Das Elend des alternden Mannes
Philip Roth verabschiedet mit "Exit Ghost" sein Alter Ego Nathan Zuckerman
Von Georg Patzer
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDiese alten Männer. Weit jenseits der siebzig, müssen sie sich wohl alle in junge Mädchen verlieben. Warum muss das sein? Das weiß man nicht. Aber die alten Männer der Literatur schwelgen darin. Nach Martin Walser, dessen Thema ermüdender- und langweiligerweise in den letzten vier Romanen die "Altersgeilheit" ist, hat sich nun auch der 75-jährige Nobelpreiskandidat Philip Roth darauf besonnen. Und leider, wie bei Walsers Romanen, ist auch dieses Werk eher misslungen.
In "Exit Ghost" trifft man wieder den Schriftsteller Nathan Zuckerman - seit einigen Jahrzehnten das Alter Ego Philip Roths - der sich eigentlich aufs Land zurückgezogen hat. Als er wegen seiner angeschlagenen Gesundheit - nachlassendes Gedächtnis, Prostataleiden, Impotenz und Inkontinenz - nach New York zum Urologen muss, liest er zufällig eine Anzeige in einer Zeitung, dass ein junges Ehepaar seine Wohnung in Manhattan mit einem Haus auf dem Land tauschen möchte. Er ruft an, trifft sich mit dem Paar und verliebt sich fast sofort in die 30-jährige Frau mit den großen Brüsten: "Ich hatte mich von der Hoffnung verabschiedet. Doch dann war ich nach New York gefahren, und New York hatte innerhalb von Stunden getan, was es bei allen Menschen tut: Es hatte mir Möglichkeiten bewusst gemacht. Die Hoffnung hatte sich Bahn gebrochen."
Was er in New York erlebt, ist eine etwas wirre Geschichte, in der er Amy wiedertrifft, vor fünfzig Jahren die Geliebte seines Mentors und schriftstellerischen Vorbilds E. I. Lonoff. Sie wurde inzwischen an einem Hirntumor operiert und ist eine hässliche, alte und verarmte Frau geworden. Dazu kommt ein gnadenloser Journalist, der eine Lonoff-Biografie schreiben will, in der er dessen dunkles Geheimnis aufdecken will - den Inzest mit der Halbschwester. Ob es diesen Inzest wirklich gegeben hat, weiß man nicht, der Journalist jedenfalls ist überzeugt davon. Er will auf jeden Fall berühmt werden, womit auch immer. Zuckerman ist entsetzt über die Art des Journalisten, sich einzuschmeicheln, zu drohen, die Tatsachen zu verbiegen und auch vor ihm nicht haltzumachen.
Und dann ist da noch die unsägliche Politik: Bush siegt gerade zum zweiten Mal, mit einem ziemlich offensichtlichen Betrug in Florida, wo sein Bruder Gouverneur ist. Die Liberalen, die Demokraten sind verzweifelt und denken an Auswandern oder wenigstens an den Rückzug aufs Land. So wie Zuckerman, der seit Jahren kein Fernsehen schaut, keine Zeitungen liest und auch nicht mehr zur Wahl geht.
Auch der urologische Eingriff ist ein Fehlschlag: Zuckerman muss nun ständig Angst haben, eine olfaktorische Urinspur zu ziehen, was ihm genauso peinlich ist wie die Windeln, die er tragen muss. So werden wir Zeuge, wie der ehemals berühmte Schriftsteller nach und nach zum Geist wird, der am Schluss abtritt. "Exit Ghost", der Titel des Romans, ist eine Regieanweisung aus Shakespeares "Hamlet", mit dem der Geist von Hamlets ermordetem Vater abtritt: "der Geist tritt ab".
Vor elf Jahren war er schon einmal abgetreten, hatte sein Leben in New York abgebrochen und lebt seitdem fern von Menschen und Nachrichten in der amerikanischen Provinz. Jetzt, nach einem letzten Versuch, sich wieder unter Menschen zu zeigen, muss Zuckerman sich eingestehen, dass er nicht mehr dazugehört, und fährt wieder, mit wattierter Einlage in der Unterhose, in die Einsamkeit zurück. Dabei hatte er gehofft, er würde wieder auferstehen, an dem Tag, "an dem ich kaum eine Stunde lang in Gesellschaft einer schönen, privilegierten, intelligenten, selbstbewussten, lässig wirkenden, in ihrer Angst verführerisch verletzlichen Dreißigjährigen war und die bittere Hilflosigkeit eines der Lächerlichkeit preisgegebenen alten Mannes empfand, der nichts so sehr ersehnte wie wieder vollständig zu sein".
Das Thema bei Roth ist klar: Es ist das Leiden eines alten Mannes, der langsam und zusehends verfällt, nicht nur geistig - so dass er kaum noch schreiben kann, sich keinen Roman mehr ausdenken kann, seine Gedanken nicht mehr unter Kontrolle hat - sondern auch körperlich. Natürlich geht es Roth nicht um die Liebe an sich, sondern um die Leistungsfähigkeit des alternden Mannes, der hieraus doch immerhin seine Identität schöpft: als Schriftsteller und "als Mann", als potenter Liebhaber. Und jetzt dieses Verliebtsein. Warum? "Die Wucht der sexuellen Anziehungskraft lässt keinen Raum für Resignation - nur für die Gier des Begehrens."
Es geht bei Roth auch um die sozialen Zusammenhänge und um das sukzessive Versagen des eigenen Körpers, das durch die unerfüllbare Liebe richtig deutlich wird, ja, eigentlich noch einmal kräftig angestoßen wird. Denn dass er Konzentrationsschwierigkeiten hat, dass er oft am Abend nicht mehr weiß, was er am Tag geschrieben hat, das hat Zuckerman schon bemerkt. Aber noch hat er es nicht so recht wahrhaben wollen. Denn das ist ja sein Leben. Und so kann er sich auch Jamie nur noch als Autor nähern, er sitzt in seinem Hotelzimmer und schreibt Dialoge, in denen er mit Jamie intim wird, in denen sie eine Art Liebespaar werden.
Was er bei seiner letzten und, wie es scheint, endgültigen Flucht in die Einsamkeit hinterlässt, ist ein humorvoller, selbstironischer, unpathetischer Roman über das Altern in all seinen ekelhaften Ausformungen, aber auch ein Roman über das Elend der amerikanischen Politik nach dem 11. September, über Angst und Hilflosigkeit. Dass der Roman nicht ganz gelungen ist, liegt vor allem an den ausufernden und stilistisch unsicheren Dialogen, in denen sich Zuckerman eine Nähe imaginiert, die nie stattgefunden hat, die nie stattfinden wird und kann. An den allzu vielen Themensträngen, die Roth nicht miteinander verknüpfen kann. An den mäandernden, unentschlossenen Perspektiven. Und an der rein sexuellen Sicht, die Roth als einzigen Ausweg aus der Altersmisere postuliert. Da hat er es sich nun wirklich zu einfach gemacht.
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