Ein unwürdiger Advokat

Eine "Biographische Annäherung" an den Berliner Rechtsanwalt Hans Litten erinnert an das Leid eines im KZ gefolterten Juristen

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Straße, in der sich das Amtsgericht Berlin-Mitte befindet, trägt seit 1951 den Namen Littenstraße. Über den Anwalt, nach dem sie benannt wurde, gaben bis vor kurzem vor allem stark subjektiv geprägte und bereits vor Jahrzehnten erschienene Biografien Auskunft. Während von der Mutter Littens insbesondere der vergebliche Kampf um die Freilassung beschrieben wurde ("Eine Mutter kämpft gegen Hitler"), stammt von seinem bestem Freund Max Fürst die Beschreibung der jugendbewegten Zeit und der Anwaltskarriere Littens in der Weimarer Republik ("Talisman. Scheherezade"). Die nun vorliegende "Biographische Annäherung" ersetzt diese Werke keineswegs, aber es ergänzt sie aufgrund des sachlich-distanzierten Stils und der akribischen Auswertung der unterschiedlichsten Archiv-Bestände und lässt auch Widersprüchlichkeiten zu.

Faszinierend muss Litten demnach schon als Jugendlicher gewesen sein, als er mit dem erzkonservativen Vater - ebenfalls Jurist - heftige Diskussionen ausfocht und in der Jugendorganisation "Der schwarze Haufen" den Ton angab. Letzteres auf dermaßen provokante Art und Weise, dass der Ausschluss aus der übergeordneten Organisation, dem deutsch-jüdischen Wanderbund "Kameraden", nicht lange auf sich warten ließ. In diesem Bund regte er ständig zu intellektuellen Debatten über Kunst, Literatur und Politik an. Im scheinbaren Gegensatz dazu stand ein merkwürdiger religiöser, aber überkonfessioneller Mystizismus, der vielen seiner kommunistischen Gefährten dubios erschien. Zeitgenossen berichteten, dass er schon mal versuchte, die ungeliebte Hannah Arendt per Telepathie ins Jenseits zu befördern. Während einer Krise des "Schwarzen Haufens" postulierte er den unbedingten Zusammenhang der Jugendbewegung mit dem Glauben an eine metaphysische Realität und setzte sich für seinen Freund (und Führer der Gruppe) Max Fürst ein, indem er forderte, diesem müsse unbedingter Gehorsam geleistet werden und niemand dürfe ohne dessen Erlaubnis austreten. Dermaßen reaktionäre Äußerungen standen neben antinationalistischen Überzeugungen und ausgeprägtem Rechtsbewusstsein und sagen vermutlich mehr über die Zeit als über die Person Litten aus.

Bedeutung erlangte Litten in Berlin als Verteidiger vor allem proletarischer Jugendlicher und Opfer des SA-Sturms 33. Auch als Anwalt hielt er an seiner Wandervogel-Kluft fest, seine Mandanten konnten ihn selten bezahlen, so dass er seine Prozesse nur mit finanzieller Unterstützung der kommunistischen Hilfsorganisation "Rote Hilfe" und seiner Mutter führen konnte. Zu den berühmten Prozessen dieser Zeit, an denen Litten beteiligt war, gehören unter anderem der Röntgenstraßenprozess, Prozesse um den so genannten Blutmai, der Eden-Palast-Prozess und der Felseneck-Prozess. Das vorliegende Buch gibt in diesem Zusammenhang einen guten Einblick in die proletarischen Verhältnisse Berlins und das Umfeld der Straßenkämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten.

Ungewöhnlich - und oft Anstoß erregend - waren Littens Methoden. Er lud zahlreiche Sachverständige ein, er vernahm in der Öffentlichkeit Zeugen, zeigte Filme im Gerichtssaal, stellte auf eigene Faust Nachforschungen an und machte jeden Prozess zu einem Politikum, indem er die Rechtslastigkeit der Gerichte und Staatsanwaltschaft anprangerte. Ein Glanzstück seiner Verteidigung war die Vorladung Hitlers im Eden-Palast-Prozess, bei dem er den "Führer" dazu zwang, sich von den Rollkommandos Goebbels zu distanzieren. Kurz nach der fragwürdigen Einsetzung der Papen-Regierung, "beantragte Hans Litten die Aussetzung des Felseneck-Prozesses bis zur Klärung der (rechts)politischen Situation - und damit auch der Frage, ob und von welcher Regierung die anwesenden Staatsanwälte überhaupt legitimiert seien". Als Litten wiederholt die Ungleichbehandlung kommunistischer und nationalsozialistischer Taten durch Staatsanwaltschaft und Gericht anprangerte, leitete man ein Ehrengerichtsverfahren gegen ihn ein, in dem es hieß, dass er sich der "Achtung, die sein Beruf erfordert, nicht würdig [...] zeigt". Selbst Kollegen wie Ludwig Barbasch und Alfred Apfel, die ähnliche Klienten vertraten, standen Littens Methoden zuweilen ablehnend gegenüber.

Schnell schoss sich die NS-Publikation "Angriff" auf ihn ein, bezeichnete ihn wegen seiner Löwenmähne als "Das Femininum" und rief zum Mord an dem Anwalt auf. Litten benötigte Personenschutz, man versuchte ihm die Zulassung als Anwalt zu entziehen und klagte ihn wegen Beamtenbeleidigung an. Die Feinde, die er sich bei den genannten Prozessen machte, sollten kurze Zeit später seine Verhaftung und die Befreiungsversuche seiner Mutter beeinflussen.

In Folge des Reichstagsbrandes wurde Litten wie viele seiner Kollegen inhaftiert. Im Spandauer Gefängnis begann seine Odyssee durch die unterschiedlichen Lager. Bereits im Lager Sonnenburg trug er in Folge der Folterungen eine Beinverletzung davon, die ihn in seinen letzten Lebensjahren massiv belasten sollte und die ihn bei der den Häftlingen abverlangten Zwangsarbeit immer wieder in Schwierigkeiten bringen und ihm weitere Folter bescheren sollte. Sonnenberg war allein deshalb eine verhängnisvolle Station seines Leidensweges, weil hier zu den Aufsehern Mitglieder des SA-Sturms 33 gehörten, gegen die Litten einige Prozesse geführt hatte. Im Emslandlager Esterwegen wurde er bei der Moorkultivierung eingesetzt, in Lichtenburg konnte er als Buchbinder arbeiten und in Buchenwald gehörte er zu den ersten Häftlingen, die das Lager mit aufbauten.

Ein wenig Kraft schöpfte Litten aus dem in verschiedenen Lagern - insbesondere Lichtenburg - entstehenden Gemeinschaftsgefühl. Hier konnte er an seine Ideale aus der Jugendbewegung anknüpfen. Er scharte junge Häftlinge um sich, die er auf den Gebieten der Literatur, Sprache, Kunst und Geschichte weiterbildete und mit denen er angeregt diskutierte.

In Dachau, in das er im Oktober 1937 gebracht wurde, galt Litten nicht mehr vorrangig als politischer Häftling sondern als Jude. Als seine Mutter dies bei einem Besuch feststellte, weil er an seiner Uniform einen gelben Fleck trug, änderte sie ihre Strategie zur Befreiung ihres Sohnes, indem sie nun seine Auswanderung zu erreichen versuchte. Als auch dieser Versuch fehlschlug, war das Todesurteil Littens quasi unterschrieben. In der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1938 beging Hans Litten Selbstmord. Entgegen den Vermutungen seiner Mutter bestätigten seine Mithäftlinge immer wieder, dass es sich um Suizid handelte.

Seit 1988 wird von der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. (VDJ) der Hans-Litten-Preis verliehen. Der letzte Preisträger ist Michael Ratner, Präsident des "Centers for Constitutional Rights", das um den Erhalt der Freiheitsrechte in den USA nach dem 11. Septemper kämpft. In seiner Dankesrede schrieb er 2006: "Litten beging Selbstmord, als er Haft und Folter nicht mehr ertragen konnte. Genauso wie sich drei Häftlinge in Guantanamo das Leben genommen haben, zahllose andere haben es mehrfach versucht. Die Regierung bezeichnet Guantanamo-Häftlinge als 'enemy combatants' [...], Litten wurde als 'Staatsfeind' [...] bezeichnet."

Ratner nennt damit einen aktuellen Anlass - mag man den Vergleich als treffend bezeichnen oder als unhistorisch ablehnen - sich auch heute mit der Persönlichkeit und dem Wirken Hans Littens auseinander zu setzen. Die vorliegende Annäherung bietet dafür einen hervorragenden Zugang, auch wenn man zum Verständnis des Menschen Hans Litten auf die älteren Biografien nicht verzichten sollte. Zudem hätten Autoren und Verlag nicht auf ein Namens- und Stichwortverzeichnis verzichten sollen.


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Knut Bergbauer / Sabine Fröhlich / Stefanie Schüler-Springorum: Denkmalsfigur. Biographische Annäherung an Hans Litten (1903-1938).
Wallstein Verlag, Göttingen 2008.
360 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783835302686

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