Keine Angst vor Klischees

Ein Interview mit Finn-Ole Heinrich

Von Lino WiragRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lino Wirag

Wer ist Finn-Ole Heinrich: Student, Autor, Filmemacher?

Im Moment alles davon. Student bin ich aber nicht mehr lange - und auch nicht mehr besonders intensiv. Autor und Filmemacher will ich aber noch eine Weile sein. Es geht aber gerade erst los damit, dass ich mein Leben so führen kann, wie ich es mir vorstelle und wünsche.

Die Haupthandlung von "Räuberhände" spielt in Istanbul. Wie sah die Recherche aus? Bist Du in die Türkei gereist?

Ja. Die Recherche war in erster Line ein Aufsaugen der Atmosphäre dieser Stadt: Ich bin mit großen Augen durch die Straßen getaumelt und habe versucht, möglichst viele Eindrücke einzufangen und abzubilden. Ich habe versucht, so naiv, bewundernd und gierig durch die Stadt zu laufen, wie Janik und Samuel (aus "Räuberhände") es tun. Im Grunde habe ich nichts getan, als zu laufen, zu schauen, zu riechen, zu spüren - und das Ganze abends festzuhalten. Nach der Hälfte des Urlaubs bin ich krank geworden und habe die restlichen Tage im Bett verbracht; vielleicht eine Art Überidentifikation (mit der Romanfigur Samuel). Jedenfalls war es für das Buch vorteilhaft, sich krank zu fühlen in der Hitze, der Fremde; und es auch gleich in Textform zu bringen.

Kann man "Räuberhände" als Bildungsroman bezeichnen? Als ein Buch, das "den Entwicklungsprozess eines - meist jungen - Helden zum Thema hat"?

Ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber der Definition nach würde ich sagen: ja. Im Grunde geht es um die Entwicklung zweier junger Menschen, um ihre Freundschaft, die Suche nach Identität und einem eigenen, selbstbestimmten Leben, einem Plan, einem Entwurf.

Würde der Roman auch als Jugendbuch durchgehen?

Das Buch kann natürlich von jungen Menschen gelesen und verstanden werden - besonders, weil die Hauptfiguren in ihrem Alter sind, weil ihre Konflikte, ihre Sprache und Erfahrungswelten die von jungen Erwachsenen sind; also könnte man sagen, es sei ein Jugendbuch. Ich glaube aber nicht, dass es nur für diese Zielgruppe interessant ist. Ich glaube, das Buch setzt sich auf eine ernste Weise mit dem Leben auseinander, mit Erwartungen, Enttäuschungen, Ansprüchen und speziell mit Freundschaft, mit Konventionen und Rebellion. Das ist eigentlich interessant für jeden, unabhängig von Alter oder Geschlecht. Man muss nur - wie bei jeder Geschichte - bereit sein, sich von den Figuren mitnehmen zu lassen, sich mit ihnen zu identifizieren, sich in sie hineinzudenken - und das bieten Janik und Samuel an, glaube ich.

Das Buch behandelt sehr heterogene Welten: die der spießigen Lehrereltern und die der Parkbank-Alkoholikerin. Hattest du Angst vor Klischees?

Nein, eigentlich nicht. Natürlich besteht die Gefahr, in Sozialromantik abzudriften, aber das Risiko muss man eingehen: Dafür bekommt man auch die Chance, das alles zu umschiffen und mit neuen Ansichten zu überraschen. Zum Schreiben gehört eben auch Mut.

Wie wichtig war die Rolle deines Verlags bei der Entstehung des Buches? Hat er dich unterstützt, dir Vorgaben gemacht?

Der Verlag hat mich total unterstützt! Ich hatte immer einen Ansprechpartner, den ich mit Fragen, Ideen und Zweifeln belästigen konnte; wir haben viel zusammen herumüberlegt. Bei einem anderen Verlag wäre es ein anderes Buch geworden - und mit ziemlicher Sicherheit ein schlechteres.

Wie würdest Du deine Texte und ihre Machart beschreiben?

Was den Klang, den Sound meines Schreibens betrifft: Ich bin immer auf der Suche nach einer einfachen, präzisen Sprache, die dem Stoff angemessen ist (was natürlich auch bedeuten kann, einen auf den ersten Blick unangemessenen Ton zu wählen, also Tragisches komisch zu erzählen und Komisches tragisch). Die Sprache darf sich aber nicht in sich selbst verlieren. Natürlich freue ich mich, wenn mir kleine sprachliche Highlights gelingen, Ungewöhnliches, Ungehörtes, Überraschendes; Sätze, die plötzlich die Kraft haben, zu rühren.

Wie ist dein Verhältnis zur Spoken-Word- beziehungsweise Poetry-Slam-Szene, in der du vor einigen Jahren aktiv warst - gibt es noch Kontakte?

Im Grunde wenig. Mein Abschied aus der Szene hat vor zwei oder drei Jahren stattgefunden, weil ich dort nicht mehr (und genau genommen auch nie wirklich) hineingepasst habe. Mein Verhältnis zu Spoken Word ist aber gut, denn erstens tummeln sich dort ein Haufen sehr netter und talentierter Menschen, und zweitens habe ich der Szene eine Menge zu verdanken - ich bin dort groß geworden, durfte mich ausprobieren, messen, auf eine Bühne stellen, man hat mir zugehört und mich ernst genommen. Das ist toll und wichtig für jeden Autor. Als Testfeld ist das prima, aber wenn man es wirklich ernst meint, braucht man auch andere Kanäle.

Welche Kollegen oder welche Kolleginnen liegen auf deinem Nachttisch?

Ich lese unfassbar wenig, weil mich das meistens nervös macht und ich mich schlecht konzentrieren kann. Aber ich habe trotzdem einen Stapel Bücher neben dem Bett liegen: im Moment John M. Coetzee, Jurek Becker und Max Frisch.

Was macht Finn-Ole Heinrich in zehn Jahren?

Was ihm Spaß macht, hofft Finn-Ole heute.