Unter Einsatz biologischen Materials

Sabine Biebl, Verena Mund und Heide Volkening geben einen Sammelband zur Ökonomie von Liebe und Arbeit heraus, dessen Beiträge von recht unterschiedlicher Qualität sind

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem der Songs des Albums "Beggars Banquet" wartet Obermacho Mick Jagger vor dem Fabriktor auf ein "Factory Girl" mit "much too fat" Knien und "curles in her hair", das trotzdem "a sight for sore eyes" ist. Doch anders als von der fünfzehnjährigen "Stray Cat" im Stück zuvor, lässt er sich von ihr nicht in sexueller Extase den Rücken zerkratzen, sondern geht mit ihr "[on] friday nights" lieber auf Sauftour.

Anders als das von Jagger verewigte "Factory Girl" ist das "Working Girl" im englischsprachigen Raum schon seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein bekannter Topos. Ihm widmet sich ein von Sabine Biebl, Verena Mund und Heide Volkening herausgegebener gleichnamiger Sammelband. Wie Heide Volkening in der Einleitung anmerkt, verweist der Begriff nicht nur auf die "Arbeitsteilung der Geschlechter", sondern deutet zudem auf eine "geschlechtliche Markierung des Begriffs 'Arbeit'" selbst hin.

Die einheitsstiftende Idee des Bandes besteht darin, den titelgebenden Topos als "Suchbegriff" für "durch die Berufstätigkeit von Frauen mobilisierten Geschlechter-, Arbeits-, Liebes- und Konsumordnungen" einzusetzen. Hierzu fragen die AutorInnen sowohl nach dem "Status" des working girls in der "westlichen Ordnung der Geschlechter", wie auch nach deren "Inszenierung[en]" in Literatur, bildender Kunst, Film und Musik sowie in "sozialen Alltagspraxen". Mary Ann Snyder-Körpers "Ermittlungen" etwa gelten "T.S. Eliots Tippmamsell und d[er] Substanz des 'Waste Land'", Inka Mülder-Bach macht sich auf die "Suche nach der verlorenen Öffentlichkeit" in Siegfried Kracauers Kultursoziologie der Angestellten, Rembert Hülser schaut sich die "Ansichtskarte Girl" an und Verena Mund sitzt neben den working girls "[a]n der Theke". Weitere Beiträge gelten "Liebe, Freizeit und Konsum in Italienfilmen der frühen Bundesrepublik" (Maren Möhring) oder den "Working Girls jenseits des Happy End" (Heide Volkening).

Während die meisten AutorInnen "detaillierte Blick[e]" auf verschiedene "spezifische Phänomene, Strukturmomente oder künstlerischen Darstellungen" werfen, bietet Volkenings Einleitung erhellende Anmerkungen zur Begriffs- und Kulturgeschichte des "Working Girl". Ebenso wie einige andere Beitragende versäumt sie nicht, darauf aufmerksam zu machen, dass der Ausdruck auch als Bezeichnung für Prostituierte verwendet wird. Gut möglich, dass die Beatles genau diese Konnotation im Sinn hatten, als sie auf dem berühmten "White Album" im Song "Honey Pie" ein "working girl" aus England nach Hollywood ziehen und dort mit ihrem "Hollywood Song" zu einer "legend of the silver screen" werden ließen.

Aus dieser "Ambivalenz", die dem Topos "von Beginn an" eigen gewesen sei, hat sich Volkening zufolge in den 1960er-Jahren eine "zweite Denotation" entwickelt. Prostituierte begannen den Begriff als "Selbstbezeichnung" zu wählen. So sei er "Teil eines politischen Kampfes um die Anerkennung ihrer Tätigkeit als Arbeit und um die Etablierung eines neuen Codes der Moral" geworden, wie die Autorin unkritisch und blind dafür, dass Prostitution der schärfste Ausdruck struktureller Geschlechterungleichheit ist, darlegt. Für sie handelt es sich schlicht um "Arbeit mit dem Geschlecht".

Auch Stefan Hirschauer lässt jeden kritischen Blick auf die Prostitution vermissen. Vielmehr beschönigt er sie in seinem "Arbeit, Liebe, Geschlechterdifferenz" überschriebenen Aufsatz als "unmittelbare Kopplung von Geschlecht und Arbeit". Weit entfernt von einer "spirituell verbrämten Sonderrolle" und "aller Liebessemantik entkleidet, verdienen diese Berufstätigen [die Prostituierten, R.L.] ihr Geld mit dem Frausein", mithin "unter Einsatz biologischen Materials", wie er den Frauenkörper mit nur schwer überbietbarer Misogynie nennt. "[D]ie Vertreterinnen des 'ältesten Gewerbes'", glorifiziert der Autor das triste Hurendasein, "entfalten seit jeher eigenständige sexuelle und wirtschaftliche Aktivitäten und unterhalten massenhaft soziale Kontakte außerhalb des Privatraumes". Derlei würde man vielleicht von einem Freier erwarten, der sich seinen Bordellbesuch schön reden will, aber nicht in einem Aufsatz mit wissenschaftlichem Anspruch.

Doch birgt der Band auch einige Gewinn bringende Texte. Zuforderst wäre da Ilke Vehlings Beitrag zur "Redeschrift der Neuen Frau in 'Das kunstseidene Mädchen'" zu nennen. Nachdem sie überzeugend dargelegt hat, wieso sie Irmgard Keuns Gilgi als "neusachliches Girl" und Doris als "vergnügungssüchtige[n] Flapper" interpretiert, zieht sie eine Linie von Gablers Kurzschrift, die den Grundsatz "Schreibe, wie Du hörst" propagierte und "[k]onsequenter" als andere Kurzschriftsysteme auf die "Fähigkeit des Kombinierens" setzte, zu Doris' Vorhaben ihr Tagebuch zu "schreiben wie Film". Die Wörter des "kunstseidenen Mädchen[s]" Doris, die wie ein "Filmstreifen in einem Projektor ruckartig vorwärtslaufen" seien "nur Bewegungssimulationen" und offenbarten "Lücken", die gerade so wie bei Gablers Kurzschrift, "nur ein Leserbewusstsein auszufüllen vermag". Das Kino sei für die Protagonistin der Ort, dessen Bilder die von Schreibmaschine und Stenografie "hinterlassen[en]" "Wortfragmente" wieder zusammenfügen. Denn, so erläutert die Autorin "im Kino wird die Ordnung des Symbolischen durch die des Imaginären ersetzt - und macht alles Denken überflüssig." Indem Doris das Vorhaben, ein "Glanz" werden zu wollen, aufgibt, ändere sich auch ihr Stil. Im letzten Kapitel des "Kunstseidenen Mädchen[s]" sei "von hektischer Mitschrift [...] nichts mehr zu spüren". Es sei "zur Ruhe gekommen" und die Schriftstellerin Irmgard Keun habe sich "durchgesetzt".


Titelbild

Sabine Biebl / Verena Mund / Heide Volkening (Hg.): Working Girls. Zur Ökonomie von Liebe und Arbeit.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2007.
280 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-13: 9783865990334

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