Die Geschichte von Skarlet und Jean-Paul

Zu Kathrin Aehnlichs "Alle sterben, auch die Löffelstöre"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was sich - liest man die Vornamen der Protagonisten - anhört wie eine Mischung aus "Vom Winde verweht" und Existenzialismus, beginnt mit der Haut auf einer Tasse Milch.

Jean-Paul Langanke, von der strengen Kindergärtnerin Tante Edeltraut 'Schangpol' genannt, hilft Skarlet Bucklitzsch in einer ausweglosen Situation im sozialistischen Kinderhort: Er trinkt für sie die Tasse Milch mit der verhassten Haut aus. Diese Rettungsaktion verbindet die beiden fürs Leben, begleitet von dem stets nörgelnden und mit Nichtbeachtung bestraften Matthias Seibt, der mit ihnen im Kinderhort ist. Eine Dreierkonstellation, die sich durch den ganzen Roman zieht, aber nur zwei Figuren sind wesentlich, denn es geht um ihre alles überstehende Freundschaft: Skarlet und Paul.

Erzählt wird die Geschichte dieser wunderbar sperrigen und tiefen Freundschaft aus der Sicht von Skarlet. Denn, und damit beginnt das Buch, Paul ist tot. Er stirbt an Krebs, einen Tag vor Silvester - wir befinden uns in der Zeit nach der Jahrtausendwende. Skarlet soll zu seiner Beerdigung eine Rede halten.

Zwischen Pauls Tod und der Beerdigung begleiten wir sie auf ihrem Weg durch den Silvesterabend, durch einen Zirkus, den Zoo, in dem sie als Pressesprecherin arbeitet, zu Pauls Frau Judith und dem Versuch, den Sarg für Paul mit ihr zusammen zu bemalen. Inmitten dieser äußeren Handlung bewegen sich Skarlets Rückblicke.

Sie sind kein Paar geworden, die beiden "Zwillinge", und auch wenn ihre Wege sich oft trennten, weil sie beide eigenwillige Persönlichkeiten sind, sind sie sich immer wieder sehr nah, zuletzt während Pauls Krankheit. Da hat Skarlet ihre Ehe schon hinter sich, während Pauls Familie gerade erst gegründet wird.

Ein bewegender Roman, den die Autorin Kathrin Aehnlich geschrieben hat. Sie ist nicht nur Absolventin des Leipziger Literaturinstituts (in den 1980er-Jahren), sondern wie ihre Figuren in der DDR aufgewachsen, die sie kenntnisreich und detailliert beschreibt. Es sind vor allem die Sinne, die angesprochen werden, wenn es um Essen oder Gerüche geht; Bilder, die wir alle aus unserer Kindheit so oder so ähnlich kennen. Doch der magische Ort 'Kindheit' ist hier nicht verklärend besetzt, sondern bedroht von der Kindergärtnerin, dem Lehrer Nottelbeck und den Vätern, die entweder abwesend sind - wie bei Paul - oder zwanghaft und geizig, wie der Vater von Skarlet. Das Buch überzeugt, weil die Autorin die Figuren mit Sympathie eigensinnig sein lässt, sie respektvoll begleitet, und dies in einem leichten Stil ohne Pathos. Da darf es sogar kitschig zugehen, wenn etwa am Ende Skarlet und Matthias nach der Beerdigung in einer Kneipe sitzen und zwei Tassen lauwarme Milch bestellen. Ein Hohelied auf die Freundschaft, die entgegen der These im Film "Harry und Sally" sehr wohl zwischen einer Frau und einem Mann möglich ist.


Titelbild

Kathrin Aehnlich: Alle sterben, auch die Löffelstöre. Roman.
Arche Verlag, Hamburg 2007.
250 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783716023662

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