Vom Glück und vom Krieg

A.L. Kennedy erzählt von Alfred Day

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg war toll. Im Krieg wurde er gebraucht, hatte ein erfülltes Leben als Schütze in seinem Bombenflugzeug. Aber jetzt ist er vorbei, und Alfred Day muss sich wieder an den Frieden gewöhnen. Das ist nicht einfach. Vor allem nicht, weil er 1949 als Komparse bei einem Film über britische Kriegsgefangene mitwirkt und alles noch einmal hochkommt, was er so schön verdrängt hat. Und er noch einmal erleben muss, dass das Pathos eigentlich auch nur gespielt war, dass alles nur Pose war. Oder sein kann. Dass nicht einmal sein Heldentum so richtig etwas wert ist. Und alt fühlt er sich, dabei ist er noch nicht einmal 25 Jahre alt.

Weltgeschichte hat er erlebt und angerichtet, Bombereinsätze gegen deutsche Städte geflogen, Phosphorbomben über Hamburg abgeworfen. Und seine erste große Liebe hat er erlebt - mit Joyce in London, der Frau eines Soldaten, der in Fernost seinen Dienst leistete. Er hat Joyce in einem Luftschutzkeller kennengelernt, sie schreiben sich Briefe, lieben sich. Bis er in Deutschland abgeschossen wird und in einem Kriegsgefangenenlager in der Lüneburger Heide interniert wird. Danach stolpert er durch sein Leben, das genauso zerstört ist wie Deutschland. Seine Freunde sind tot, Joyce ist zu ihrem Mann zurückgekehrt, seine Mutter ist gestorben, seinen Vater hat er totgeschlagen (wenn er das nicht geträumt hat).

Die schottische Autorin A.L. Kennedy, die vor keinem literarischen Experiment zurückschreckt, die über das Glück, den Sex und die Religion herzzerreißend, poetisch und genau schreibt und zuletzt das seltsame Leben aus der Sicht einer verzweifelten, glückssuchenden und glückfindenden Alkoholikerin beschrieb, hat sich jetzt einen Soldaten als Helden ausgesucht, einen Menschen, der ebenfalls sein Glück sucht, aber es nicht zu finden vermag, der einen Krieg überstanden hat, immer als Sieger für die gute Sache gekämpft hat und dennoch nicht mit sich nicht im Reinen ist und auch nicht sein kann.

Oft erinnert der Roman an Virginia Woolfs "Mrs. Dalloway". Wie Woolf geht es auch Kennedy vor allem um die Befindlichkeiten und um die Verstörungen, die ein Krieg an gesunden jungen Männern anrichten kann. Brillant wechselt Kennedy die Erzähl- und Zeitebenen, springt von der ersten und zweiten zur dritten Person, streut Selbstgespräche ein, lässt ihren Helden bittere Sätze sagen: "Dein gebrochenes Herz ist immer noch nicht geheilt. Du vergisst es nicht, denn wenn du dich an manchen Tagen zu schnell umdrehst, dann stoßen die Teile deines Herzens zusammen und sie sind immer noch scharfkantig. Davon musst du husten."

"Day" ist ein intensiver Roman über die Brutalität des Krieges, über die alltäglichen Schrecken, aber auch über Freundschaft und Selbsttäuschung. Ein sehr politischer und sehr persönlicher Roman, leicht und gleichzeitig sehr verwirrend geschrieben, der tief in das Herz der Finsternis führt und doch mit dem großen Zeigefinger auf die Herren des Krieges zeigt: "Während ich an diesem Buch arbeitete, zog ein neuer Krieg herauf, unauffälliger und weiter entfernt als der Zweite Weltkrieg. In aller Stille kamen mehr und mehr Särge zurück, noch stiller waren die Männer und Frauen, die gebrochen nach Hause kamen. Mir wurde klar, dass ich ein Buch über das schreiben musste, was nach einem Krieg bleibt, darüber, wie man verändert nach Hause kommt - oder gar nicht. Und mir schien auch, ich müsste über jene Werte schreiben, die wir in den Kämpfen des Zweiten Weltkriegs zu verleugnen suchten, und über jene Werte, die wir im anschließenden Frieden feiern und pflegen wollten", sagt Kennedy. In ihren politischen Essays hat sie sehr scharf mit Tony Blair abgerechnet, in ihrem neuen Roman macht sie dasselbe auf einer sehr viel persönlicheren Ebene. Es ist dennoch nicht weniger eindringlich.


Titelbild

A. L. Kennedy: Day.
Übersetzt aus dem Englischen von Ingo Herzke.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2007.
352 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132147

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