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Joachim Sartorius hat Texte über deutsch-arabische Schriftstellerbewegungen herausgegeben

Von Thomas HummitzschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Hummitzsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwischen 2002 und 2007 besuchten sich deutsche und arabische Autoren in ihren Heimatländern und traten in einen schriftstellerisch-intellektuellen Austausch. Das Projekt "westöstlicherdiwan" verstand sich als eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Orient und Okzident. "Auserlesene Früchte der Begegnungen" finden sich in dem eindrucksvollen Sammelband "Zwischen Berlin und Beirut".

"Als ich sagte, es sei Freundschaft, was zwischen uns entstanden ist, wirkte das in Deutschland sentimental und im Libanon schlicht." So beschreibt Abbas Beydoun das entstandene Vertrauen zu seinem literarischen Partner eines kulturellen Austausches, Michael Kleeberg, den die "Berliner Festspiele" und das "Wissenschaftskolleg zu Berlin" im Herbst 2002 ins Leben riefen. Unter dem Titel "westöstlicherdiwan" sollten sich arabische und deutsche Literaten gegenseitig besuchen und über die Welt und Literatur des Anderen berichten. Den Auftakt bildete das Treffen des deutschen Schriftstellers Michael Kleeberg und des libanesische Lyrikers Abbas Beydoun 2002. Durch die Intensität dieser Begegnung und das nahezu blinde Vertrauen in das Wohlwollen und die Großzügigkeit des Anderen sind Texte von schonungsloser Offenheit sowie aufrichtiger Ehrlichkeit entstanden, die von literarischer Kraft und Dichte nur so strotzen.

Zu insgesamt elf Begegnungen mit 23 Autoren kam es von 2002 bis 2007 in Städten wie Berlin, Beirut, Kairo, Ramallah oder Teheran. Neben der vorliegenden Anthologie entstanden fünf Bücher, sowie weitere Essays, Reisenotizen und Gedichte. Während die wiedergegebenen "Reportagen" vor allem die jeweiligen Kulturen und Länder beschreiben, finden sich unter dem Zwischentitel "Dialoge" im Wesentlichen Texte, die die einzelnen Teilnehmer des betreffenden literarischen Tandems ins Auge des Betrachters rücken. Das Bindeglied zwischen diesen persönlichen Betrachtungen am Ende des Buches und den Beschreibungen der bereisten Länder und Kulturen am Anfang bilden die lyrisch verarbeiteten Eindrücke einiger Autoren. Die Autoren hatten in den meisten Fällen zumindest eine Gemeinsamkeit: Sie verband eine unstillbare Neugier und Offenheit für das Fremde und Unbekannte sowie der Ehrgeiz, die vielfältigen Eindrücke geistig zu durchdringen.

Faszinierend ist es festzustellen, wie die kulturellen Unterschiede in den Texten ihrer Autoren wiederkehren. So findet sich in fast allen Texten arabischer Autoren die Frage, wo sich die Geschichte Berlins in einem Stadtbild wiederfindet, welches diese zunehmend in Vergessenheit geraten lässt. Es finden sich auch Anspielungen an die so oft zu Feld geführte westliche Arroganz gegenüber der übrigen Welt; an die moralische Verwerflichkeit der Selbstüberschätzung und Höherbewertung des eigenen Daseins gegenüber dem des Anderen: "Auch die Höhe der Trümmerhaufen spielt keine Rolle, seien es die Trümmer eines Turms mit über hundert Stockwerken, eines Gebäudes aus der Gründerzeit oder der Schutt einer Müllhütte." Doch die arabischen Teilnehmer am "westöstlichendiwan" verstecken sich keineswegs hinter dieser Anklage des Westens, sondern sind sich der Tatsache bewusst, dass sich in vielen arabischen Ländern Regime abwechseln, "denen nicht daran gelegen ist, eine Situation zu schaffen, in der wenigstens Raum für Hoffnung bliebe."

Ganz anders fallen die Themen aus, mit denen sich die meisten deutschen Teilnehmer des deutsch-arabischen Austausches befassten. Ilja Trojanow stellte im Bahrain unter anderem fest, dass das kleine Königreich im Persischen Golf lediglich als Sodom der arabischen Welt dient, in dem sich arabische Scheichs mit "kaum volljährigen Thaimädchen" verlustieren. Und auch die übrige, so verhasste amerikanische Moderne habe mit Pizza Hut, McDonalds und Co. längst ihren triumphalen Einzug erhalten, so der deutsch-bulgarische Weltenbummlerliterat. Auch Moritz Rinke war mehr als erstaunt, als sich das von CNN geprägte Bild Ramallahs so nicht einstellen wollte und ihm statt Hamas-Terroristen "Frauen mit roten Lippen" über den Weg liefen. Einen literarischen Höhepunkt stellen ohne Zweifel Martin Mosebachs Kairo-Aufzeichnungen dar, Miniaturen, in die er seine unmittelbaren Eindrücke gefasst hat und in denen er sein sicheres Auge für die wichtigen Dinge des Daseins beweist. Mit den beschriebenen Details fängt er die einmalige Schönheit des Moments und des besonderen arabischen laissez-faire ein.

Und so bilden die ausgesuchten Beiträge der Autoren einen Anstoß für eine weitergehende Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur. Diesbezüglich muss nun ein Nachdenken auf beiden Seiten einsetzen. Es muss gemeinsam diskutiert werden, um miteinander und voneinander zu lernen. Nur auf diese Weise kann sich die erforderliche Sensibilität für die Umstände des Gegenübers und damit die Basis wechselseitigen Respekts entwickeln. "Zwischen Berlin und Beirut" - diese einzigartige und eindrucksvolle Dokumentation des wieder aufgenommenen west-östlichen Dialogs, macht dies mehr als deutlich.

Wie schreibt Abbas Beydoun in seinem Berliner Gedicht "Der Potsdamer Platz": "Höllenhunde bellen nicht am Potsdamer Platz." In einigen Regionen der arabischen Welt ist dies nicht so. Dies sollte der Westen nicht vergessen, wenn er sein Urteil über die arabische Kultur fällt. Und zugleich kann diese Tatsache nicht die alleinige Basis sein, auf der dem Orient begegnet werden kann - das käme seiner Herabwürdigung gleich. Die richtige Balance zwischen Verständnis und Anspruch findet sich allein im Dialog, in dem Versuch, sich selbst im Anderen zu erkennen.


Titelbild

Joachim Sartorius (Hg.): Zwischen Berlin und Beirut. West-östliche Geschichten.
Mit einem Vorwort von Navid Kermani.
Verlag C.H.Beck, München 2007.
287 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783406563683

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