Absolvent ohne Eigenschaften

Konstantin Richters Romandebüt "Bettermann"

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Orientierung, soziale und kulturelle, versprechen die Geisteswissenschaften. Gerade an Orientierung mangelt es aber vielen Absolventen, wenn sie ihre prekäre Zukunft antreten. Diese gestaltet sich meist so, wie die von Alex Oswald ausgesehen hätte: "Irgendein Zeitungspraktikum wahrscheinlich. Dann ein schlecht bezahltes Volontariat im sympathischen Kleinverlag, das ich schließlich abgebrochen hätte, um zu promovieren. Über ein Thema, das nie behandelt worden ist, weil es keinen interessiert."

Der Ich-Erzähler in Konstantin Richters gelungenem Romandebüt "Bettermann" interpretiert jedoch nicht Stifters "Nachsommer", sondern die Adhoc-Meldungen von SAP, für eine US-Finanznachrichtenagentur. Aus dem schüchternen Literaturfreak wurde ein smarter Börsenjournalist. Mit 32 Jahren sitzt Alex in einem Frankfurter Büro und fühlt sich wichtig - zum ersten Mal in seinem Leben.

Als Absolvent ohne Eigenschaften kann sich Alex spielend mit dem New Economy-Denken identifizieren. Begeistert faselt er vom Siegeszug des Shareholder-Value-Ansatzes und dem überfälligen Ende der verkrusteten Deutschland-AG. Nur nachts taucht manchmal die Frage auf, ob er nicht doch sein Leben vergeude.

Ein weltfremder Intellektueller, der in dem ihm fremden Biotop des realen Wirtschaftsleben ausgesetzt wird und sich wie ein Chamäleon anpasst - das erinnert an Rainer Merkels Roman "Das Jahr der Wunder" (2001). Merkels Sprachkraft und Sensitivität fehlen Richter Der Berliner Romancier, der selbst nach dem Studium für das "Wall Street Journal Europe" schrieb, punktet mit einer schnörkellosen, flotten Zweckprosa. Und lässt seinen Angestellten- mehr und mehr zu einem tragischen Familienroman werden. Denn das Gerücht, die Hamburger Anwaltskanzlei "Bettermann & Partner" verhandle mit einer Kanzlei in London über eine Fusion, stellt Alex nicht nur einen journalistischen Coup in Aussicht.

Die Recherche ermöglicht ihm auch das Wiedersehen mit dem Vorbild seiner Jugend, mit Henrik Bettermann. Der Erfolgsanwalt und Schöngeist mit nie realisierten literarischen Ambitionen war so etwas wie eine Vaterfigur für Alex. Ein Missverständnis führte seinerzeit dazu, dass Bettermann mit Alex brach - eine nie verwundene Demütigung. Jetzt will er sich bei dem Anwalt den einst versagten Respekt abholen.

Das Vorhaben geht jedoch schief. Aufgeschreckt durch Alex' Besuch, verweigert sich der konservative Bettermann der von seinen Partnern vorangetriebenen "Fusionitis" und verliert prompt seine halbe Kanzlei. Aus der Recherche wird unabsichtlich ein verspäteter Racheakt. Aber Rache wofür? Statt an seiner großen Story zu schreiben, begibt sich Alex auf Selbstsuche. Taucht ein in seine Jugend in den 1980er-Jahren in Hamburg-Blankenese, mit einem Vater, der sich in den Kohl-Jahren als enttäuschter Linker früh ins Privatleben zurückzog, und einer frustrierten Mutter, die Auswege aus ihrer gescheiterten Ehe suchte.

Von Selbstverwirklichung und großen Zielen träumen bei Richter alle, und alle scheitern. Mit Ausnahme von Bettermanns Tochter Anna, die sich in der Gegenwart in der digitalen Bohéme Berlins durchschlägt. Mit ihr wird Alex am Ende einen Neuanfang wagen. Ein tröstliches Ende.


Titelbild

Konstantin Richter: Bettermann. Roman.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2007.
240 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-13: 9783036955070

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