Heimat, zufällig gestoppt

In einer Mischung aus Text und Bild entdeckt die Zeitschrift "sprachgebunden" das Temperament des Übersetzens

Von Christoph CölnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Cöln

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Hitze", das ist der Titel der neuen Ausgabe von "sprachgebunden" und schnell ist klar, dass damit nur die aus Reibung entstandene Energie gemeint sein kann. Versteht sich das Heft doch als Dossier, als bewegte, weit hergeholte Text- und Bildsammlung, deren Spannung sich aus der Konfrontation vielfältigster Formen und Stile ergibt. Offeriert wird eine spannende Auswahl literarischer Beiträge, sei es aus dem Ungarischen, Kroatischen oder dem exotischen Portunhol, einer Mischsprache, die im Grenzgebiet zwischen Uruguay und Brasilien beheimatet ist. Wunderbar ergänzt wird diese gegensätzliche Mischung nicht zuletzt von einigen sehenswerten Bildbeiträgen.

Schon die vergangene Ausgabe von "sprachgebunden" widmete sich gleichermaßen dem Übersetzen und der Unmöglichkeit dieses Vorhabens. Denn Übersetzen muss immer eine sprachliche Näherungsbewegung an ein ziemlich flüchtiges Ideal bleiben - insofern erscheint auch nun wieder das Artistische als Eroberungspraxis von Grenzräumen als Eigenräumen. Odile Kennel nutzt diesen Experimentierplatz, um gleich eine neue Kunstsprache, das "Denglitasösisch" zu kreieren, in die sie die Gedichte Douglas Diegues übersetzt. So etabliert der Mangel an Referenz das Echo des Falschrichtigen spielerisch, fast dadaistisch.

Den Rhythmus des Fiebrigen, jenes entzündete Pochen zeichnet dagegen Paulus Böhmers Fortsetzung eines Gedichtzyklus' von 2002 aus. "Kaddish" ist eine gewaltige lyrische Kaskade, die Anleihen bei dem Ritual der jüdischen Totenklage nimmt. Schon der Titel allein klingt geheimnisvoll, ähnlich den vielen, abgründigen Einzelstrophen, die der Kaddish enthält. Darin bringt Böhmer die strenge Form des religiösen Rezitativs mit einem zerebralen Sammelsurium an Alltäglichem, Historischem und Fantastischem nicht nur stilistisch fast zur Implosion.

Der eigentliche Drahtseilakt des "Kaddishs" liegt jedoch in der sprachlichen Unaufhörlichkeit begründet, dem Tremolo szenischer Beschwörung, das zugleich mystisch, ekstatisch und doch fatal bei sich selbst ist. Die hier gelegentlich auftretende, spirituelle Überhitzung im Anschreiben gegen das Leben, das doch immer auch eine Empörung gegen den Tod ist, mag an Gottfried Benn erinnern. Benns lakonisch-morbide Lyrik mit ihren kühl taxierten Wallungswörtern war schließlich auch nie frei von pseudoreligiösem Firlefanz. Jedenfalls ist Böhmer eine Wieder-Entdeckung, einer der mehr zu bieten hat als die vielen, von der Befindlichkeitseuphorie noch immer umnebelten Neudichter, die sich leider in fast jeder Zeitschrift finden.

Was "sprachgebunden" vor allem ausmacht, und wodurch es sich von anderen Editionen dieser Art wohltuend abhebt, ist der spezielle cut mit dem weithin unbekannte Texte und innovatives Bildmaterial zusammengebracht werden. So faszinieren, mehr noch als die ambitionierte Dichtung, sehenswerte Grafiken wie die surrealistischen Collagen Ruth Habermehls oder die entfremdeten, menschenleeren Interieurs Bas Coenegrachts. Dessen morbide, traditionell durchkomponierte Traumbilder, stehen nur vermeintlich im Widerspruch zu Habermehls Herz erwärmenden Heimatpanoramen, die bei genauerem Hinsehen einem zufällig gestoppten Bildgenerator entnommen scheinen.

Aus beiden spricht die existentielle Vergeblichkeit des Menschen. Wenn Habermehl mit dokumentarischem Gestus kleinste bürgerliche Idyllen zu einem einzigen Tafelbild montiert, dann wird plötzlich der Sprung in der Zeit sichtbar, in den die Figuren zu fallen drohen. So etwas passiert eben, wenn Heißes allzu schnell auf Kaltes folgt.


Kein Bild

Jan Valk / Jonas Reuber (Hg.): Sprachgebunden. Zeitschrift für Text + Bild.
edition chimera, Köln 2007.
120 Seiten, 7,00 EUR.
ISSN: 18604617

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