Die Tote kommt aus dem Ausland wieder

Jürg Amann lässt den Leser seiner "Pekinger Passion" etwas unbefriedigt zurück

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Achtzehn Jahre nach der Hinrichtung ihres verurteilten angeblichen Mörders ist die totgeglaubte Chinesin Shi Xiaorong wieder aufgetaucht." Das ist Pech für den Mörder, der es ja gar nicht war. Pech auch für den Leser, denn der Mörder hat seine Tat auch noch gestanden. Dabei hat er sie gar nicht begangen, denn die Tote lebt ja noch. Hat er niemanden umgebracht? Jemanden anders? War er nur psychisch gestört? Was ist passiert?

So geheimnisvoll beginnt Jürg Amann seinen neuesten Roman, eigentlich eine klassische Novelle in der Tradition von Heinrich von Kleist und vor allem Akutagawa Ryunosuke. Denn auch Amann entwickelt seine Geschichte aus mehreren Perspektiven heraus, wie Akutagawa in seiner Novelle "Rashomon". Zuerst das Geständnis des zwanzigjährigen Schülers Teng Xingshan. Er gesteht wirklich. Zunächst seine ihn selbst überraschende und übergroße Liebe zur schönen Geschichtslehrerin Shi: Einsam ist er an der neuen Schule in Peking gewesen und fühlte sich gleich zu ihr hingezogen. Allerdings unterrichtete sie an einer anderen Klasse. Um sie möglichst oft zu sehen, lauerte er der sechs Jahre älteren Frau auf. Ging ihr nach, stand vor ihrem Haus, begegnete ihr "zufällig" im Park, spionierte ihre Gewohnheiten aus. Ein richtiger Stalker. Sie ignorierte ihn, bis sie ihn auf einem Klassenausflug selbst sexuell anging. Und dann nie wieder beachtete, was ihn natürlich noch viel mehr verwirrte. Aus Rache ermordet er sie. Man verhaftet ihn und richtet ihn hin.

Auch Shis Mutter erzählt diese Geschichte, jedenfalls was sie davon mitbekommen hat. Danach berichtet einer der Ermittler, der sich vor allem dafür verteidigen muss, dass er den Falschen angeklagt hat. Am Schluss kommt sogar, wie bei Akutagawa, die "Tote" zu Wort, die aus dem Ausland zurückgekehrte Shi Xiaorong selbst. Der Leser, der schon die Geschichte des Schülers nicht recht glauben konnte, weil doch die Lehrerin ganz offensichtlich gar nicht tot ist, ahnt schnell, dass hier ein zutiefst verwirrter junger Mann sich in lauter Unsinnigkeiten verstrickte. Aber was passiert in Wirklichkeit?

So richtig aufgeklärt wird der Fall nicht. Zwar gab es eine verstümmelte Leiche, aber ob der Junge wirklich der Täter war oder nur aus Verzweiflung die Tat gestanden hat, weil er auch sterben wollte, erfährt man nicht. Auch als die Mutter von Shi schließlich von dem Europäer berichtet, der, ohne es zu wissen, der Vater von Shi Xiarong war, wird der Fall nicht viel klarer. Auch nicht, als Shi selbst erzählt, dass sie diesen Vater gesucht und gefunden hat, dass sie mit ihm ins Ausland geflüchtet ist.

Amann verkompliziert seinen Fall, der so konkret und dennoch atmosphärisch schwebend beginnt, indem er Shi in einer starren Verweigerungshaltung belässt. Das einzige, was sie sagt, ist: "Natürlich, so wird es gewesen sein, so wie es auch kolportiert wird, da es die Leute sagen, wird schon etwas dran sein." Natürlich gibt es keine Wahrheit, aber es gibt leider bei Amann auch keinerlei Ansätze dazu, sie herauszufinden. Gerade Shis Totalverweigerung hat etwas Trotziges, das nicht in das Buch passt, das das ganze Spiel mit den Personen ins allzu Künstliche hineinträgt, ins allzu Beliebige.

So richtig lebendig werden die Personen nicht, sie alle bleiben hinter einem Schleier, der allzu stark auf die Symbolhaftigkeit der ganzen Geschichte hinweisen soll. Natürlich ist das alles gewollt, aber es ergibt sich kein wirkliches Bild, es bleibt alles etwas blass und zu nah am japanischen Vorbild. Etwas weniger Zeigefinger und etwas mehr Leben hätten der Novelle sehr gut getan.


Titelbild

Jürg Amann: Pekinger Passion. Kriminalnovelle.
Arche Verlag, Zürich 2008.
128 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783716023761

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