Klassische Schönheit

Eine Monografie von Thomas Hübener über Winckelmanns Schönheitsideal

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) gilt als der Begründer der Kunstgeschichte und Archäologie, wie sie heutzutage verstanden wird. Erfreulicherweise ist die vorliegende Arbeit nicht biografisch ausgerichtet. Indem Thomas Hübener nicht nur systematische und konstitutive Elemente von Winckelmanns Schaffen in die Monografie einfließen lässt, hat er seinen "Blick auf Ursprünge und ästhetische Folgen dieses Ideals" gerichtet - ohne dabei die antiklassischen Elemente in Winckelmanns Werk zu vernachlässigen.

Die in vier Abschnitte und einen resümierenden Schluss gegliederte Monografie beginnt mit einer übersichtartigen Einleitung, die die Gesamtdarstellung zusammenfasst und damit auch dem eiligen Leser schnelle Orientierung bietet. Der Autor beginnt im ersten Teil mit der Untersuchung von Winckelmanns Erstschrift "Gedancken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst" (1755), die die wichtigsten Thesen von Winckelmanns späteren Werken vorwegnimmt. Mit diesen Erkenntnissen im Gedächtnis geht er auf die Begriffsüberschneidungen und Unterschiede zu den ästhetischen Konstruktionen von Schiller und Kant ein und arbeitet die Unterschiede beziehungsweise Übereinstimmungen zwischen Erhabenem und Schönen bei Winckelmann heraus. Dabei kommt den Spannungsverhältnissen zwischen idealisierter Schönheit, Idealbild, "Naturwahrheit" und der geforderten Schönheit im Kunstwerk ein besonderer Schwerpunkt zu.

Der zweite Teil konzentriert sich auf die "Werte von Wahrheit und Schönheit" in Hinblick auf Giovanni Pietro Bellori (1615-1695), dessen Einfluss auf Winckelmanns Schriften unverkennbar ist. Der Abschnitt schließt mit einer Abwägung der verschiedenen kunsthistorischen Einflüsse und der Rezeption Winckelmanns von Platon und Plotin. Das Winckelmann'sche Ideal des übernatürlichen, vergöttlichten und schönen Menschen exemplifiziert der dritte Teil anhand der auch für Winckelmann selbst extrem wichtigen Beschreibung des Apolls von Belvedere, an der er sich immer wieder versucht. Dabei scheint besonders die androgyne Konstruktion des Winckelmann'schen Apolls bemerkenswert, die letztendlich auf das nahezu moderne Konzept vom Gesamtkunstwerk verweist - die Überwindung der Partikularität in dem einen Kunstwerk.

Zusammenfassend ist es ein kulturelles Symbol - dessen Rezeption etwa durch den George-Kreis durchaus kritisch kommentiert wird -, das Winckelmann repräsentiert. Aber es wäre zu kurz gedacht, wollte man ihn nur als Chiffre für ein Bild von Klazziszismus sehen. Er bietet auch dem gegenwärtigen Leser mehr, als man vermuten könnte, vor allem wenn man seine Nähe zu romantischen Konzepten und deren Modernität ins Auge fasst, denn "der Klassizist Winckelmann ist der Sehnsucht übervoll. Wirklich dekadent wäre seine Sehnsucht aber nur dann gewesen, wenn er die Unerreichbarkeit ihres Gegenstandes bejaht und gutgeheißen hätte. Dagegen spricht nicht zuletzt sein Neuerungsgeist, der den zuweilen elegischen Ton, mit dem er das unrettbar Untergegangene besingt, durch den energischen Versuch, einer Wiedergeburt griechischer Kunst im Hier und Jetzt mäeutisch dienstbar zu sein, wieder ausgleicht".

Eine gute Monografie über einen zu Unrecht aus dem Blick geratenen Autor, deren Lektüre viele Aufschlüsse über die Bedingungen von Mode und Zeitgeist der Gegenwart geben könnte.


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Thomas Hübener: Winckelmanns Schönheitsideal. Eine kunstphilosophische Studie.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2007.
165 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783865250728

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