Der Zugang zum Machthaber

Carl Schmitts Nachkriegsdialog in einer Neuausgabe

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erfüllt der Wissenschaftler, der sich als Politikberater anbietet, seine gesellschaftliche Pflicht oder genießt er die Nähe zur Macht, die Macht selbst? Die Momente sind kaum zu trennen. Prekärer noch als die Stellung der Meinhard Miegels und Bert Rürups unserer Zeit war die Beraterposition in der Schlussphase der Weimarer Republik und während des NS-Regimes. Carl Schmitt erlebte beides; vom Befürworter einer Präsidialdiktatur im Rahmen einer extensiv ausgelegten Weimarer Verfassung wandelte er sich im Frühjahr 1933 zu einem der führenden Nazi-Juristen. Als 1936 seine Karriere von der SS gestoppt wurde, traf dies keinen Oppositionellen, sondern einen Täter, der bei bandeninternen Intrigen den kürzeren zog.

Als Schmitt knapp zwanzig Jahre später, 1954, im Hessischen Rundfunk sein "Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber" senden ließ, konnte er also auf eigene Erfahrungen zurückgreifen. Ursprünglich war eine Radiodiskussion zwischen ihm und Arnold Gehlen oder Helmut Schelsky geplant. Doch beide sagten ab, und schnell freundete sich Schmitt mit der Notlösung an, einen fiktiven Dialog zu entwerfen. Das Manuskript wurde bald gedruckt; nun liegt eine Neuausgabe vor, der einen der wichtigsten Nachkriegstexte Schmitts wieder zugänglich macht.

Die Rollen im Dialog sind klar verteilt. "J. (ein junger Jahrgang; fragend)" gibt Stichworte, und "C.S. (antwortend)" breitet seine Erkenntnisse aus. Der Junge spricht von Moral und behilft sich meist mit damals modischen Phrasen, die zu widerlegen kaum lohnt. Eher als um ein Gespräch handelt es sich um einen in Dialogform eingekleideten Essay; ein Hinweis darauf, wie flexibel Schmitt bei aller Skepsis moderner Technologie gegenüber sich neuer Medien zu bedienen wusste.

Wer über Macht spricht, ist verdächtig: als Machthaber der Tarnung, als Machtloser des Ressentiments. Carl Schmitt, der sich zu letzteren rechnet, nimmt für sich eine dritte Position in Anspruch: die der "uneigennützigen Betrachtung und Beschreibung". Er sieht, dass alte Begründungen, woher die Macht stamme, kaum noch tragen: weder glaubt man mehr, Gott sei der Quell der Macht, noch die Natur. Als Möglichkeit bleibt, dass die Macht vom Menschen kommt; diesen Wandel sieht Schmitt als den einen Grund dafür, dass die Bewertung von Macht moralisch geworden sei. Der zweite Grund sei der technische Fortschritt der Zerstörungsmittel, der den Abstand zwischen Machthabern und Machtlosen unermesslich gesteigert habe und so zu einer moralischen Abwertung der Mächtigen geführt habe. Aus Schmitts Sicht ist Macht freilich weder gut noch böse noch gar neutral: Sie hat vielmehr ihre eigene Dialektik, die wiederum historisch spezifisch ist. Es ist dies eine Form eines Realismus, der die Dinge so zu sehen vorgibt, wie sie nun mal sind, doch sie trotz geschichtlicher Wechsel als scheinbar im Kern stabil als Norm vorgibt.

Zentral ist hier der Machthaber - Schmitt sieht zunächst, wie in der Zwischenkriegszeit, Macht als persönlich ausgeübte Souveränität. Insofern aber der Machthaber in seiner Wahrnehmung der Welt auf Berichte angewiesen ist, wird zum zentralen Problem, wer zu ihm Zugang hat, wem er glaubt und vertraut. Zum Kampfplatz wird das Vorzimmer mit seinen Intrigen: "Keine menschliche Macht entgeht dieser Dialektik von Selbstbehauptung und Selbstverfremdung." Das entwickelt Schmitt in einem Intermezzo an zwei Beispielen: historisch an der Demission Bismarcks, die zum Anlass hatte, wer beim Kaiser Wilhelm II. in wessen Anwesenheit vortragen durfte, und literarisch an Schillers "Don Carlos", wo in Schmitts Interpretation der Machtgewinn des Marquis Posa, unangemeldet beim König zu erscheinen, die Gegenbewegung der beiden letzten Akte notwendig macht: Beichtvater und General bleibt nichts anderes übrig als Posa zu beseitigen.

Das ist immer noch personal gesehen: Ein Mann hat Macht und braucht, um sie zu behaupten, die Informationen anderer Männer, die so über ihn Macht gewinnen. Es sind dies die Intrigen, die die Medien seit Jahrzehnten bezogen auf die Supermächte beschäftigten: Wer stieg im sowjetischen Kreml auf, und mit wem frühstückt Präsident Bush? Nicht zufällig setzt Schmitt mit den damals erst kurz verstorbenen Machthabern Stalin und Roosevelt ein, und man kann ergänzen, dass das Gespräch stets auch Hitler zum Thema hat. Schmitts Kategorien sind auf Entscheidung bezogen. Was ganz fehlt, ist der bürokratische Apparat, der im Guten wie im Schlechten Kontinuität gewährleistet: Leute, die ihre Arbeit tun, weil es scheinbar immer schon so war und immer so bleiben soll. Wahrscheinlich beruht darauf die Stabilität von Staaten, die auch nach Bismarcks Rücktritt oder Posas Tod weiter bestanden.

Die Edition ist ergänzt durch ein instruktives Nachwort Gerd Gieslers, das zeitgenössische Reaktionen auf die Sendung und die folgende Publikation zusammenfasst und verdeutlicht, wie schwierig es für Schmitt in der Nachkriegszeit war, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Ein wenig geraten freilich die Proportionen ins Missverhältnis: In wenigen Zeilen ist Schmitts Engagement für das NS-Regime skizziert, ausführlich sind die späteren Angriffe auf ihn geschildert. So ist man froh, in der Auswahl aus der Korrespondenz zwischen Schmitt und Ernst Jünger, die die Edition ebenfalls bereitstellt, Jüngers Diktum von 1954 zu lesen: "Daß Sie so ganz ohne Macht sind, wie sie auf p. 7 vorwegnehmen, glauben ja weder Sie noch ich." Die zentrale Differenz zwischen Jünger und Schmitt markieren dann die Sätze: "Es ist vielleicht gut, daß Sie sich so knapp gefaßt haben. Der Zugang zum Machthaber gehört aber zu den Urphänomenen und fordert zu zahllosen Beispielen nicht nur auf der politischen, sondern auch auf der zoologischen und soziologischen Ebene heraus." Hier klingt eine grundsätzliche Differenz zwischen Schmitts geschichtlichem Denken und Jüngers antihistorischer Gestaltschau an, die Schmitt im folgenden Jahr in seiner ganz unfestlich kritischen Kritik an Jüngers "Gordischem Knoten" in der Festschrift zu Jüngers 60. Geburtstag zuspitzen sollte.


Titelbild

Carl Schmitt: Gespräch über die Macht und den Zugang zum Machthaber.
Mit einem Nachwort des Herausgebers Gerd Giesler.
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2008.
95 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783608944570

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