Leben bis in den Tod

Eine ungewöhnliche Romanbiographie der niederländischen Autorin Connie Palmen

Von Julia SchmitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schmitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist, als hätte sich Connie Palmen am eigenen Herzen operiert, um ihren Roman zu schreiben. Es ist, als hätte sie sich freiwillig einem chirurgischen Eingriff bei vollem Bewußtsein unterzogen und hätte auch noch selbst das Skalpell geführt.

"I. M. Ischa Meijer - In Margine, In Memoriam", ihr drittes Werk nach "Die Gesetze" und dem mit dem niederländischen AKO-Literaturpreis ausgezeichneten Roman "Die Freundschaft", ist auf der einen Seite gekennzeichnet von einer unglaublichen Leidenschaft, die sich sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene bemerken lässt, auf der anderen Seite findet man genauso oft philosophische Denkanstöße und zum Teil sehr ironische Anmerkungen, die Connie Palmens literaturwissenschaftliche und philosophische Bildung durchschimmern lassen.

Zentraler Erzählgegenstand ist die tragische Liebesgeschichte zwischen Connie Palmen und Ischa Meijer, einem berühmt-berüchtigten Talkmaster, Entertainer und Journalisten in den Niederlanden. Es ist eine Liebe voller Leidenschaft und sie wird auf eine außergewöhnlich intime Art erzählt. Dabei scheint die Distanz zwischen Leser und Erzähler fast aufgehoben zu sein.

Wenn Connie Palmen im ersten Teil ihres Buches "In Margine" den Leser mit ihrer Leidenschaft mitreißt, lässt sie ihn im zweiten Teil "In Memoriam" in gleichem Maße ihren Schmerz und ihre Verzweiflung spüren. "In Memoriam" ist die Auseinanderstzung mit dem Tod des Geliebten, der sie selbst fast vernichtet hätte. Die Gefühle des Lesers werden durch das Wissen, dass es einen autobiographischen Bezug gibt, noch intensiviert. Dieses Buch ist mehr als nur irgendeine Autobiographie oder irgendeine von unzähligen Liebesgeschichten. Doch lässt es sich überhaupt dem Gattungsbegriff Autobiographie zuordnen? Connie Palmen spricht selbst diese Problematik an. Wie verhält "es sich mit dem Autobiographischen und der Fiktion?" Wo ist der Unterschied zwischen Realität und Fiktion? Oder ist die "Fiktion ein Teil der Wirklichkeit"? Dieses Buch hat mit "Tatsache und Fiktion, Schein und Wirklichkeit, dem Banalen und dem Sakralen zu tun." Es geht um "Philosophie und Religion und [darum], dass das Schreiben eine Art Bindeglied zwischen beidem ist."

Connie Palmen wußte schon, bevor Ischa Meijer starb, dass das Buch über ihre Beziehung "eine furchtbare Liebesgeschichte" werden würde, "weil eine große Liebe [...] nun einmal genau das macht, was eine große Liebe immer und ewig macht, sie führt sie nämlich zu dem zurück, was ihrer Liebe anhaftet, zum Schmerz, zur Verzweiflung, zu den Ängsten und Unzulänglichkeiten." Auch diese Aussage kann als Indiz für ihre literaturwissenschaftliche Bildung gesehen werden. Sie abstrahiert von ihrem eigenen Schicksal, bzw. zeigt anhand ihres Schicksals etwas Allgemeingültiges auf. Sie sieht letztlich in ihrer Liebesgeschichte mit Ischa Meijer eine Variante uralter Geschichten, die in immer anderen Formen wiederkehren, ohne ihre eigene, individuelle Liebesgeschichte in ihrer absoluten Besonderheit und Einmaligkeit schmälern zu wollen.

Ihr scharfsinniger und analysierender Geist kennt auch die Abgründe der Seele, die unbewußten Ängste, die sie in so detailierter Form darlegt, dass man sich zum einen manchmal in einigen Verhaltensmustern wiedererkennt oder gar entarvt fühlt, sich zum anderen aber auch fragt, wieso sie sich dem unbekannten Leser so sehr offenbart.

Letztlich ist es gerade jene Erzählhaltung, die den Leser diese Liebe, die sich eben häufig erst im Blick en detail, das heisst in kleinen Gesten, unterschwelligen Anmerkungen oder auch unangenehmen 'Begleiterscheinungen' wie Angst und Eifersucht offenbart, erkennen läßt. "I. M." ist der letzte Liebesbeweis, den Connie Palmen Ischa Mewijer erbringen konnte und gleichzeitig das Plädoyer einer Liebenden, die ihre Liebe verloren hat. Auch Menschen, die die Erfahrung selbst nicht gemacht haben, werden, nachdem sie "I. M." gelesen haben, nachvollziehen können, wie es ist, einen geliebten Menschen zu verlieren.

Titelbild

Connie Palmen: I. M. Ischa Meijer, In Margine, In Memoriam.
Diogenes Verlag, Zürich 1999.
399 Seiten, 20,40 EUR.
ISBN-10: 3257062249

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