Die Zähmung des Action Girls

Nadja Sennewald geht der Gender-Inszenierung in Science Fiction-Serien nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vor exakt fünfzig Jahren beklagte Hannah Arendt, dass sich - wie es in der späteren deutschen Übersetzung ihres Buches "The Human Condition" (1958, dt. "Vita activa" 1967) heißt - "leider noch niemand ernsthaft" um die "seltsame Verrücktheit" der Science-Fiction-Literatur "gekümmert" habe. So berechtigt die Klage damals zweifellos gewesen ist - in Zeiten der Cultural Studies ist sie längst obsolet, steigt die Zahl der seriösen Untersuchungen zur Science Fiction doch kontinuierlich an.

Eine der jüngsten hat Nadja Sennewald verfasst. Ihr Interesse gilt der Frage, wie Geschlecht im "fantastischen Setting in der Zukunft" inszeniert wird, denn Science Fiction sei "besonders geeignet, mit der Geschlechterthematik auf spielerische oder sogar utopische Art und Weise umzugehen". Die Geschlechterkonstruktionen in der Science Fiction untersucht sie allerdings nicht anhand der Literatur des Genres, sondern am Beispiel amerikanischer TV-Serien seit den ausgehenden 1980er-Jahren, namentlich den mittleren dreien von bislang fünf "Star-Trek"-Serien "The Next Generation" (TNG), "Deep Space Nine" (DS9) und "Voyager" (VOY), sodann der Serie "Spacecenter Babylon 5" (B5) und deren allerdings nur kurzlebigem Spin-Off "Babylon 5 Crusade" (CRU) sowie schließlich "Andromeda" (AND).

Zur Auswahl der Serien zog Sennewald mehrere Kriterien heran. Besonders wichtig war ihr deren "thematische Ähnlichkeit". Sie alle spielen auf Raumschiffen oder Raumstationen, zu den ProtagonistInnen zählen Aliens, die der Autorin zufolge "das nicht-menschliche 'Andere' repräsentieren", und die ProtagonistInnen "sind meist in die mächtigste militärische Organisation ihrer Zeit eingebunden, die von Menschen dominiert wird". Ebenso wie die anderen macht auch dieses letzte Kriterium die Serien zwar tatsächlich besser vergleichbar, schränkt aber das Spektrum der infrage kommenden Untersuchungsobjekte derart ein, dass Sennewalds Befunde keine Aussagekraft über (amerikanische) SF-Serien seit den 1980er-Jahren insgesamt beanspruchen können. Daher wäre es wohl vorzuziehen gewesen, eine ganz anders gelagerte Serie wie "Farscape" mit einzubeziehen, deren ProtagonistInnen gerade nicht der größten militärischen Organisation der Erzählgegenwart angehören, sondern als bunt zusammengewürfelter Haufen vor der stärksten Militärmacht der Serie, den so genannten Peacekeepern, auf der Flucht sind.

Ein letztes von Sennewald genanntes Kriterium, dem gemäß alle ausgewählten Serien fünf bis sieben Staffeln umfassen, trifft auf "Crusade" nicht zu. Die Serie wurde bereits nach der ersten Staffel, die zudem nur dreizehn Episoden umfasste, eingestellt, ohne dass die Handlung abgeschlossen worden wäre. Von den insgesamt 758 Einzelepisoden der fünf herangezogenen Serien "sichtet[e]" Sennewald 197, wobei sie 21 Figuren näher untersuchte.

Ziel ihrer Arbeit ist es, mithilfe eines "dekonstruktivistische[n] Ansatz[es]", "herauszufinden, welcher Weiblichkeits- und Männlichkeitsattribute sich die ausgewählten Serien bedienen, um die Figuren zu inszenieren und damit Geschlecht auf eine spezifische Art und Weise zu konstruieren". So will Sennewald Aufschluss darüber erlangen, inwiefern "Stereotype von Weiblichkeit und Männlichkeit affirmiert, gebrochen oder sogar umdefiniert" werden. Darüber hinaus fragt die Autorin, mit welchen "narrativen und filmästhetischen Mitteln" die Serien dies "bewerkstellig[en]".

In den zentralen Abschnitten "Captain, mein Captain: Frauen, Männer, Macht", "Was bin ich? Geschlechtertransformationen" und "Unbekannte Lebensformen: Dritte Geschlechter" untersucht Sennewald drei "Themenkomplexe", deren erster der Frage gilt, "ob das Modell des männlichen Helden auf die weiblichen Captains und die Action Girls übertragen wird, oder ob für diese neuen Figurentypen neue Regeln gelten". Im zweiten Themenkomplex werden die beiden "gegenläufige[n] Prozesse" der "Geschlechtswerdung" und des "Geschlechtswechsel[s]" in den Blick genommen. Der dritte wendet sich Figuren zu, "die sich nicht in einem binären Mann-Frau-Schema kategorisieren lassen."

Zum ersten Themenkomplex "Frauen, Männer, Macht" lassen sich der Autorin zufolge "anhand des Materials deutlich zwei Figurentypen benennen", zum einen "die männlichen und die weiblichen Captains" und zum zweiten die "Action Girls". Warum die zahlreichen 'Action Boys' der Serien weder an dieser Stelle benannt noch in der ganzen Arbeit näher in Augenschein genommen werden, bleibt unklar.

Aus Sennewalds Untersuchung der Captains sticht besonders ihre negative Bewertung Kathryn Janeways aus "Voyager" hervor. Der Versuch der "Star-Trek"-Produzenten, "männliche Befehlsgewalt durch eine Frau verkörpern zu lassen", sei "[ge]scheitert", lautet ihr Befund. Denn die Analyse der Figur habe deutlich werden lassen, "dass Macht nicht neutral sondern vergeschlechtlicht ist". Da die "Befehlsgewalt" eines Captains "männlich kodiert" sei, werde Janeways "Autorität laufend narrativ demontiert". Daran ist soviel richtig, dass Janeway zwar gelegentlich irrt, doch ist sie es, die das auf einer Odyssee durch die gesamte Milchstraße befindliche Schiff schließlich heimführt und in der abschließenden Doppelepisode ("Endspiel" VOY Staffel 7, Episoden 25 und 26) durch eine Zeitreise im Alleingang verstorbene oder unheilbar erkrankte Crew-Mitglieder rettet. Auch zuvor zeigen mehrere Episoden Janeway als kompetente Kommandantin. Darunter "Das oberste Gesetz" (VOY Staffel 1, Episode 9). Hier erkennt sie die Gefahr, die einem technischen Instrument innewohnt, das eine schnellere Heimkehr verspricht. Als Tuvok und B'Elana Torres es dennoch gegen ihren Befehl und hinter ihrem Rücken einsetzen, wird das Raumschiff beinahe vernichtet. Zudem wird Janeway wiederholt als kompetente Wissenschaftlerin dargestellt, die Probleme am schnellsten zu lösen versteht.

Typisch für Sennewalds negative Lesart der Figur Janeway ist ihre Interpretation der Doppelepisode "Arbeiterschaft" (VOY Staffel 7, Episoden 16 und 17). Die Mitglieder der Crew bekommen falsche Erinnerungen und eine andere Persönlichkeit eingepflanzt, um sie auf einem Industrieplaneten als Arbeitskräfte einsetzen zu können. Auf ihm findet Janeway ihr Glück in einer mittleren beruflichen Stellung und in 'trauter Zweisamkeit' mit einem anderen Arbeiter. Diese "uniformlose Zivilperson", lautet nun Sennewalds Interpretation, sei "die 'wahre' Janeway". Das "wahre Ich" der Figur scheine "keine höhere Berufung zu verspüren" und Janeway sei "zufrieden mit ihrem kleinen privaten Glück". Kurz: die "Aussage dieser Folge" sei, dass Janeway keine "'natürliche' Führungspersönlichkeit" ist. Plausibler wäre allerdings die Interpretation, dass man sie schon einer gründlichen Gehirnwäsche unterziehen muss, um sie glauben zu machen, in dieser Art von Leben ihr Glück finden zu können. Dass die auf dem Planeten durchgeführte Gehirnwäsche nicht die wahren Persönlichkeiten der Figuren hervorbringt, sondern diese zumindest bei einigen Mitgliedern der Voyager vielmehr geradezu umkehrt, wird daran deutlich, dass der fähigste und wagemutigste Pilot der Sternenflotte Tom Paris unter ihrem Einfluss erklärt, er wäre noch nicht im Weltraum gewesen, da ihn Raumfahrt krank mache. Dies scheint Sennewald entgangen zu sein.

Unzutreffend ist auch, dass dem Captain der Raumstation Babylon 5 und späterem terranischen Präsidenten John Sheridan "im Gegensatz zu Janeway, nie ein Entscheidungsfehler" unterlaufen sei und er die Fähigkeit habe, "alles zum Guten zu wenden". Tatsächlich begeht er wiederholt gravierende Fehler, und für die Bewohner des Planeten Centauri Prime wendet sich gar nichts zum Guten, vielmehr zählt die Vernichtung ihrer Welt nicht zuletzt zu den 'Kollateralschäden' von Sheridans Kriegspolitik. Und dass die männlichen Captains "autoritäre Vaterfiguren [sind], deren Führungsanspruch sich durch kämpferische und moralische Überlegenheit legitimiert", kann Sennewald nur behaupten, indem sie die beiden Star Trek-Serien "The Original Series" und "Enterprise" mit ihren Captains James Kirk und Jonathan Archer ausblendet. Trotz dieser insbesondere Janeway betreffenden Kritikpunkte darf man festhalten, dass Sennewalds Analyse der Captains weitgehend überzeugen kann.

Wird Janeway gemeinhin als mütterlich charakterisiert, so kennzeichnet die Action Girls ihre "hohe sexuelle Attraktivität, große Aggressivität, Konfliktbereitschaft, körperliche Stärke, Meisterschaft in diversen Kampfkünsten" und der "strategische Einsatz von Technologie". Eigenschaften, die Sennewald zufolge "sonst männlichen Helden zugedacht wurden". Mit einer gravierenden Ausnahme, auf die man einschränkend hinweisen muss: die hohe sexuellen Attraktivität. Mag sein, dass sie auch der eine oder andere männliche Held zu bieten hat, aber meist sind es doch die von ihnen zu rettende Frauen, die sich oft genug durch nichts weiter als Sexappeal ,auszeichnen'.

Die von ihr untersuchten Action Girls erkennt die Autorin als "tatsächlich starke Heldinnen und handlungstragende Figuren", denen "[die] Umkehr des typischen Bildes der Frau als Opfer/Objekt von Gewalt in die Frau als Täterin/Subjekt von Gewalt" zu verdanken sei, da sie "meist siegreich" sind und "in der Regel nicht gerettet werden [müssen]", sondern sich selbst "und manchmal sogar andere" retten. Die "eigentlich 'tödliche' Gefahr, der sich die Action Girls stellen müssen", sei an ganz anderer Stelle zu suchen, nämlich in der möglichen "Vereinnahmung durch und die Reintegration in das gesellschaftliche Normalmodell der Geschlechterrollen".

Das ist alles richtig. Weniger überzeugt hingegen die These, dass in den untersuchten Star-Trek-Serien (ebenso wie in "Andromeda") ein "Zwang zur Wiederherstellung des narrativen Musters der männlichen Überlegenheit am Schluss der Episode" (gemeint ist das Ende der jeweiligen Serien) herrsche und dass dieser Zwang nur für diese Serien, nicht aber für "Babylon 5" und deren Spin-Off "Crusade" gelte.

Zum Beleg vergleicht die Autorin Action Girls in den "Star Trek"-Serien mit Elisabeth Lochley, die in "Babylon 5" und "Crusade" zwar Captain ist, aber zugleich die Rolle eines Action Girls übernimmt. Ein Vergleich, der auf die Gefahr der Reintegration in das gesellschaftliche Normalmodell der Geschlechterrollen zielt, und der sehr zu Ungunsten der "Star Trek"-Heldinnen ausfällt. Als Argument für ihren Befunde führt die Autorin an, dass Lochley anders als die Action Girls der "Star Trek"-Serien an deren Ende "nicht in irgendeiner Form abgeschwächt, demontiert oder zugerichtet" werde.

Dieser Befund ist aus mindestens zwei Gründen wenig überzeugend: Zum einen, weil "Crusade" nicht zuende erzählt, sondern abgebrochen wurde, man also nicht weiß, was für ein Ende der Figur zugedacht war. Hätte Sennewald als zu untersuchendes Action Girl aus der Serie "Babylon 5" nicht Elisabeth Lochley herangezogen, sondern Susan Ivanova, wäre der Vergleich zudem wohl kaum so sehr zu Ungunsten von "Star-Trek" ausgefallen.

Wichtiger aber ist, dass die Analyse (der Demontage) der Action Girls in "Star Trek" nicht überzeugt. Aus dem Action Girl B'Elana Torres wird Sennewald zufolge "eine liebende Ehefrau und vorbildliche Mutter". Das trifft nur zur Hälfte zu und verschweigt eine andere Hälfte. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass man nicht weiß, ob die Figur eine gute, gar eine vorbildliche oder vielleicht eine schlechte Mutter wird, denn die Serie endet mit der Geburt ihrer Tochter. Richtig ist hingegen, dass sie sich in der Serie zur liebenden Ehefrau entwickelt. Entgegen Sennewalds Auffassung verliert sie dadurch aber keineswegs die Charakteristika eines Action Girls. Und verschwiegen wird, dass die Figur Tom Paris, die sie im Laufe der Serie heiratet, seinerseits ein liebender Gatte wird. Insofern unterscheiden sich die Geschlechternarrationen nicht. Anders als Torres wird der frühere Draufgänger durch Ehe und Vaterschaft aber tatsächlich gezähmt und domestiziert. So lehnt er in der abschließenden Episode "Endspiel" die Bitte seines Freundes Harry Kim, gemeinsam ein gefährliches Unternehmen zu starten, mit der Begründung ab, er sei nun verheiratet und seine Frau erwarte ein Kind.

Sennewalds Befund wird zudem durch eine Erkenntnis erschüttert, die Katrin Oltmann jüngst publizierte. In ihrer hervorragenden Dissertation zum Gender-Diskurs in Hollywoods romantischen Komödien der Jahre 1930-1960 zeigt sie, dass der "subversive Impetus" mit dem ein Film die herkömmlichen Geschlechterrollen- und -klischees destruiert, keineswegs durch eine diese restituierende Schlussszene aufgehoben wird, und dass ein die selbstständige Protagonistin entmächtigender Schluss weder die Figur noch deren Wahrnehmung durch das Publikum prägt. Entscheidend ist vielmehr deren zuvor einen ganzen Film lang andauernde Stärke. Dies dürfte in noch weit größerem Maße auf Figuren zutreffen, die über mehr als 170 Episoden und rund 150 Stunden Spielzeit das starke Action Girl geben, selbst wenn sie ihre Stärke in den wenigen Minuten der letzten Episode verlieren sollten, wobei auch letzteres im Falle von Torres zu bezweifeln ist. Bei aller Kritik an der Untersuchung der Figur Torres soll allerdings auch Sennewalds treffende Analyse des Action Girls Kyra Neris aus dem Spiegel-Universum von "Deep Space Nine" nicht unerwähnt bleiben.

Wirklich demontiert, und zwar gründlich, wird im Übrigen die Vulkanierin T'Pol im Prequel "Enterprise", der bislang letzten der fünf "Star Trek"-Serien. Über etliche Episoden hinweg ziehen die Produzenten die ehemals starke Figur am Nasenring durch die Testosteron-Arena, legen sie dem hinterwäldlerischsten Besatzungsmitglied ins Bett, machen sie rauschgiftsüchtig und zwingen sie schließlich dazu, eine arrangierte Ehe mit einem ungeliebten Vulkanier einzugehen. Dies wiegt um so schwerer, als sie die einzige (ursprünglich) starke Frauenfigur einer Serie ist, die insgesamt nicht weniger sexistisch ist als die Original Series aus den 60er-Jahren. Umso bedauerlicher ist es, dass sie von Sennewald nicht berücksichtig wird.

Ebenfalls zu den Action Girls des "Star Trek"-Universums zählt Seven of Nine aus "Voyager". Die ehemalige Borg wird von Sennewald jedoch nicht als Action Girl sondern unter der Rubrik "Geschlechtertransformationen" unter die Lupe genommen, und das aus durchaus guten Gründen. Denn bei Seven handelt es sich zwar um "die sexualisierteste Figur der Serie", doch ist ihr Sex-Appeal "reine Oberfläche". Ungeachtet ihres "über-weiblich[en]" Aussehens ist ihr Verhalten keineswegs "stereotyp weiblich", sondern "meistens sogar männlich kodiert", wie Sennewald zutreffend bemerkt.

Überhaupt fällt der Abschnitt zu den Geschlechtertransformationen insgesamt überzeugend aus. Dass der Androide Data aus "The Next Generation" zwar einen Penis besitzt, aber keinen Phallus, gehört sogar zu den originellsten Überlegungen der Arbeit. Ebenso ist die Lesart seiner Mannwerdung als "Parodie auf verschiedene Männlichkeitsstereotypen" plausibel. Da fallen kleinere Fehler wie etwa, dass er keine Emotionen "lernen" könne, nicht ins Gewicht. Im Laufe der Serie erlangt er diese Fähigkeit sehr wohl. Auch zeugt nach der Metamorphose der "Babylon 5"-Figur Delenn entgegen der Behauptung Sennewalds nicht nur der "knöcherne Haarreif" von ihrem "Minbari-Sein", sondern ebenso die fremdartige Nasenwurzel und die leichten Wülste anstelle der Augenbrauen.

Zutreffend ist Sennewalds Analyse der Geschlechtertausch-Szenen bei den kapitalistisch-sexistischen Ferenghi aus "Deep Space Nine", denen sie "einige Motive" bescheinigt, "die das Potenzial haben, die Konstruiertheit von Geschlecht aufzuzeigen", wobei "Geschlechterstereotype gleichzeitig bestätigt und infrage gestellt, dekonstruiert und reetabliert" werden. Dass die Ferenghi eine hypersexistische und -patriarchalische Gesellschaft bilden, die in jeder Hinsicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird, wäre für eine genauere Interpretation der Geschlechtertausch-Szenen von Ferenghis nicht ganz unwesentlich, wird von der Autorin jedoch nicht weiter in ihre Überlegungen einbezogen.

Im Letzten der drei Hauptabschnitte wendet sich Sennewald den "Dritten Geschlechtern" zu. Ein Begriff, der zwar schon an die zweieinhalbtausend Jahre alt ist, jedoch erst um 1900 besondere Popularität erlangte, als sowohl emanzipierte Frauen und Feministinnen unter ihn gefasst, insbesondere aber Homosexuelle mit ihm bezeichnet wurden. Sennewald wendet ihn jedoch auf Geschlechter an, "die nicht dem Modell der binären, heteronormativen Zweigeschlechtlichkeit entsprechen". Es erstaunt wenig, dass "Geschlechterkonzepte jenseits des binären Modells" in den untersuchten Serien nur einigen wenigen Aliens "zugesprochen werden", im "Star Trek"-Universum etwa den Trill, den Formwandlern und den Q. Die "zentrale Frage" dieses Untersuchungsabschnittes lautet nun, "ob und wie Geschlechter, die jenseits der binären Matrix liegen", in den Serien "darstellbar sind" und "ein imaginärer Raum jenseits der binären Matrix eröffnet werden kann". Darüber hinaus fragt Sennewald, inwiefern sich Geschlechtlichkeit auf die in einer "binären Geschlechterpolarität" ruhenden "Heldennarration" auswirkt.

Auch in diesem dritten Teil befriedigt nicht jedes Detail der Analyse vollkommen. Zwar werden die Formwandler durch ihre "Nicht-Einbindung in das Geschlechtersystem" und durch die von ihnen ausgehende "paranoid machende Bedrohung" tatsächlich, wie von Sennewald behauptet, als die "ganz Anderen" konstruiert. Dafür, dass sie alleine schon als solche "zu Feinden der Sternenflotte" werden, liefert die Autorin jedoch keinen Beleg. Auch nicht dafür, dass die Nicht-Einbindung in das Geschlechtersystem hierbei eine Rolle spielt. Es lässt sich wohl auch keiner finden. Die narrative Begründung für die Feindschaft zwischen dem Dominion der Formwandler und aller anderen, von diesen "Solids" genannten Wesen - also nicht nur der Sternenflotte - liegt vielmehr darin, dass die Solids des Delta-Quadranten (dem Heimatquadranten der Formwandler) lange vor Beginn der Handlungszeit versuchten, die Formwandler auszurotten. Dies wird von der Autorin nicht weiter gewürdigt. Erwähnt wird nur, dass die "Kriegsherrin" der Formwandler "ohne Skrupel alle 'Solids' (Festkörperlichen) vernichten will und vor Völkermord nicht zurückschreckt". Aber dies ist eben die Reaktion des zuvor an ihrem Volk versuchten Völkermords. Unabhängig davon trifft Sennewalds Befund der binären Vergeschlechtlichung der Formwandler uneingeschränkt zu.

Gleiches gilt für ihre Analyse Qs. Ähnlich wie die Trill Jadzia Dax oder der Formwandler Odo und andere geschlechtsneutral angelegte Figuren wird auch das gottgleiche Überwesen Q (zuletzt) eindeutig genderisiert. Dax als weiblich, Odo und Q als männlich. Darüber hinaus macht Q genau die Entwicklung durch, die Sennewald zu unrecht dem Action Girl Torres zuspricht. Zu letzt wird er qua Heirat und Elternschaft - wenn auch nicht entmachtet - so doch domestiziert. Allerdings scheint der Autorin diese Entwicklung Qs entgangen zu sein.

Auch für den Abschnitt über die "Dritten Geschlechter" gilt also: Unabhängig von der einen oder anderen Unschärfe im Detail trifft Sennewalds zentraler Befund insgesamt zu: "Es existieren keine Figuren, die in den untersuchten Serien durchgängig eine Alternative zur binären Geschlechtermatrix repräsentieren."

Gleiches lässt sich auch über das Buch als ganzes sagen: Trotz einer Reihe von Schwächen und Ungenauigkeiten in einzelnen Fragen können ihre zentralen Aussagen - meist - überzeugen. Allerdings kann man sich nicht ganz des Eindrucks erwehren, als habe das gewünschte Untersuchungsergebnis - dass die Geschlechterkonstruktionen der Serien im Ganzen konservativ sind - schon von vorneherein festgestanden und die Autorin habe darum mal hier etwas unter den Tisch fallen lassen, was ihrem Befund zu widersprechen drohte, und mal dort etwas ein wenig zurechtgebogen. Das schwächt die Überzeugungskraft des Buches unnötig.


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Nadja Sennewald: Alien Gender. Die Inszenierung von Geschlecht in der Scince Fiction.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
311 Seiten, 28,60 EUR.
ISBN-13: 9783899428056

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