Leise Töne, keine Melodien
In Susanne Schädlichs literarischem Debüt "Nirgendwoher, irgendwohin" herrscht nur Disharmonie
Von Martin Spieß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseManchmal ist Literatur wie Musik. Das Buch ist dann Partitur, und schlägt man es auf, so entfalten sich im Vorüberfliegen der Buchstaben Harmonien, es werden Themen gespielt, wieder aufgenommen und variiert. Das ist dann mal so pompös und brachial wie Richard Wagner, der sämtliches Inventar mit der Keule zerlegt, und mal so leicht und beschwingt, dass Debussy'sche Streicher so zart an einen heran klingen, dass man Mühe hat, etwas zu hören. Aber, wie die Münchner Rapper von Blumentopf 1999 sprechsangen, machen "auch die leisen Töne Melodien."
Susanne Schädlich, Jahrgang 1965, hat dieses fast unhörbar Leise in ihrem literarischen Debüt "Nirgendwoher, irgendwohin" in eine Geschichte zu verarbeiten versucht. Protagonistin Ljuba kommt in Los Angeles an, und ist doch nicht da. Die Stadt ist ihr fremd, und sie will sich Ljuba auch nicht anverwandeln. Nichts ist vertraut, allem fehlt die Leichtigkeit, die Ljuba so sehr sucht und doch nirgendwo findet. Trotzdem wird sie mehr und mehr Teil dieser großen Stadt, oder zumindest Teil der Masse, der die Stadt genauso fremd ist wie ihr: Dann sitzt sie in Bars, raucht und trinkt viel. Einzelne Massen heißen L. und E. und O. und dergleichen mehr, und sie geben Ljuba Ratschläge, wie sie sich in diesem Monstrum von Metropole zurechtfinden kann. Aber sie findet sich nicht zurecht, sie kann es nicht.
Der Grund dafür bleibt unklar. Schließlich lernt Ljuba in einem Waschsalon einen Mann kennen: "Ljuba ist überrascht. Ausgerechnet der Waschsalon ein Ort der Begegnungen." - mehr als ein beiderseitiges Lächeln kommt aber nicht zustande. Sie trifft ihn in einem Supermarkt wieder, lehnt seine Einladung zu einem Essen ab, bereut aber ihre Entscheidung: Vielleicht kann sie mit ihm hier ankommen? Als sie ihn dann schließlich wieder trifft, entspinnt sich eine lange berührungs- und kusslose Beziehung, die umso skurriler wird, je länger sie dauert. Irgendwann geht er, und auch Ljuba verlässt die Stadt. Warum er geht, warum er nie bei ihr ankommen wollte, das bleibt im Dunkeln.
Eine klassische Handlung gibt es nicht. Ljuba arbeitet, trinkt und raucht, ist dann verkatert, macht Kaffee, duscht, zieht sich an und geht wieder arbeiten. Das wäre gar kein Problem, hat diese Nicht-Handlung vom Nicht-ankommen-können doch Potenzial zum Besagten meditativ Leisen. Schädlichs Sprache aber lässt diese Möglichkeit nicht zu. Wollte man es wohlwollend formulieren, so würde man sagen, dass ihre Sprache sehr minimalistisch ist. Tatsächlich aber ist sie ein wild wucherndes Gewächs voller Stilblüten: "Dabei denkt sie, dass die Menschen, die sie an dem Ort ausmachte, den Ort ausmachten." Dann Sätze, die einer Grundschulfibel entnommen zu sein scheinen: "Es soll Salat geben, und Brot. E. holt Salat und Brot". Der Leser schließlich kann die stille Fast-Geschichte nicht genießen, weil die Lektüre dieser Sprache schlicht zuviel Arbeit bedeutet. Aus Susanne Schädlichs Partitur "Nirgendwoher, irgendwohin" kommt leider keine Musik, sondern lediglich Disharmonie. Und das trotz des schönen Quasi-Librettos.
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