Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Deutschland?

Wilhelm Heitmeyer schreibt über "Deutsche Zustände"

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit der Reihe "Deutsche Zustände" verfolgt Herausgeber Wolfgang Heitmeyer das Ziel, Ergebnisse eines über zehn Jahre (2001 bis 2011) angelegten Forschungsprojekts zu "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" zu publizieren. Die sozialwissenschaftliche Definition der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" bezieht sich auf die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen aufgrund einer bestimmten, gewählten oder durch andere zugewiesenen Gruppenzugehörigkeit, durch welche sie in den Augen anderer als ungleichwertig angesehen werden. Die Ungleichwertigkeit stellt dabei das zentrale Konzept dar und gilt für die verschiedenen Forschungsrichtungen wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Heterophobie, Islamophobie, Etabliertenvorrechte und Sexismus gleichermaßen. Der Fokus des dritten Bandes liegt nun auf den Folgen sozialer Spaltung, dem anhaltenden Antisemitismus in Deutschland und geschlechtsspezifischer Feindseligkeit.

In seinem einleitendem Beitrag stellt Heitmeyer die theoretische Konzeption des Forschungsprojekts sowie die Ergebnisse der Jahre 2002 bis 2004 vor. Diese ersten Ergebnisse zeigen, dass "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Zusammenhang mit Desintegrationsgefahren und politischen Partizipationschancen steht. Nehmen soziale Ängste wie beispielsweise die Angst, arbeitslos zu werden, zu, zeigen sich bei diesen Gruppen höhere Werte der "Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit". Rechte politische Gruppen machen sich dieses Phänomen zu Nutze und können damit Wahlerfolge insbesondere auch in den neuen Bundesländern erzielen.

Der zweite Teil des Buches stellt die Ergebnisse verschiedener empirischer Studien vor. So zeigen Jürgen Mansel und Wilhelm Heitmeyer, dass die soziale Spaltung der Gesellschaft zugunsten einer finanziellen Umverteilung von unten nach oben zu einer Zunahme von Personen führt, die sich von sozialer Abwertung bedroht fühlen und die wiederum mit einem Anstieg "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" auf die wahrgenommene soziale Desintegration reagieren.

Carina Wolf und Kollegen setzen sich mit der Vorurteilsrhetorik "Das Boot ist voll!" auseinander. Je höher der Anteil von Ausländern in einem bestimmten Gebiet ist, desto positiver sind die Einstellungen gegenüber diesen - und je niedriger der Ausländeranteil, desto ausgeprägter sind Vorurteile und Ausländerfeinlichkeit, lautet der zentrale Befund des Beitrags und liefert damit wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Integrationspolitik.

Die Auswirkungen sozialer Beziehungen auf Vorurteile und geschlechtsspezifische Aspekte "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" werden von Kirsten Endrikat, Rainer Strobl sowie Beate Küpper und Wilhelm Heitmeyer untersucht. Entgegen dem Stereotyp der mitfühlenden, hilfsbereiten und friedfertigen Frau zeigt sich, dass Frauen im Vergleich zu Männern signifikant fremdenfeindlicher, rassistischer und islamophobischer sind als Männer. Dies trifft insbesondere auf die Gruppe niedrig qualifizierter Frauen aus Ostdeutschland zu, die sich auch subjektiv übermäßig von Desintegration bedroht fühlen.

Die letzten beiden Kapitel dieses Teils widmen sich der Rechtfertigung von Vorurteilen und einem als Israelkritik "getarnten" Antisemitismus. 47 Prozent der deutschen Bevölkerung sind der Meinung, dass Ausländer in Deutschland an den bestehenden Vorurteilen selbst schuld seien, woraus gesellschaftlich eine gefährliche Immunisierung und Normalisierung resultiert. Die Analyse der deutschen Presse zeigt, dass insbesondere die Berichterstattung über die Konflikte zwischen Israelis und Palästinensern antisemitisch und pro-palästinensisch geprägt ist.

Der dritte Teil des Bandes verfolgt verschiedene Fallgeschichten, über die in der Presse eher randständig berichtet wurde, die aber prominente Beispiele für aktuelle "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" in Deutschland sind. Dabei wird auch die mangelnde Zivilcourage deutlich. Entsprechend werden im fünften Buchteil mit der Überschrift "Eingreifende Menschen" auch nur zwei Beispiele aktiver Zivilcourage vorgestellt. Mag die Zahl "eingreifender Menschen" auch deutlich über diese Beispiele hinausgehen, ist es aber wohl richtig anzunehmen, dass sie im Vergleich zur Zahl der duldenden, zuschauenden oder aktiv fremdenfeindlichen, antisemtischen oder homophoben Menschen verschwindend klein ist.

Zentral ist die Frage nach politischer und gesellschaftlicher Reaktion auf die vorgestellten Befunde und Fallgeschichten, der im vierten Teil nachgegangen wird. Dabei zeigt sich auf politischer und gesellschaftlicher Ebene ein Versagen im öffentlichen und privaten Bereich. Antisemitischen Äußerungen wird privat kaum entgegengetreten und beim politischen Kampf um "die Mitte" muss sich in Zukunft zeigen, inwieweit die großen und meinungsbildenden Parteien den Mut aufbringen, Normgrenzen zugunsten der Randgruppen zu setzen oder diese zugunsten des Fischens "am rechten Rand" aufgeben, so Werner Bergmann und Wilhelm Heitmeyer.

Mit dem aktuellen Einwanderungsgesetz und der daraus resultierenden Einwanderungspolitik leistet die politische Mitte, wie Karl-Heinz Meier-Braun zeigt, zumindest keinen positiven Beitrag zu einer ausländerfreundlichen Einstellung. Und einem Desintegrationsprozess, welcher "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" nachweislich fördert, wird mit den Hartz-IV Gesetzen weiter Vorschub geleistet, wie Klaus Dörre in seinem Beitrag schreibt. Dabei spielt vor allem auch die subjektive Wahrnehmung, von einem sozialen Abstieg bedroht zu sein, eine zentrale Rolle.

Insgesamt fasst dieser dritte Band der "Deutschen Zustände" eine Vielzahl wichtiger Forschungsergebnisse zusammen und liefert mit den Fallgeschichten und aktuellen Befunden aus Gesellschaft und Politik viele Ansatzmöglichkeiten, um "Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit" in Deutschland aktiv entgegenzutreten. Dies kann sowohl als eine Aufforderung an Politiker und Parteien verstanden werden aber auch an die eigene Zivilcourage.

Schade nur, dass die Fußnoten, in welchen sich viele weitere interessante Anregungen finden, leserfeindlich ans Ende der jeweiligen Beiträge verbannt wurden. Und bei großem Bemühen aller Autoren, die statistischen Daten auch für den Laien gut lesbar darzustellen, haben sich leider kleinere Fehler in Tabellen und Fußnoten eingeschlichen, die allerdings vom kundigen Leser dennoch richtig verstanden werden können.


Titelbild

Wilhelm Heitmeyer (Hg.): Deutsche Zustände. Folge 3.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
280 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-10: 3518123882

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