Hammerschläge gegen Opportunisten

Florian Havemanns hinterhältige Familienchronik

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Florian Havemann geliebt zu werden, ist ein zweifelhaftes Vergnügen. Eigentlich liebt er sie ja alle, die er in seinem Buch detailreich porträtiert, um sie dann gnadenlos niederzumachen: seine Verwandten, seine Freunde und Freundinnen, ja selbst die Stasileute, die ihn in Hohenschönhausen verhört haben. Am liebsten würde er sie in den Arm nehmen und dann zusammen mit ihnen heiße Tränen vergießen über die vertrackten Zeitläufte, die sie allesamt zu "Havemännern" gemacht haben. Rund 1.100 Seiten braucht Florian Havemann, um das deutsche Phänomen "Havemann" zu umkreisen. Denn "Havemann", das ist für ihn das Synonym für den klassischen Opportunisten, den schon Heinrich Heine ausmachte, als er vor denjenigen warnte, die öffentlich Wasser predigen und heimlich Wein trinken.

Etwa die Hälfte seines Werkes umfasst denn auch die Abrechnung mit der eigenen Familie. Zuerst wird der Großvater auf's Korn genommen: Lehrer in der Weimarer Republik, dann Schriftleiter einer NS-Zeitung, nach Kriegsende alsbald Mitglied der SED, die, wie wir heute wissen, gerne solche willigen Renegaten aufgenommen hat; dann natürlich der Vater Robert, der seine Universitätskarriere ebenfalls unter den Nazis begann, dann eine Widerstandsgruppe mitbegründete, weswegen ihn Freisler zum Tode verurteilte. In der Haft habe er sich, so sein Sohn, den Henkern angedienert, seine Mitverschwörer verraten und damit sein Leben gerettet. Später trat er der SED bei, arbeitete für die Stasi und genoss sämtliche Privilegien, bis ihn Machtkämpfe innerhalb der Partei zum Oppositionellen werden ließen.

Aber auch in dieser Situation sei es nicht um prinzipielle politische Differenzen gegangen, sondern darum, dass sein Vater in seinem Narzissmus gekränkt worden sei. Dass der über den Vater verhängte Hausarrest keineswegs so lang und so drückend gewesen sei, wie immer angenommen, hat Florian Havemann schon 1978 in seinem Spiegel-Artikel behauptet, den er hier noch einmal in voller Länge wiedergibt. Darüber hinaus beschreibt Florian Havemann die ewige Jagd des Vaters nach jungen Frauen geradezu genüsslich, ein Trieb, der selbst vor der eigenen Tochter nicht halt gemacht und der wesentlich dazu beigetragen habe, dass die Ehe der Eltern auseinander ging.

Die Mutter, von adliger Herkunft, wurde ebenfalls Parteimitglied und Stasimitarbeiterin, einerseits aus Überzeugung, andererseits um ihre Familie zu schützen. Die Aufarbeitung des Familienhintergrundes hat, ebenso wie das gesamte Buch, durchaus etwas Ödipales und Selbstquälerisches. Der schonungslose Blick auf Herkunft und Elternhaus legt die Prozesse frei, die er dafür verantwortlich macht, dass er sich ein Leben lang nicht angenommen fühlte.

Die zweite Hälfte des Buches ist stärker dem eigenen Werdegang gewidmet. Hierbei dominiert die Auseinandersetzung mit Wolf Biermann, der ihn nach seiner Flucht aus der DDR in einem Gedicht zum "Enfant perdu" stempelte und zum "Abgang" zählte, derweil er selbst schon mit seiner Übersiedlung, nicht Ausbürgerung, so Florian Havemann, geliebäugelt habe.

Havemann macht sich seine Freunde allesamt zu Feinden, indem er sie unter Opportunismus-Verdacht stellt. Wenn sie sich dazu stellen würden, könnten sie sein Wohlwollen zurück erlangen. Er vertritt seinen ethischen Rigorismus mit einem Furor, der vor keinem Halt macht, nicht einmal vor sich selbst. Hierbei ist er allerdings fein heraus. Nein, das möchte er mit seiner Autobiographie beweisen, ein Opportunist ist er niemals gewesen. Wie für seine Eltern, so ist er auch für seine Lehrer "nicht erziehbar". Gegen den Rat des Vaters protestiert er 1968 öffentlich gegen den Einmarsch der Warschauer-Pakt Truppen in Prag und geht dafür ins Gefängnis. Der mitangeklagte Bruder dankt der Richterin am Ende der Haft. Die Schilderung der Hafttage ist sicher ein ebenso beeindruckendes wie bedrückendes Stück Vergangenheitsbewältigung. Das komplett abgedruckte psychologische Gutachten des Anstaltsleiters trifft den Charakter des sechszehnjährigen Deliquenten genau, wie dieser selbst eingesteht, und ist doch zugleich ein Zeugnis zynischer Menschenverachtung.

Nach der Haft geht Havemann in die Produktion, wo er eine genaue Innenansicht des Arbeiterstaates erwirbt. Weil er sich nach seiner Flucht den Westverhältnissen nur schwer anpassen kann, hat er, anders als seine Künstlerfreunde Biermann, Thomas Brasch oder Nina Hagen, als Maler und Dramatiker nur wenig Erfolg. Einen gewissen Höhepunkt erreicht sein Anti-Opportunismus, als er von der PDS zum Brandenburger Verfassungsrichter vorgeschlagen und gewählt wird. Florian Havemann zählt sich selbst und mit einer gewissen Selbstgerechtigkeit zu den wenigen 68ern der DDR. Konsequent verfolgt er deren Maxime: Das Private ist das Politische.

Viele, die Havemann jetzt kritisieren, weil er sich mit manchen Enthüllungen auf Boulevard-Niveau begeben habe, werden nur die erste Hälfte seines Buches gelesen haben, während doch in der zweiten Hälfte ein deutsches Schicksal zu besichtigen ist. Manche seiner Seitenhiebe mögen wie "Hammerschläge" wirken. Süffisant erklärt er seinen Vater zum "Staatsfeind mit Pensionsberechtigung" und die Liedermacherin Bettina Wegener zur "Kitschdrüse". Das sitzt, ohne dass sich dabei eine "Grinsgeselligkeit" (Peter Handke) einstellt.

Viele Rezensenten kritisieren denn auch und vor allem Havemanns Brachialstil, der tatsächlich an das Gebetsmühlenhafte und Vatermörderische des Expressionismus erinnert. Die Brutalität ist indes gewollt und liegt in der Natur der literarischen Abrechnung. Das wusste schon Klaus Mann, als er seinen Schwager als "Mephisto" beschrieb. Gleichwohl wehren sich auch jetzt wieder einige Betroffene mit juristischen Mitteln. Der Verlag zog das Buch bereits zurück und wird es kürzen. Das sollte allerdings all jenen zu denken geben, die sich noch unlängst für Maxim Billers "Esra" und für die Freiheit der Kunst einsetzten. Während es dort um Enthüllungen aus dem Liebesleben ging, wird es Havemann offenbar verübelt, wenn er Personen demontiert, die sich ansonsten gerne der Öffentlichkeit präsentieren.

"Nur meine Wahrheit zählt", schreibt er bereits auf der ersten Seite. Diese subjektive Sicht muss erlaubt sein, wenn es sich um Ansichten eines deutschen Charakters handelt. Die Verehrungshaltung gegenüber ihren Helden ist den Deutschen eben nur durch "Hammerschläge" auszutreiben oder aber, indem man sich über die Denkmalsgestalten lustig macht. Denn "Havemann" ist auch eine Farce. "Die Armen, die mich kennen", bedauert der Autor gleich zu Beginn etwas hinterhältig seine Opfer, um dann fortzufahren: "Die mich kennen und dieses Buch lesen werden. Obwohl ich ihnen davon abraten werde, es zu lesen."

Am Ende der tausend Seiten zählt der Leser dazu. Er ist aber nicht ärmer, sondern um einige Erfahrungen, Einsichten und auch Ärgernisse reicher geworden.


Kein Bild

Florian Havemann: Havemann. Eine Behauptung.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
1091 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-13: 9783518419175

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch