Sex, Drugs and Poems

In den Gedichten Allen Ginsbergs durchdringen sich Kunst und Leben

Von Stefanie Regine BrunsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Regine Bruns

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Provokation, Anarchie und Rebellion zeichnen die „Beat Generation“ der fünfziger und sechziger Jahre aus. Junge amerikanische Schriftsteller protestieren zu dieser Zeit massiv gegen die bürgerliche Konsumgesellschaft und ihre Scheinmoral. Allen Ginsberg gehört zu den schillernsten Wortführern der Beatbewegung. Seine Gedichte spiegeln sein Leben wider: Homosexualität, Drogenerfahrungen und Außenseitertum gehören zu den zentralen Themen seiner Gedichte. Daneben geht es um den Vietnamkrieg, soziale Ungerechtigkeit, Religion, das Altern und schließlich den Tod. „Er hat mit den Mitteln der Moderne und dem Mut zu radikaler Subjektivität ein lyrisches Portrait vom geistigen Zustand der amerikanischen Nachkriegsjahre entworfen“, schreibt Uwe Wittstock im Nachwort des Gedichtbandes. Tatsächlich ist Ginsbergs Lyrik stark von seinen Lebenserfahrungen durchdrungen, so dass es schwierig abzuschätzen ist, ob er mehr durch sein Werk oder durch seine auffallende Persönlichkeit zu der Zentralfigur der Lyrik des Beats geworden ist.

Als Geburtsstunde der Beatbewegung gilt heute vielfach das Jahr 1944, als sich Allen Ginsberg, Jack Kerouac und William S. Burroughs an der Columbia University in New York begegneten. Die drei sahen sich als Vordenker einer neuen literarischen Richtung, die sich jedoch schnell verselbstständigte und bald literarischer Ausdruck eines Trends wurde, der über die Welt der Literatur hinausreichte. Aus der anfangs subversiven, antibürgerlichen Bewegung wurde ein Lebensgefühl, und das konservative Establishment sollte die jungen Autoren schon bald als Stars der amerikanischen Kunst- und Literaturgeschichte feiern.

An den Akademien und Universitäten stieß die Beat-Literatur jedoch zunächst auf Ablehnung. Das FBI beobachtet Allen Ginsberg jahrelang, weil es in ihm eine Gefahr für das öffentliche Leben sah. Sein Gedichtband „Das Geheul und andere Gedichte“ wurde wegen angeblicher Obszönitäten beschlagnahmt und erst nach einem aufsehenerregenden Prozess freigegeben. Später änderte sich das soziale Klima des Landes, und Allen Ginsberg wurde ein anerkanntes Mitglied der American Academy of Arts and Letters und Lehrer an verschiedenen Universitäten und Instituten. Der einstige Gegenspieler der etablierten Kultur war ins kulturelle Establishment aufgestiegen.

Allen Ginsberg gelang mit dem Gedicht „Das Geheul“ 1956 der Durchbruch, es wurde fortan zum Synonym der Beat-Literatur schlechthin. Er überträgt darin Kerouacs Programm der „spontanen Prosa“ in die Lyrik, geht also wieder unmittelbar vom gesprochenen Wort aus. Sein Publikum, die junge amerikanische Boheme der fünfziger und sechziger Jahre, findet sich darin wieder. Es ist beeindruckt von der radikalen Offenheit, mit der Ginsberg über die eigenen Empfindungen und Erfahrungen schreibt. Er bricht Tabus, um Anklage gegen eine menschenfeindliche Welt zu erheben. Er beschwört den Moloch Amerika, dem sich die Beat-Generation unter dem Eindruck der Atombombe und der Intellektuellenhetze des Senators McCarthy gegenübersah. Die Protagonisten in „Das Geheul“ treten als Heilige der neuen Zeit auf, weil sie die Missstände in der Gesellschaft nicht verdrängen, sondern sich mit ihnen identifizieren.

Nach Ginsbergs literarischen Vorbildern muss man nicht lange suchen, da er sie in seinen Gedichten selbst mit Namen anruft: Dante, William Blake, Arthur Rimbaud, Walt Whitman, William Carlos Williams und T. S. Eliot. Gleichzeitig deuten Klang und Rhythmus seiner Gedichte oft auf den frühen Jazz mit seinen „hot rhythms“ hin.

Wie viele seiner Gedichte ist auch „Kaddish“ unter Drogeneinfluss entstanden. Er nimmt darin den Tod seiner Mutter Naomi in einer Nervenheilanstalt zum Anlass, sich mit dem eschatologischen Problem des Todes auseinanderzusetzen. Gemäß Ginsbergs jüdischer Herkunft lehnt sich das Gedicht der groben Form nach an die hebräische Totenklage des Kaddish an. Auf einer zweiten Ebene wird der Tod der Mutter dabei zum Tod der Nation als Opfer einer emotionslosen, entfremdeten Welt.

Es ist schwierig, aus dem großen Gesamtwerk Allen Ginsbergs repräsentative Gedichte auszuwählen, die allen Aspekten seiner Person gerecht werden: „dem Buddhisten und dem Juden, dem Visionär und dem Zeitkritiker, dem Patrioten und dem Bürgerschreck, dem Prediger und dem Propagandisten der freien Liebe, dem enfant terrible und dem Umweltschützer, dem Drogenesser und dem gay activist, dem Pazifisten und dem PR-Manager seiner selbst.“ Dennoch bietet der schmale Gedichtband einen guten Einblick in Werk und Leben Allen Ginsbergs. Sein Weg vom jungen Beat-Poeten zum resignierten alten Dichter kann nachvollzogen werden. Auch wenn seine Bilder heute nicht mehr so sehr schockieren wie in den vierziger und fünfziger Jahren, wirken sie immer noch sehr eindrucksvoll, lebendig und teilweise drastisch. Die Stärke dieser Bilder hat den politisch-subversiven Beat-Pop-Autor zu einem anerkannten Klassiker gemacht – womöglich gegen seinen Willen.

Titelbild

Allen Ginsberg: Gedichte. Vorwort von Uwe Wittstock.
Carl Hanser Verlag, München 1999.
136 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3446197915

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