Entleerte Oberflächlichkeiten?

Dietmar Dath und Daniela Burger kommentieren den aktuellen Stand der Tonträgerkritik

Von Christian WerthschulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Werthschulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vielleicht ist es mit der Plattenkritik wie mit der Rockmusik. Irgendwie langweilt sie mittlerweile, verschwinden wird sie aber dennoch nicht so schnell. Die Form von Plattenkritik, die sich nicht mit ihrer Rolle als Kaufempfehlung begnügt, hat allerdings einen ebenso schweren Stand wie die musikalischen Versuche, das Popformat zu transzendieren, ohne im Netzwerk der akademischen Klangforschung zu überwintern.

Pop, zur Jahrtausendwende noch gerne zur Weltverklärung verwendet, scheint mittlerweile nur so lange von Wichtigkeit zu sein, wie einem die Übel des Lebens dazu die Zeit lassen. Auch Dietmar Dath und Daniela Burger wissen dies. "Das ganze ist Kunst, nicht Leben", schreiben sie im Vorwort ihres Buches "The Shramps" und fügen hinzu: "Ein Unterschied, der im Moment abgeschafft werden soll. Das Leben, das dann allein übrigbleibt, will man ehrlich gesagt auch nicht unbedingt kennenlernen." Besonders viel Leben bliebe im Falle von "The Shramps" ohnehin nicht übrig - versammelt sind Plattenkritiken zu ausnahmslos nicht existenten Tonträgern.

Es ist für das Basismodul Kulturtheorie geeignetes Material, das "The Shramps" bereithält - entleerte Signifikanten finden sich auf den 48 Seiten auf jeden Fall in ausreichender Menge. Die Veröffentlichung "[ ]: [ ]" gehört dazu. Veröffentlicht auf dem englischen Label Warp, vor der Jahrtausendwende eine Heimstätte elektronischer Musik der eher abstrakten Spielart, wird sie bei Dath und Burger zu einer Aneinanderreihung von durch Onomatopoeia unterbrochenen Backslashes: "(...) //////////// blip /// /// // (...)" und somit auch zu einem Kommentar zu einer Form des an Gilles Deleuze angelehnten Popdiskurses, der in der Verschaltung von Synthesemodulen ein rihzomatisches Netzwerk als Gegenmodell zum "Freizeitknast" des Dancefloor etablieren wollte.

Es ist hilfreich, die Zeitschrift "Spex" ausgiebig gelesen zu haben, bei der Dath einmal als Chefredakteur arbeitete, um "The Shramps" als Parodie für sich zu entdecken. Belohnt wird dies mit wundervollen Einsichten in das strenge Regelsystem dessen, was früher als "Underground" beschrieben wurde. Henry Rollins, seines Zeichens stiernackiger Hardcore-Barde komponiert ein Musical über Loreena Bobbitt? Und dann auch noch zusammen mit Terre Thaemlitz, ihres Zeichens Vervieldeuterin von Geschlechtszuschreibungen? Was in der Realität eher unvorstellbar erscheint, in "The Shramps" wird es der Regelfall, egal ob nun Frank Zander eine Symphonie einspielt oder der Schmalzgoth Tilo Wolff sein Faible für Zwölftonmusik entdeckt.

Wichtiger als das Verständnis für diese Anspielungen ist jedoch vielleicht der Fließtext, der "The Shramps" durchläuft, eine Auseinandersetzung Daths mit dem kommunistischen Komponisten Luigi Nono und den Möglichkeiten einer politischen Soundästhetik anhand des Motivs einer operativen Ohrkorrektur: "Meist hinterläßt die Ohrkorrektur eine schmale Narbe hinter dem Ohr, die im Lauf der Zeit immer weniger zu sehen ist. In hundert Jahren tut es nicht mehr weh."

Der britische Kulturwissenschaftler Stuart Hall begründete sein Interesse an Popkultur einmal damit, dass er dort am ehesten die Möglichkeit zur Verwirklichung des Sozialismus sähe. In "The Shramps" bleibt von diesem Glauben nicht mehr viel übrig. Denn die Zeiten, in denen die Frage nach dem Stil noch zusammen mit der Frage nach Hegemonie gestellt werden konnte, sind auch für Dietmar Dath und Daniela Burger vorbei und mit dieser Sammlung fiktiver Kritiken, die nicht am Rockzipfel der Musikpromoter hängt, beweisen sie das so stilsicher wie nur eben möglich.


Titelbild

Dietmar Dath / Daniela Burger: The Shramps.
Verbrecher Verlag, Berlin 2008.
48 Seiten, 9,00 EUR.
ISBN-13: 9783935843997

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