Von Göttern und Affen

Ulrike Brunotte und Rainer Herrn geben einen Sammelband zu Männlichkeiten um 1900 heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Für ihren Sammelband zum "Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900" konnten die HerausgeberInnen Ulrike Brunotte und Rainer Herrn eine ganze Reihe bekannter AutorInnen verschiedener Disziplinen gewinnen, unter ihnen etwa Cornelia Klinger, Ute Frevert, Christina von Braun und Inge Stefan. Andere wie Tanja Paulitz und Sabine Mehlmann sind auf dem besten Weg, sich einen guten Namen zu machen.

Wie die HerausgeberInnen darlegen, gilt das Erkenntnisinteresse des Bandes insbesondere den "Erschütterungsdiskurse[n], die von 1880 bis 1925 die bürgerlich-hegemoniale Männlichkeitsstereotype umgeben, auslöschen und neu definieren". Ute Frevert nimmt "das Militär als Schule der Männlichkeit" in den Blick, Martin Lücke interpretiert "die Männlichkeitsrhetorik der Homosexuellenbewegung in der Weimarer Republik als hegemoniale Herrschaftspraxis" und Rainer Herrn beleuchtet "Magnus Hirschfelds Geschlechterkosmos". Der "Feminisierung der Religions(wissenschaft) bei J. J. Bachofen und Jane E. Harrison" gilt Ulrike Brunottes Interesse und Marylin Reizbaum schließlich untersucht "die männliche Kunst der jüdischen 'Degeneration'".

Sabine Mehlmann geht der "paradoxen Konstruktionslogik moderner Männlichkeit" nach. Mit der "Konstruktion des Mannes als 'überlegene[m]' Geschlecht" einerseits und der "als geschlechtsneutralem Menschen" andererseits stehen zwei zwar gleichermaßen "zentrale", einander jedoch widersprechende "Konstruktionsmodi moderner Männlichkeit" im Mittelpunkt ihres Beitrags. Mehlmann rekonstruiert nicht nur die "historische Genese" der beiden Konstruktionsmodi, sondern wirft auch einen erhellenden Blick auf deren "geschlechtertheoretische Einbettung".

Inge Stefan erwärmt sich für die "Polarfantasien von Georg Heym". Wie die Germanistin zeigt, glorifizieren Heyms Texte "Das Tagebuch Shakletons" und "Die Südpolfahrer" ihre Protagonisten nicht etwa, sondern zielen vielmehr auf eine Kritik der "eisigen Helden", die sich auf ihrem langen Weg "von 'Übermenschen' in 'Drahtpuppen'" verwandeln, "die wie Maschinen zum Pol marschieren".

Auch Cornelia Klingers Interesse gilt einer Veränderung, doch richtet es sich ganz allgemein auf die des Männlichkeitskonzepts um 1900, das sie im Titel ihres Beitrages spöttisch als eine Entwicklung "von der Gottesbildlichkeit zur Affentragödie" apostrophiert. Im Text selbst vertritt sie zunächst die nicht ganz neue These, dass das als ehemals universal gedachte männliche Subjekt um 1900 eine "Verleiblichung und Verweiblichung" erfuhr. Wie Klinger bemerkt, gewann die Frau parallel zu dieser Entwicklung erstmals den "Status eines - wenn schon nicht universalen, so doch wenigstens bürgerlichen - Subjekts". Die Simultanität beider Entwicklungen rechtfertigte es, "den Tod des Patriarchats anzuzeigen". Allerdings, so betont sie, folgte auf das "Ende des Patriarchats" nicht etwa ein "Goldenes Zeitalter des Friedens und der Harmonie", sondern ganz im Gegenteil ein "Interregnum konkurrierender großer Brüder, deren marodierende Männerhorden eine blutige Spur durch das 20. Jahrhundert gezogen haben". Für die Gender Studies gelte es daher, künftig genauer zwischen Patriarchalismus und Maskulinismus zu unterscheiden. Denn das Ende des Patriarchats bedeute "keineswegs unbedingt und unzweideutig das Ende der männlichen Dominanz". Die, wie Klinger prognostiziert, wohl noch länger anhaltende Gefährlichkeit des gegenwärtigen "post-patriarchalischen Maskulinismus" erwachse vielmehr gerade aus seiner "prekären Legitimationsgrundlage" und "relativen Schwäche".

Zu erwähnen bleibt noch, dass Klinger in ihrem wenn auch vielleicht nicht immer überzeugenden, insgesamt aber zumindest innovativen Beitrag die im feministischen Diskurs des 20. und 21. Jahrhunderts weithin geächtete Philosophin Helene von Druskowitz zu Wort kommen lässt. Ihr ist auch das Wort von der "Affentragödie" im Titel von Klingers Beitrag zu danken.


Titelbild

Ulrike Brunotte / Rainer Herrn (Hg.): Männlichkeiten und Moderne. Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
291 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783899427073

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