Das Geheimnis des Verstehens
Zwei Einführungen in Hans-Georg Gadamers Denken und Werk
Von Christoph Schmitt-Maaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDeutschlands wohl bedeutendster lebender Philosoph, Hans-Georg Gadamer, wurde im Februar 100 Jahre alt. Grund genug, eine Einführung in sein Denken und Werk zu geben. Zwei Neuerscheinungen legen einen Vergleich nahe, denn sie sind in Anspruch und Aufbau denkbar konträr.
Da wäre auf der einen Seite Kai Hammermeisters Beitrag, erschienen in der "beck'sche[n] reihe denker". Der Autor, Professor an der Ohio State University, legt ein klar strukturiertes Buch vor, das sich den wichtigsten Einzelwerken Gadamers widmet. Eine kurze inhaltliche Zusammenfassung sowie Wirkung und Kritik an den Schriften des Philosophen gliedern die einzelnen Artikel. Die herausragendsten Essays werden unter thematischen Gesichtspunkten, etwa literatur- und kunstphilosphischer Natur zusammengefasst. Hammermeister gibt nicht nur den Inhalt wieder, sondern deckt kritische und widersprüchliche Punkte in Gadamers Denken auf. Der Text wird von einer Vielzahl kurzer Zitate untermauert, die angenehm auflockern. Obwohl Gadamer meist allgemein verständlich schreibt, umschifft Hammermeister schwierige Textpassagen indem er sie "übersetzt". So eignet sich das Buch auch für jene Leser, die sich leicht von philosophischen Fachtermini abgeschreckt fühlen. Die Darstellung der Habermas/Derrida-Debatte findet sich gegen Ende des Buches, wo wesentliche Kritikpunkte an Gadamers Werk noch einmal zusammengetragen sind. Abgerundet wird diese Einführung durch eine ausführliche Auswahlbibliographie und ein Personen- und Sachregister.
Auf der anderen Seite steht Udo Tietz' Darstellung, die anders als Hammermeister über das Denken an die Philosophie des Hundertjährigen herangeht. Schon der Blick in das Inhaltsverzeichnis zeigt, dass der Berliner Dozent sich eher an ein Fachpublikum, zumindest aber an eine interessierte Leserschaft mit Vorwissen wendet. Ärgerlich ist die Zitierweise des Autors, denn Zitate füllen bei ihm bis zu einer halben Seite und verwirren eher als dass sie Klarheit schaffen, zumal sie häufig aus dem Zusammenhang gerissen sind.
Tietz` Orientierung an einem Zielpublikum hat zur Folge, dass Gadamers persönliche Aufreibungen im Wissenschaftsbetrieb zu Beginn ausführlich dargestellt werden, ohne dass notwendige und wesentliche Verständnishilfen mitgegeben würden. Erst später in dieser Monographie scheint es dem Autor auch um die Entstehungsbedingungen des Werkes zu gehen, wobei er die inhaltliche Analyse vernachlässigt. Hier versschiebt sich der Fokus der Fragestellung vom Menschen Gaadamer auf sein Denken, und vom Denken aufs Werk, wobei die Grundidee, das Denken des Hermeneutikers aufzuzeigen, durchaus berechtigt erscheint. Störend ist des weiteren die Beschäftigung mit Detailfragen bei der Kritik von Derrida und Habermas an Gadamer - wobei die Darstellung der Grundthesen der beiden Gadamer-Kritiker zum gelungensten Teil des Buches zählt. Dafür finden die von Heidegger so geschätzten literarischen und künstlerischen Essays keine Erwähnung. Was Tietz' Einführung schmälert, ist das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses, das die Orientierung erleichtern und dem Leser die Möglichkeit geben würde, diese Einführung auch als Nachschlagewerk zu verwenden.
Abschließend lässt sich sagen, dass sich der Leser bei beiden Büchern entscheiden muss: entweder will er eine Einführung in das Werk Gadamers, dann sollte er zu Hammermeister greifen. Oder er interessiert sich eher für das Denken des Hermeneutikers. In diesem Falle sollte er sich Udo Tietz' Einführung zulegen.
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