Viel Empörung

Peter Jamin zu Peter Handke und dem Heine-Preis

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal greift man an, manchmal wird man angegriffen. Letzteres ist in der Regel unangenehm und führt zuweilen zu Gejammer. Meister des Jammerns sind in jüngerer Zeit die meisten jener deutschsprachigen Autoren, die stolz darauf sind, mit ihrer Literatur politisch zu provozieren - und das unabhängig von der politischen Meinung. Zu erinnern ist etwa an Botho Strauß, der sich in seinem "Anschwellenden Bocksgesang" begeistert von Völkern zeigte, die für ihr "Sittengesetz" bereit seien, "Blutopfer" zu bringen - sich dann aber beleidigt statt todesmutig zeigte, als sein Essay bei einigen Lesern auf Widerspruch stieß. Martin Walser attackierte in seiner Paulskirchenrede kritische Intellektuelle als Feinde der Nation - sie "wollen uns wehtun, weil sie finden, sie haben das verdient"; als sich aber die so Angesprochenen wehrten, mochte Walser nur als Dichter gesprochen haben. Sozialistische Autoren aus der DDR fühlten sich nach der Wende betrübt, als hätten sie nie gelernt, was ein Klassenfeind ist; Günter Grass ist notorisch beleidigt, wenn man seinen politischen Einschätzungen widerspricht oder nicht die Ehrlichkeit lobt, mit der er bereits 61 Jahre nach Kriegsende seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS bekanntgab.

Peter Handke gehört nur bedingt in diese Gruppe. Zwar schreibt auch er seit fünfzehn Jahren über den Jugoslawien-Konflikt, attackiert nicht eben zurückhaltend westliche Politiker und Medien, will aber dann doch als Dichter behandelt werden. Doch ging er auf dem Höhepunkt der Konfrontation auf Lesereise und suchte das Gespräch mit seinen Gegnern - das diese ihm allerdings meist verweigerten. Es ist dies aber wie auch in den anderen Fällen keine persönliche Tragik. Tragik nämlich beruht auf sittlich notwendiger Verkennung, nicht aber auf Fehleinschätzung. Alle diese Autoren haben sich auf das Feld des Politischen begeben, auf dem andere Regeln als im Poetischen gelten. Im Poetischen hat die einzelne Wahrnehmung, in einem je zu bestimmenden Verhältnis zum Allgemeinen, ihr Recht - im Politischen hingegen geht es darum, das eigene Interesse gegen ein anderes durchzusetzen. Zu diesem Zweck sind die gegnerischen Argumente allenfalls unter einem taktischen Gesichtspunkt wahrzunehmen, doch nie in ihrem Eigenwert zu respektieren.

Das Missverhältnis ist bei Handke und Jugoslawien mittlerweile etabliert. Es begann mit der Rezeption seiner "Winterlichen Reise" von 1995, in der er der vorherrschenden antiserbischen Sicht widersprach. Handke ließ sich in seinem Engagement nicht beirren: Immer wieder provozierte er die Vertreter der Mehrheitsmeinung, von Texten zum NATO-Angriff auf Jugoslawien von 1999 über den Prozess in Den Haag gegen Milosevic bis hin zu einer Grabrede auf den Angeklagten, der in westlicher Haft ums Leben kam, bevor ein Urteil verkündet wurde.

Das Feuilleton reagierte wechselhaft; schien man zuerst Handke komplett verwerfen zu wollen, einigte man sich bald darauf, den Dichter vom politischen Agitator zu trennen. Dies zieht sich durch bis hinein in die jüngsten Rezensionen zu "Die morawische Nacht" und "Meine Ortstafeln - meine Zeittafeln". Schwierig wurde dies zwischenzeitlich, als im Frühjahr 2006 die Stadt Düsseldorf mitteilte, dass eine von ihr benannte, unabhängige Jury Handke den renommierten und wohldotierten Heine-Preis zuerkannt habe. Der Verlauf der folgenden Diskussion war peinlich. Es wurde bezweifelt, ob Handke die vorgeblich in Heines Sinn formulierte Bedingung der Satzung erfülle, die verlangte, er müsse "den sozialen und politischen Fortschritt fördern, der Völkerverständigung dienen oder die Erkenntnis von der Zusammengehörigkeit aller Menschen verbreiten".

Da man sich darauf geeinigt hatte, dass in Jugoslawien die serbische Seite die schuldige sei, musste Handke als Freund von Völkermördern erscheinen. Die Jury tauchte angesichts politischer Proteste ab, die in ihr sehr wohl repräsentierten Vertreter von Stadt und Bundesland wollten von nichts gewusst haben, und überhaupt stellte sich heraus, dass kaum jemand die politisch einschlägigen oder auch nur irgendwelche anderen Texte Handkes vor der Abstimmung gelesen hatte. Dankbar nahm man in Düsseldorf einen Brief Handkes zur Kenntnis, den man als Verzicht auf den Preis interpretieren konnte, und meinte so, sich eine Fortsetzung der Debatte ersparen zu können.

Im Dezember 2006 erschien dazu eine Dokumentation von Peter Jamin, die hier etwas verspätet besprochen wird. Jamin weist mit zahlreichen Zitaten die Ignoranz der meisten Beteiligten nach. Er glaubt an Regeln und belegt überzeugend, dass Handke nach der Satzung des Heine-Preises immer noch Preisträger sei; doch auch, wenn er nichts davon wissen will, ist Recht eine Machtfrage, und die war bereits Ende 2006 entschieden. Jamin beklagt die politische Technik in einer Gesellschaft, in der die Verfügung über mediale Präsenz gleichzeitig eine über Macht ist, als der literarischen Sache nicht angemessen. Nur: Die Jugoslawien-Kriege sind eine politische Frage, und sie werden nach den Regeln des Politischen entschieden. Im Politischen gilt es nicht, den Gegner zu widerlegen, sondern ihn mundtot zu machen. Ebendies gelang Handkes Gegnern im Sommer 2006.

Nicht immer stellt Jamin sein tatsächlich lohnendes Material geschickt oder wenigstens übersichtlich dar. Manche Abschnitte wirken wie Auflistungen von Zitaten; auch wiederholt sich einiges. Schwerer aber wiegt der so ehrenhafte wie störende Gestus der Empörung: Was Jamin als fehlendes Niveau erscheint, wäre angemessener als jener Unterschied zwischen verschiedenen Diskursen zu begreifen, den nach so vielen Jahren des Konflikts auch der seit dem Beginn seiner Laufbahn medienerfahrene Handke verstanden und zu benutzen gelernt haben sollte.

Viele Einschätzungen muss man Jamin glauben, weil er, um die Masse der Beiträge zu berücksichtigen, häufig nur Zitate sammelt, statt den Argumentationskontext zu berücksichtigen. Schwach ist sein Abschnitt zu Handkes Jugoslawien-Texten, zu denen mittlerweile immerhin eine umfangreiche germanistische Forschung vorliegt: Jamin erklärt die Werke einfach deshalb für mangelhaft, weil es ihnen an faktischen Argumenten fehlt. Das stimmt natürlich und ist einfach nachzuweisen; doch geht es in ihnen gerade um die friedensstiftende Wirkung, die das Erzählen individueller Erfahrungen haben kann. Angesichts der balkanischen Morde seit 1991 ist zwar äußerst zweifelhaft, ob dieses Konzept tragfähig ist - aber gerade wem es, wie Jamin, um die adäquate Rezeption von Literatur im politischen Streit geht, müsste das Konzept Handkes vorstellen, statt vor allem das zu bemängeln, was in den Büchern fehlt.

Ist dieses Schreiben dem Werk Heines würdig? Die Mehrheit meinte 2006, dass nein, weil sie sich im Sinne der Preisausschreibung einen mittels Festlegung auf Frieden, Verständigung und Toleranz der Gegenwart anbequemten Heine herbeiphantasierte. Jamin dagegen meint, dass ja, weil wie Handke den Verbrecher Milosevic, so auch Heine den Massenmörder Napoleon hochgeschätzt habe. Daran stimmt natürlich, dass Heine garstiger und auch gewaltbereiter war, als es das europäische Selbstbild heute erlaubt; von Europas Praxis dagegen hätte sich Heine erschaudernd abgewandt. Zu fragen wäre indessen nach der Funktion von Gewalt. Napoleon war, bezogen auf Deutschland, der Fortschritt, wie er eben nach 1800 möglich war; deshalb standen Goethe wie Heine zu Recht auf seiner Seite. War hingegen Milosevic als jugoslawischer Politiker die progressive Lösung gegenüber den Kleinststaaten, die nun als Resultat der ethnisch bedingten Spaltung von Europa subventioniert und damit beherrscht werden? Oder ist die ausländische Kapitalisierung dieser ökonomisch lebensunfähigen Gebilde ein Schritt nach vorne? Eine solche Überlegung ist Handke, der die Nöte der vom Embargo geplagten serbischen Wirtschaft als Gewinn an Authentizität sah, fremd; sie ist unbegreiflich für Jamin, der von einer Jury und gar von Politikern literarische Kenntnisse erwartet, wo es doch um Machtfragen geht. Die Debatte um den Heine-Preis hätte eine gründlichere Einschätzung verdient, als sie hier vorliegt.


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Peter H. Jamin: Der Handke-Skandal. Wie die Debatte um den Heinrich-Heine-Preis unsere Kultur-Gesellschaft entblößte.
Gardez Verlag, Remscheid 2006.
128 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3897961806
ISBN-13: 9783897961807

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