Revolte der Studenten zunächst einbetten in die vielfältigen "Auf- und Umbrüche der 60er-Jahre, zu denen der einsetzende Wandel des Geschlechterverhältnisses ebenso zählte wie die Ausbildung einer spezifischen Pop- und Jugendkultur und die rasante Verbreitung elektronischer Medien." Zugleich soll der "ausgeprägte Marxismus" der antiautoritären Revolte belegt werden. Im Kontext der Erläuterung der Bewegung als "Projekt der Moderne" soll schließlich der zentrale Kern der Studie ausgeführt werden, wonach die studentische Protestbewegung "in die ,säkulare Glaubens- und Religionsgeschichte der Moderne' (Friedrich Tenbruck) zu verorten" sei.
Tatsächlich gelangt der Band in der Analyse und Beschreibung der antiautoritären Revolte der 68er zu ebenso präzisen wie anregenden Erkenntnissen. Er beschreibt Handlungs- und Aktionsformen der Revolte auch vor 1968 detailliert und liegt auch in der polittheoretischen Einordung der Revolte als ,Erfüllung´ eines marxistischen Ansatzes richtig: die Anwendung von in der Ökonomie bewährter marxistischer Kriterien auf die Bereiche Kultur, Psychologie, Ästhetik und andere. Wenn man so will: eine späte Bestätigung der Theoriefestigkeit der Revoltierenden.
Problematisch wird der Band indes da, wo der Autor versucht, die festgestellten und beschriebenen Erscheinungsformen der Revolte als Indizien einer Weltflucht zu interpretieren. Dabei greift er auf eine von Hannah Arendt inspirierte Modernisierungstheorie zurück, in der das "Theorem der neuzeitlichen ,Weltflucht'" ausgeführt wird. Systematisch ,interpretiert' der Autor die Erscheinungsformen der Revolte als Entsprechungen zu den Arendt'schen Kriterien einer Weltflucht als "moderner Rückzug" aus einer "dinglich-materiellen ,Welt' auf biologische Lebensprozesse und in die Selbstreflexion bzw. Subjektivität".
Unmerklich rückt so vor allem im zentralen Kapitel über die Revolte als säkulare Religionsgeschichte diese immer mehr in die Nähe totalitärer Erscheinungen. Anhand von vermeintlich ,neutralen' Kriterien beschreibt der Autor in immer neuen Varianten den Rückzug der Bewegung aus der Welt und den Übergang in eine Art "säkularreligiöse, messianische Bewegung". Ihr ging es "um den Versuch, den Eigennutz und das Ego zu überwinden, sich in einem Kollektiv- und Massenzusammenhang aufzuheben und eine diesseitig gewendete religiös-mystische Einheit zu erreichen." Mag dies womöglich zutreffen für den an dieser Stelle der Studie als Zeugen zitierten Ex-Kommunarden Rainer Langhans und seinen esoterisch überdrehten ,Ausstieg' aus der Welt der Normalos, so ist eine solche Interpretation für andere Projekte der antiautoritären Protestbewegung schlichtweg falsch.
Skandalös sind die Passagen über Selbstermächtigung und Tötungsphantasien in der antiautoritären Bewegung, die eine Götterdämmerungsideologie nahelegen. Zunächst irritiert das spekulative Motiv, mit dem der Autor immer wieder Assoziationen zur Nazizeit nahelegt, etwa wenn er von einem "Vernichtungsimpuls" spricht, der in den "Allmachtsphantasien und [der] Selbstvergottung" der antiautoritären Bewegung zu finden sei. Er zitiert Flugblätter der Kommune I und setzt sie in Beziehung zu Beobachtungen Hannah Arendts über totalitäre Bewegungen, die "die Gesellschaft durch ein ironisch übertreibendes Bild ihres eigenen Verhaltens" und durch ein "Prahlen mit Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Amoralität" schockieren. Was aber außer dergleichen effektvoll miteinander verbundenen vermeintlichen Plausibilitäten führt der Autor an? Nichts, und so geraten derartige Passagen zu pseudowissenschaftlichen Ausführungen.
Ausgerechnet am Beispiel der tragischen Lebensverzweiflung Bernward Vespers möchte der Autor eine totalitäre Selbsterlösungsermächtigung zeigen, die als Konsequenz einer rigorosen Subjektivierung (Selbstermächtigung) schließlich den Tod als Erfüllung fordert. Aber Vesper taugt eben gerade nicht als Beleg für das autonome Subjekt, das zu dieser Art Selbstermächtigung in der Lage hätte sein können. Seine Unsicherheiten, seine Selbstzweifel und die Drogensehnsucht waren Ausdruck eines anderen "Subjektivismus". Der vertrug sich eben nicht mit dem Rigorismus der politischen Kader der Bewegung, in welchem der Autor eine Tendenz zur Selbstermächtigung sehen mag, weil sie ihn als apolitisch und ,schwächlich' ansahen. Tatsächlich aber brachte gerade der Subjektivismus der Zweifelnden ein Element der Lebenswirklichkeit wieder zurück in die Wahrnehmung der Bewegung. Freilich fehlte ihr als Ganzes ebenso wie im Einzelfall des Bernward Vesper eine Kompetenz, dieser Lebenswirklichkeit zu begegnen. Der Selbstmord ist Ausdruck einer existentiellen Verunsicherung und hat mit einer der Götterdämmerungsphantasie angelehnten Selbstermächtigung nichts zu tun.
Das vom Autor immer wieder effektvoll behauptete Aufgehen der antiautoritären Revolte in totalitarismusähnliche Erscheinungen setzt einerseits die völlige Vereinnahmung des Individuums voraus. Andererseits aber soll gerade die Autonomie des Individuums die ,Selbstermächtigung' erst möglich machen. An diesem Widerspruch zeigt sich das grundlegende Manko der Studie: Ab einem gewissen Punkt schließt der Autor einen politisch-emazipatorischen Begründungszusammenhang für die Revolte aus und versteht sie ,völlig losgelöst' von ihren Ursprüngen, die er doch vorher durchaus aussagekräftig beschrieben hat. Diese Form der Entpolitisierung löst die Revolte aus ihrem gesellschaftspolitischen Kontext und versteht sie als neutrales in sich geschlossenes Phänomen. Das führt zwangsläufig zu falschen Schlussfolgerungen im pseudowissenschaftlichem Gewand.
Möglicherweise kann die These einer Selbstermächtigung über Leben und Tod am ehesten bei jenen Folgeerscheinungen der 68er-Revolte zu Erkenntnissen führen, die als Terrorismus eine Phase der bundesrepublikanischen Realität prägten. Eben mit dieser Realität setzt sich der Sammelband "Terorismus in der Bundesrepublik, Medien, Staat und Subkulturen in den 1970er Jahren" auseinander. Der Band geht auf eine im Jahre 2004 in Bielefeld veranstalte Tagung zum Thema "Terrorismus und Innere Sicherheit in der Bundesrepublik der 1970er Jahre" zurück.
Neben Beiträgen zur politisch-soziologischen Einordnung des "Linksterrorismus" sowie zur Reaktion des Staates und seiner Sicherheitseinrichtungen auf die linksterroristische Bedrohung, die einen soliden Einstieg ins Themenfeld ermöglichen, sind die Beiträge zu "Subkulturen und Entstehungsmilieus" interessant. Sie beleuchten eine vielfach wenig beachtete Tradition einer subkulturellen "Ästhetik des Andersseins", deren Ursprünge möglicherweise schon in den "Halbstarken" der 50er-Jahre zu sehen sind. Wie diese motivierte auch die Gammlerbewegung der 60er-Jahre, der beispielsweise die Berliner "Unherschweifenden Haschrebellen" angehörten, ein stark antibürgerlicher Impuls, der durch die Aktionen rebellierender Jugendlicher etwa aus der Amsterdamer "Provo-Bewegung" von 1965/1966 zusätzliche politische Impulse bekam.
Bemerkenswert ist auch, dass Teile der subkulturellen Szene, wie beispielsweise die "Tupamaros München" mit ihren "situationistischen Provokationen" und der "clownesken" Gewalt durchaus noch einen praktischen, lebensweltlich orientierten Ansatz verfolgten, indem sie ihre Aktionen zu integrieren suchten in eine neue, zumindest provokante Jugendfürsorge. In dem Bemühen, eine benachteiligte Gruppe Menschen in eine oppositionelle Solidarität einzubinden, gingen freilich potenzielle innovative Formen des Miteinanders alsbald verloren. Die "Knastcamps" der Münchner Szene, aber auch ein so anspruchsvolles Projekt innovativer Therapieversuche wie das Heidelberger Sozialistische Patientenkollektiv verkamen schließlich zu bloßen Kaderschmieden der terroristischen Szene.
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