Aktualität der Metapher, Wiederkehr der Rhetorik

Zum "rhetorical turn" in den Humanwissenschaften

Von Dietmar TillRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dietmar Till

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Betrachten wir einige Sätze aus der Alltagssprache: "Ihre Behauptungen sind unhaltbar"; "Er griff jeden Schwachpunkt in meiner Argumentation an"; "Seine Kritik traf ins Schwarze"; "Ich schmetterte sein Argument ab"; "Ich habe noch nie eine Auseinandersetzung mit ihm gewonnen"; "Wenn du nach dieser Strategie vorgehst, dann wird er dich vernichten"; "Er machte alle meine Argumente nieder".

Alle diese Äußerungen betreffen das Argumentieren, das von uns automatisch als geradezu kriegerischer Akt beschrieben wird, der darauf abzielt, den andersdenkenden Gegner zu ,vernichten'. Den Sätzen liegt also ein gemeinsames Konzept zu Grunde, das kurz als ARGUMENTIEREN IST KRIEG charakterisiert werden kann. Unser Denken, Wahrnehmen und Sprechen ist durch eine Vielzahl solcher Konzeptsysteme strukturiert. Man nennt sie konzeptuelle Metaphern, weil sie eine Übertragungsleistung beinhalten: Das Argumentieren in Begriffen der Kriegsführung zu fassen bedeutet natürlich nicht, dass beide Aktionsarten zusammenfallen. Sie bleiben getrennte Formen des Handelns und werden lediglich im Sprechen in Bezug gesetzt. Und dieses mapping ist der Kern der Metapher. Ivor Armstrong Richards, einer der wichtigsten Metapherntheoretiker des 20. Jahrhunderts, hat in seiner "Philosophy of Rhetoric" (1936) für solche Prozesse der Übertragung die Begriffe von tenor und vehicle gebraucht; der Romanist Harald Weinrich, von dem der bedeutendste deutschsprachige Beitrag zu einer Theorie der Metapher stammt, spricht von 'Bildempfänger' und 'Bildspender'. In unserem Beispiel ist das Bildfeld Argumentieren der tenor, die Kriegführung das vehicle: 'Argumentieren' wird durch Bezug auf 'Kriegsführung' konzeptualisiert. Die Struktur ARGUMENTIEREN IST KRIEG (abstrakte Strukturen werden immer in Großbuchstaben geschrieben) liegt den zitierten Sätzen vom Beginn zugrunde.

George Lakoff und Mark Johnson beginnen mit diesem Exempel ihr Buch "Metaphors we live by" aus dem Jahre 1980, das zweifellos der einflussreichste Beitrag zur Metapherntheorie der letzten Jahrzehnte ist. Sie haben mit der anschaulich und populär geschriebenen Studie einen Paradigmenwechsel in unserem Denken über die Metapher herbeigeführt. Galt sie der Tradition als Inbegriff dichterischer Rede, als aufgesetztes Schmuckmittel, das einen Text an der Oberfläche verschönert und dadurch spezifische rhetorische Wirkungen erzielt, so setzen die beiden amerikanischen Theoretiker auf einer basaleren Ebene an: Metaphern durchdringen das Leben, die Sprache, kurzum unser Handeln und Denken: "Unser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln ist im Kern und grundsätzlich metaphorisch."

Dieses Konzeptsystem ist im Menschen fest verankert. Bereits frühkindliche Erfahrungen prägen es, wie Lakoff und Johnson am Beispiel der konzeptuellen Metapher GUT IST OBEN zeigen. OBEN ist dabei ein grundlegendes visuelles Schema, das auf der Sammlung vieler immer wiederkehrender Erfahrungen basiert und soziokulturell vermittelt ist: "Jeder Mensch hat einen Körper und einen aufrechten Gang. Nahezu jede Bewegung, die ein Mensch macht, wird von einem körpermotorischen Programm gesteuert, das unsere Oben-unten-Orientierung entweder verändert, aufrechterhalt, voraussetzt oder in anderer Weise berücksichtigt. Bei unserem ununterbrochenen physischen Aktivsein in der Welt, selbst wenn wir schlafen, ist eine Oben-unten-Orientierung für unsere physische Aktivität nicht einfach nur von Bedeutung, sondern von zentraler Bedeutung."

Der konzeptuellen Metapher GUT IST OBEN entsprechen Metaphern wie MEHR IST OBEN oder VERSTAND IST OBEN. Alltägliche Redewendungen wie die von der upper class oder der Vernunft, die die 'Oberhand' gewinnt, basieren darauf. Unser Konzeptsystem ist durch visuelle Schemata fundiert und wird im Laufe des Lebens regelrecht 'inkorporiert'. Dies ist die somatische Grundlage des Metaphernsystems, welcher der kognitionswissenschaftliche Grundsatz des so genannten embodiment entspricht, nach dem kognitive Vorgänge eine körperliche Grundlage haben.

Mit ihrem Buch haben Lakoff und Johnson eine florierende Forschungsrichtung innerhalb der Kognitiven Linguistik begründet. Sie hat in den letzten 25 Jahren eine Fülle von Publikationen hervorgebracht, die hierzulande einem breiteren Publikum noch viel zu wenig bekannt sind, weil kein Verlag sich traut, die immer spannend und anschaulich geschrieben Studien Lakoffs und Johnsons in Deutschland zu verlegen. Klassiker wie "Women, Fire, and Dangerous Things: What Categories Reveal About the Mind" (1987), "More Than Cool Reason: A Field Guide to Poetic Metaphor" (1989; mit Mark Turner) oder "Philosophy In The Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought" (1999) warten noch auf eine deutsche Übersetzung. Um so mehr ist dem kleinen Carl-Auer Verlag in Heidelberg zu danken, dass er bereits 1997 eine Übersetzung von "Metaphors we live by" herausgebracht hat, die gerade neu aufgelegt wurde: immerhin in fünfter Auflage. Der flüssigen Übersetzung des Buches fehlt allerdings der wichtige Anhang zur Neuausgabe des englischen Originals aus dem Jahre 2003, das eine Zusammenfassung der wichtigsten Forschungen seit dem Erscheinen der Erstausgabe gibt.

Lakoff hat sich nicht nur als Linguist einen Namen gemacht, sondern auch als politischer Vordenker. Er gehört zu den Begründern des Rockridge Institute, einem liberalen 'Think Tank' im kalifornischen Berkeley. In seinen Büchern gehen Metapherntheorie und der intellektuelle Kampf gegen den Niedergang liberaler Werte in einem von konservativer Rhetorik geprägten Amerika Hand in Hand. Nach der Übernahme der Kongressmehrheit durch die Konservativen im Jahre 1994 publiziert Lakoff das Buch "Moral Politics", in dem er die divergenten politischen Ansätze von Konservativen und Demokraten auf der Grundlage seiner konzeptuellen Metapherntheorie erklärt. Beiden Ideologien ist gemeinsam, dass sie Politik in den konzeptuellen Strukturen der Familie denken, die Konservativen nach dem hierarchisch-zentralistischen Modell des 'strengen' Vaters, die Demokraten nach dem auf gegenseitige Anerkennung zielenden Modell der 'Fürsorge'. Auf diesen Grundmetaphern bauen Politikkonzepte auf; unterschiedliche Moral- und Wertvorstellung schließen sich gleichsam natürlich an. Konservative glauben auf der Grundlage des Konzepts vom strengen Vater, dass die Bürger wie Kinder durch einen dominanten Vater diszipliniert und erzogen werden müssen, bis sie als Erwachsene unabhängig sind und der väterlich-staatlichen Intervention nicht mehr bedürfen, weshalb sich Vater Staat zurückziehen kann. Demokraten dagegen gründen ihre Politik auf dem Konzept der Fürsorge innerhalb einer Familie (sprich Gesellschaft). 'Mütter' und 'Väter' versuchen, die 'Kinder' von schädlichen Einflüssen abzuhalten, indem sie eine Umgebung aufbauen, die das Wohl des Kindes befördert. Politische Kommunikation versucht, die (ideologisch im Regelfall nicht extremen) Einstellungen von Wählern dem einen oder anderen Modell zu unterwerfen. Das ist der Moment, in dem die politische Rhetorik auf den Plan tritt: Welche persuasive Macht Metaphern haben können, illustriert Lakoff etwa an dem Begriff des tax relief, den George W. Bush gleich in seiner ersten Rede als frischgewählter Präsident verwendete. Wer Steuersenkung als 'Linderung' konzeptualisiert, hat nicht nur deren einfache Absenkung im Sinn, sondern denkt Steuern grundsätzlich in Konzepten von Krankheit, verwendet also eine Metapher. Der Ausdruck tax relief rahmt die Debatte um Steuersenkung und Steuersätze so, dass automatisch das Bezugsfeld 'Krankheit' aufgerufen wird. Wer gegen Steuersenkungen argumentiert, ist zugleich gegen die Linderung von Schmerzen, suggeriert die Wendung - und wird rhetorisch nicht erfolgreich sein.

Politische Kommunikation nutzt bewusst solche konzeptuelle Metaphern. Sie bleiben dem Publikum meist unbewusst. Lakoff nennt diesen Vorgang 'framing'. Durch ideologische Rahmung wird die Rezeption einer Nachricht in die eine oder andere Richtung gesteuert und Themen in der öffentlichen Wahrnehmung gesetzt. Dass dies ein in der Kommunikation geradezu ubiquitäres Phänomen ist, zeigen Lakoff und Elisabeth Wehling in dem Buch "Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre geheime Macht", das im März im Carl-Auer Verlag erscheint. In dem spannenden Gespräch der beiden Autoren kann man etwa lernen, dass es einen entscheidenden Unterschied macht, ob man vom War on terrorism oder vom War on terror spricht. Während 'Terrorismus' den illegitimen Einsatz von Gewalt in der Verfolgung politischer Ziele bezeichnet, meint 'Terror' im Englischen zunächst einfach 'starke Angst'. Der Krieg gegen den Terror ist also kein Krieg gegen den politischen Terrorismus als Gefahr von außen, sondern meint den Krieg gegen ein Gefühl, das die Amerikaner nach dem 11. September 2001 hatten. Durch das ständige Wiederholen des Wortes 'Terror' aber, das ist eine Grundeinsicht der Framing-Theorie, wird dieses Gefühl nicht bekämpft, sondern immer wieder erneuert. Dies ist nach Lakoff das Ziel der konservativen Rhetorik der Regierung Bush, denn die Angst vor dem Terror aktualisiert das Konzept vom 'starken Vater', als der George W. Bush erscheinen möchte: Der 'Krieg gegen den Terror' dient tatsächlich der Stabilisierung konservativer Macht.

Die Erkenntnisse Lakoffs und Johnsons sind im deutschen Sprachraum außerhalb der disziplinären Bezirks der Sprachwissenschaft (das ist auch die Perspektive des nützlichen Bandes von Helge Skirl und Monika Schwarz-Friesel aus dem Jahr 2007) noch nicht angemessen rezipiert worden. Das zeigt etwa der Blick in Eckard Rolfs umfassendes Lexikon "Metapherntheorien. Typologie - Darstellung - Bibliographie" (2005), das von Lakoff und Johnson gerade einmal "Metaphors we live by" kennt, nicht aber die späteren Werke, welche die Theorie der konzeptuellen Metapher präzisieren, an ihrer somatischen Grundlegung arbeiten und ihre Reichweite erheblich ausdehnen. Von dieser merkwürdigen Lücke abgesehen bietet das Buch ein durchaus beeindruckendes Panorama von 25 Metapherntheorien, die in ihren "Grundzügen charakterisiert" werden, das heißt meist durch Paraphrase der Grundlagentexte. Dass der Autor allerdings programmatisch auf Vergleiche zwischen den einzelnen Theorien verzichtet, führt dazu, dass die einzelnen Positionen recht unvermittelt voneinander dargestellt werden. Zur Einführung in die Theorie der Metapher eignet sich das Buch deshalb nur bedingt; es ist, wie der Titel schon suggeriert, eher als Nachschlagewerk gedacht. Dafür allerdings wäre es sinnvoll gewesen, umfangreichere Hinweise zur Diskussion der Theorien aufzunehmen.

Vielleicht liegt die Zurückhaltung, mit der man hierzulande die Bücher Lakoffs bisher rezipiert hat, darin, dass es mit dem Philosophen Hans Blumenberg einen Theoretiker der Metapher gibt, der ein zwar nicht unbedingt ähnliches, aber doch vergleichbares Projekt verfolgt. Bei Blumenberg trägt es den Namen 'Metaphorologie'. Sie zielt nicht auf das der Alltagssprache zugrundeliegende System konzeptueller Metaphern, sondern versucht ein Problem neu zu denken, das der Philosophiegeschichte als Gefährdung gilt, ja, wie Blumenberg in seinem "Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit" (1979; wieder abgedruckt in dem von Anselm Haverkamp herausgegebenen Band "Ästhetische und metaphorologische Schriften") ausführt, als "Störung", die "hingenommen" zu werden dem Philosophen keineswegs "selbstverständlich" sei: die Metapher als Form der Uneigentlichkeit und Quelle verunklärender Mehrdeutigkeit. Thematisiert wird damit das Irritationspotential, das uneigentliches Sprechen in der Philosophiegeschichte immer schon hatte, und das regelrecht zu einer Verleumdung der Metapher und des Rhetorischen führte.

Wahr könne nur sein, heißt es in Descartes' "Meditationes de prima philosophia" (1641), was klar und deutlich erkannt worden sei. Metaphern, Bilder, rhetorische Figuren und Tropen aber hinderten die Erkenntnis, ja verdunkelten sie. Daraus ist das in der Philosophiegeschichte wirkungsvolle Phantasma einer arhetorischen Sprache entstanden, der keinerei Metaphorizität eignet, weil sie nur 'eigentliche' Wörter verwendet. In den "Paradigmen zu einer Metaphorologie", 1960 mit Bedacht im "Archiv für Begriffsgeschichte" publiziert, untersucht Blumenberg die Frage, "unter welchen Voraussetzungen Metaphern in der philosophischen Sprache Legitimität haben können." Die Antwort fällt beunruhigend aus: Metaphern sind nicht nur "Restbestände" und "Rudimente auf dem Wege vom Logos zum Mythos", sondern "Grundbestände der philosophischen Sprache", Begriffe also, denen keine Übertragungsleistung zugrundeliegt und die sich "nicht ins Eigentliche, in die Logizität zurückholen lassen."

Solche, wie Blumenberg sie nennt, 'absoluten Metaphern' wären dann nicht nur legitimer, sondern sogar notwendiger Teil der Begriffsgeschichte. Jene "cartesische Teleologie der Logisierung" ist Blumenberg zufolge im Lichte der Metapher grundsätzlich zu überdenken. Mit ihr steht das Verhältnis von Vernunft/Logos und Fantasie, das in der Tradition philosophischer Begriffssprache in der Figur des Supplementären gedacht wird, zur Disposition: Das Metaphorische lässt sich nicht tilgen, sondern ist "eine katalysatorische Sphäre", welche die Welt der Begriffe bereichert. 'Metaphorologie' ist in Blumenbergs Sicht die dienstfertige Magd der Begriffsgeschichte: "die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auch faßbar machen, mit welchem 'Mut' sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft."

Anselm Haverkamp entwirt die Problemlage seines Buches "Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik" im Ausgang von Blumenberg unter dem Begriffs des 'Paläonyms': "Einmal das wichtigste technische Instrument der alten Rhetorik seit Aristoteles, hat die Metapher nach dem Zurücktreten des terminologischen Bezugsrahmens der Rhetorik an Bedeutung nicht verloren. Eher könnte man sagen, daß die in den diskursiven, disziplinären Nachfolgeformationen aus dem Blick geratene, tiefer gelegte Rolle des rhetorischen Apparats in der Metapher virulent geblieben ist."

Der Untergang der Rhetorik als eine "überwundene Episteme" bedeute keineswegs, dass die Metapher nur mehr in der Ästhetik fortwirke. Haverkamp zielt vielmehr mit seinem bisweilen etwas manieriert verfassten Buch, das die zentralen Positionen der Theoriegeschichte von Aristoteles und Quintilian bis hin zu Jacques Derrida und eben - immer wieder - Blumenberg aus postmoderner Perspektive noch einmal Revue passieren lässt, auf die Etablierung der Metaphorologie als "(meta-)rhetorische[r] Methode", gedacht als ständiges Changieren zwischen einer fundierenden, "begriffsgeschichtsbequemen" Hintergrundmetaphorik hin zur "Sprengmetaphorik", die Blumenberg nur bruchstückhaft ausgearbeitet hat, am greifbarsten vielleicht in dem nachgelassenen Manuskript "Theorie der Unbegrifflichkeit", das Anselm Haverkamp jüngst nicht nur editert, sondern in den 1970er-Jahren mehr oder weniger veranlasst hat.

Lakoff und Johnsons conceptual-metaphor-Theorie und Blumenbergs metaphorologische Studien stehen für eine Richtung in der Metapherntheorie des 20. Jahrhunderts, die nicht auf ästhetische oder literarische Effekte der Metapher fokussiert, sondern auf ihre erkenntnismäßige Fundierungsleistung - sei es, wie bei Lakoff und Johnson, mit Blick auf die Synchronie von Konzeptsystemen, die der Alltagssprache zugrundeliegen, sei es, wie bei Blumenberg und Haverkamp, mit Rückgriff in die Diachronie der Philosophiegeschichte und die Historie der Marginalisierung und Verdrängung uneigentlicher Rede. Die spannendsten Beiträge zur Theorie der Metapher zielen derzeit auf ihre kognitiven Funktionen. Sie zeigen primär die Zentralität der Metapher für unser Denken auf.

Dass dabei die ästhetischen Aspekte häufig zu kurz kommen, ist das Anliegen eines jüngst erschienenen Bandes zur Metapher, den die Oxforder Germanistin Katrin Kohl bei Metzler vorgelegt hat. Die Autorin geht von einer Doppelperspektive aus: Die kognitive Linguistik interessiere an der Metapher gerade ihre Regelhaftigkeit, denn die Wiederholung erlaube den Rückschluss auf statische konzeptuelle Strukturen, während es "in der Rhetorik und Poetik vorrangig um geistreiche, innovative Metaphern geht - um solche also, die durch Unüblichkeit hervorstechen".

Kohl thematisiert damit einen Sachverhalt, der gerade innerhalb der kognitiven Metapherntheorie bislang kaum in den Blick geraten ist. Er erklärt, warum kognitiv-poetische Analysen von literarischen Werken, wie sie etwa der Lakoff-Schüler Mark Turner vorgelegt hat, häufig blutleer wirken. Ihnen fehlt derjenige Aspekt der Metapher, der für die Tradition der Rhetorik zentral ist: ihre Wirksamkeit, die gerade im Bereich der Emotionalität des Menschen angesiedelt ist. Kognitive Linguisten wie Zoltán Kövecses und Raymond Gibbs haben zwar detailliert das konzeptuelle System erforscht, das unserem Sprechen über Emotionen zugrundeliegt (etwa durch konzeptuelle Metaphern wie EMOTION IS HEAT), wie diese Emotionen aber durch Tropen und rhetorische Figuren - performativ - präsentiert und im Leser erregt werden, dafür ist die Theorie der konzeptuellen Metapher weitgehend blind. Das begrenzt ihre Eignung für konkrete literaturwissenschaftliche Analysen. In der Tradition der alten Rhetorik war dies die Domäne der Lehre von den Figuren und Tropen. Dass die Fokussierung auf kognitive Aspekte einseitig und deshalb ergänzungsbedürftig ist, das ist der überzeugende Tenor von Kohls instruktivem Buch, das sich für die Frage nach der Kreativität und Effektivität der Metapher häufig auch auf Ergebnisse der modernen Hirnforschung bezieht. Die Forschung steht hier, wie überhaupt in der Frage nach der konkreten emotionalen Wirkung von Textstrukturen, noch ziemlich am Anfang. Neben diesen innovativen Aspekten bietet der Band einen grundsoliden und anschaulich geschriebenen Überblick über 2.500 Jahre Reflexion über die Metapher, der vor allem durch seinen sicheren Blick für die wesentlichen Probleme der Theorieentwicklung besticht.

Der Philosoph und Argumentationstheoretiker Stephen Toulmin hat in einem 1986 in den "Neuen Heften für Philosophie" publizierten Aufsatz von einer "Verleumdung der Rhetorik" gesprochen. Angesichts einer Fülle von Neuerscheinungen, die das Jahr 2007 zur Theorie und Praxis der Metapher gebracht hat, wird man diese Behauptung nicht mehr aufrecht erhalten können. Die Metaphorologie Blumenbergs, die konzeptuelle Metapherntheorie Lakoffs und Johnsons, die immer weiter greifende Akzeptanz relativistischer und konstruktivistischer Ansätze in der Wissenschaftstheorie legitimieren es im Gegenteil von einem rhetorical turn zu sprechen: Das gegenwärtige Interesse an der Metapher ist Zeichen einer Wiederkehr der Rhetorik.


Titelbild

Hans Blumenberg: Ästhetische und metaphorologische Schriften.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
464 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3518291130
ISBN-13: 9783518291139

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Eckard Rolf: Metaphertheorien. Typologie - Darstellung - Bibliographie.
De Gruyter, Berlin 2005.
305 Seiten, 98,00 EUR.
ISBN-10: 3110183315
ISBN-13: 9783110183313

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George Lakoff / Marc Johnson: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Astrid Hildenbrand.
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2007.
272 Seiten, 26,90 EUR.
ISBN-13: 9783896704870

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Anselm Haverkamp: Metapher. Die Ästhetik in der Rhetorik.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2007.
181 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783770537518

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Katrin Kohl: Metapher.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2007.
186 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-13: 9783476103529

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Helge Skirl / Monika Schwarz-Friesel: Metapher.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2007.
100 Seiten, 13,00 EUR.
ISBN-13: 9783825353063

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Hans Blumenberg: Theorie der Unbegrifflichkeit.
Herausgegegben und mit einem Nachwort versehen von Anselm Haverkamp.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
122 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-13: 9783518584804

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Franz Josef Czernin / Thomas Eder (Hg.): Zur Metapher. Die Metapher in Philosophie, Wissenschaft und Literatur.
Wilhelm Fink Verlag, München 2007.
296 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770542147

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George Lakoff / Eva E. Wehling: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht.
Carl-Auer Verlag, Heidelberg 2008.
184 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-13: 9783896706348

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