Nicht der Regelfall? - Jürgen Egyptien hat ein "treibhaus"-Jahrbuch zum "Zweiten Weltkrieg in erzählenden Texten zwischen 1945 und 1965" herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jürgen Egyptien, Literaturprofessor in Aachen und unter anderem Mitglied der Redaktion der Stefan-George-Zeitschrift "Castrum Peregrini", hat die Ausgabe 3/2007 des "Jahrbuchs für die Literatur der fünfziger Jahre", "treibhaus" herausgegeben, die sich dem "Zweiten Weltkrieg in erzählenden Texten zwischen 1945 und 1965" widmet.

Das ist in der Tat ein Thema, das dringend weiter untersucht werden sollte. In seinem Vorwort schreibt Egyptien allerdings zum historischen Hintergrund dieser Prosawerke, die deutschen Soldaten seien vor 1945 in eine "aporetische Situation geraten", die "in dieser Schärfe einmalig sein dürfte". Hätten sie sich doch "in die Lage" versetzt gesehen, "für ein mehr und mehr als verbrecherisch erkanntes Regime kämpfen zu müssen". Die Beteiligung an Kriegsverbrechen sei bei ihnen außerdem "nicht der Regelfall" gewesen - zumindest bestehe "kein Zweifel daran, daß die Mehrzahl der Frontsoldaten die Vernichtungspolitik des nationalsozialistischen Regimes" innerlich abgelehnt habe: "Der Kriegsverlauf stand für die deutschen Soldaten im Zeichen eines kontinuierlichen Legitimationsverlusts, der für viele in die unauflösbare Aporie führte, den Kampf entgegen der eigenen Überzeugung fortzusetzen."

Die Ärmsten. Wann, mag man sich da unter anderem fragen, hatte der nationalsozialistische Vernichtungskrieg denn jemals eine "Legitimation" für die Beteiligten, wenn sie denn die demokratische Weimarer Republik nicht von vorneherein abgelehnt hatten? Waren nicht eher diese Soldaten der "Regelfall" - also jene Frontkämpfer, denen die Idee eines "Weltanschauungskriegs" gegen das "Weltjudentum" und den "Bolschewismus" unmittelbar einleuchtete - und zwar mit all seinen daraus folgenden Konsequenzen? Und gab es überhaupt jemanden, der so ahnungslos war, nicht schon lange vor 1933 erkannt zu haben, für was für eine verbrecherische Politik der Vernichtung Adolf Hitlers antisemitische NSDAP stand, wenn er ihre Folgen tatsächlich "innerlich ablehnte"?

Hierzu hat die Historiografie in den letzten Jahrzehnten doch nun wirklich schon einiges herausgefunden - und gerade diese Erkenntnisse sollten deshalb auch bei der Interpretation von Texten wie Hans Werner Richters Kriegsroman "Die Geschlagenen" (1949) mit einbezogen werden, aus dem Egyptien im Sinne seiner obigen Behauptungen einen Soldatendialog zitiert, als sei es eine historische Quelle, die geschichtliche 'Realität' abbilde: Welche 'Rhetorik der Erinnerung' wird hier genau bei Richter bemüht? Welches Soldatenbild wird in seinem Roman wie, wo und wann konstruiert - und warum?

Wer nach Egyptiens einführenden Bemerkungen noch weiterlesen möchte, findet im Band eine Reihe von Beiträgen zu Kriegsromanen wie Manfred Gregors beliebter Jungsoldaten-Klage "Die Brücke" (Egyptien), zu Alexander Kluge und Heimrad Bäcker (Hans-Edwin Friedrich), zu Gregor von Rezzoris Roman "Oedipus siegt bei Stalingrad" (Heinz Schumacher) oder auch zum Kriegsroman in der DDR (Elke Kasper).

J.S.


Titelbild

Jürgen Egyptien (Hg.): Treibhaus. Jahrbuch für die Literatur der fünfziger Jahre. Der Zweite Weltkrieg in erzählenden Texten zwischen 1945 und 1965.
Iudicium Verlag, München 2007.
249 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-13: 9783891298930

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