Indexikalität und Dritter Raum

Silvia Pritsch geht der textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1993 publizierte die Lukács-Schülerin Agnes Heller in der "Deutschen Zeitschrift für Philosophie" einen Essay mit dem Titel "Der Tod des Subjekts" und zählt eingangs alleine siebzehn verschiedene Bedeutungen des Begriffs Subjekt auf, die für die "gegenwärtige[n] französischen und deutschen Debatten" relevant sind. Hinzu treten etliche weitere aus der mehrtausendjährigen Philosophiegeschichte, von denen sie nur noch diejenigen Immanuel Kants, Johann Gottlieb Fichtes und Georg Wilhelm Friedrich Hegels nennt.

Nun hat Silvia Pritsch ein Buch zur "Rhetorik des Subjekts" vorgelegt, in dem sie dem "spannungsvollen Verhältnis" zwischen Subjekt und Text nachgeht, das sich in den "Thematisierungen des (post-)modernen Subjekts" als "durchgängig virulent" erweise. Denn als "kulturell verankerte[s] Bedeutungssystem" werde der Text "sowohl für das 'Leben' wie den 'Tod' des Subjektes zur Verantwortung gezogen".

Die Rede von der Rhetorik des Subjekts will die Autorin auf eine "zweifache Bestimmung" bezogen sehen: "auf die sprachlich-figürliche Darstellung des Subjekts sowie auf das 'Tun' der Sprache, Bedeutung zu setzen und zu verschieben." Den Schwerpunkt ihrer Studie bilden "Subjektde- und Rekonstruktionen aus dem Spektrum feministischer Ansätze", ohne dass diese allerdings isoliert von "größeren Diskursfeldern" betrachtet würden. Ein besonderes Augenmerk richtet die Autorin auf die "Relation zwischen Feminismus und 'Postmoderne'", die sich als ein "prekäres Verhältnis von Aus- und Einschlüssen" erweise. Der Begriff Postmoderne erfüllt bei Pritsch dabei nicht die Funktion einer analytische Kategorie sondern eines "Index". Er verweist auf "ein kollektives, vorrangig westlich-akademisches Selbstverständnis der letzten dreißig Jahre", das je nach seinem Kontext mit unterschiedlichen "Merkmale[n]" gefüllt wird und "entsprechende Subjektvorstellungen" hervorbringt.

Zur Untersuchung zieht sie vorrangig Texte aus der Literatur- und der Kulturwissenschaft sowie der Philosophie und der Sozialwissenschaft heran, anhand derer sie das Subjekt "unter einer vergleichenden, diskursanalytischen Perspektive als ein sprachlich-figürliches Schema betrachtet", dem "Vermittlungsfunktionen" zwischen Ich und Welt, zwischen Geist und Körper sowie zwischen dem Eigenen und dem Anderen zukommen. Insgesamt will die Autorin ihre Arbeit als Plädoyer für "feministische Interventionen als bedeutsamen Teil des kritischen, kulturwissenschaftlichen Diskurses" verstanden wissen.

Pritsch entwickelt ihre Argumentation in fünf Kapiteln, dessen erstes, "Zur Lektüre des Subjekts im (post)modernen Text", auch einen Blick in die Philosophiegeschichte riskiert, der allerdings wiederholt von einer nur oberflächlichen Kenntnis zeugt. So stößt man auch bei Pritsch auf ein in zahlreichen feministischen und auch postmodernen Texten wiederkehrendes Ärgernis: die gebetsmühlenartig wiederholte Behauptung, das "Leiblich-Körperliche" sei "dasjenige, was aus der traditionellen Erkenntnistheorie ausgeschlossen wurde". Man muss nun wahrhaftig nicht bis in die letzten Winkel der historischen Erkenntnistheorien vorstoßen, um diese Behauptung als irrig zu erkennen. Erinnert sei etwa an John Locke, der gegen René Descartes mit der Sentenz "Nihil es in intellectu, quod non prius fuerit in sensu." (Nichts ist im Verstand, was nicht vorher in den Sinnen war) polemisierte. Oder an Gottfried Wilhelm Leibniz, dem zufolge der Leib den "point de Vue" bildet, von dem aus der Geist die Welt erkennt. Soll man sie aus der "traditionellen Erkenntnistheorie" ausschließen? Ebenso La Mettries Schrift "L'homme machine", in der er erkläret, dass "alle Funktionen der Seele", also auch das Erkenntnisvermögen, "von der entsprechenden Organisation des Gehirns und des gesamten Körpers abhängen"? Und Étienne Bonnot de Condillacs Statue gleich mit, die nach und nach ihre Sinne verliehen bekommt und erst so zu Erkenntnissen gelangt? Dann müsste man auch gleich noch Empiriokritizismus und Positivismus aus den Reihen erkenntnistheoretisch relevanter Philosophien verbannen.

Die zweite philosophiegeschichtliche Schwäche, die Pritsch ebenfalls mit manch anderen teilt, liegt darin, zu Lexika und zu allgemeiner Sekundärliteratur zu greifen, statt zu maßgeblichen Forschungen oder besser noch zu den Primärtexten selbst. So meint die Autorin etwa, "erst mit Kant" habe sich "der Wechsel von der Frage nach dem Sein zu der des Bewusstseins [vollendet], indem er das subjektive Erkenntnisvermögen mit einem universalen Wahrheitsanspruch versah". Sie erklärt, sie folge einer "Darstellung [Herbert] Schnädelbachs". Das hätte sie mal besser nicht tun sollen. Zumal ihr Literaturverzeichnis darüber aufklärt, dass es sich bei ihrem Gewährstext um einen bloßen Lexikonartikel handelt, der zudem nicht einmal Kant, sondern ganz allgemein der Philosophie gilt. Heiner F. Klemmes 1996 erschienene "[s]ystematische und entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen" zu "Kants Philosophie des Subjekts" bleiben hingegen ebenso unberücksichtigt wie andere relevante Titel der Kantforschung. Statt dessen wird neben Schnädelbach auf "Das Andere der Vernunft" von Gernot und Hartmut Böhme rekurriert.

Im zweiten Abschnitt beleuchtet Pritsch die "Dekonstruktion des modernen Subjekts" weit kenntnisreicher. Unter anderem bei Jacques Lacan, Jacques Derrida und Michel Foucault, um sich sodann im dritten Teil "Feministische[n] Relektüren des Subjekts" zuzuwenden. Völlig souverän bewegt sich die Autorin in der jüngeren feministischen Literatur- und Kulturwissenschaft. Nun wird ihr Buch wirklich zu der "Einführung in eine der Schlüsselfragen der Literatur- und Kulturwissenschaften bzw. der Gender Studies", als die es vom Klappentext ausgelobt wird. Und zu einer gelungenen obendrein, was nicht zuletzt der kritischen Auseinandersetzung mit früheren Einführungen, namentlich den literaturwissenschaftlichen von Lena Lindhoff und Jutta Osinski zu danken ist. Gewisse Schwächen zeigt die Autorin allerdings auch in diesem Teil, wenn sie sich auf das Terrain der Philosophie respektive der Erkenntnistheorie begibt. So fehlen in der Verhandlung der feministischen Standpunkttheorie wichtige Autorinnen wie Waltraud Ernst. Hingegen werden zahlreiche literatur- und kulturwissenschaftliche Theoretikerinnen kurz vorgestellt. Einigen widmen sich auch längere Abschnitte, so dem französischen Trio Hélène Cixous, Luce Irigaray und Julia Kristeva, der Semiotikerin Teresa de Lauretis, dem Zwiegespann Ruth Großmaß und Christiane Schmerl sowie schließlich Sigrid Weigel.

Das zentrale Interesse aber gilt Judith Butler, Trinh T. Minh-ha und Donna Haraway, die Pritsch im nächsten Hauptkapitel unter der Überschrift "Postfeministische - Postkoloniale - Posthumanistische Subjekt[e]" behandelt. Zurecht betont die Autorin, dass jede der drei Autorinnen auf ihre Weise, "die Landschaft der Gender-Theorien entscheidend verändert und bereichert" hat, wenngleich man Butler und Haraway doch den Vorrang einräumen möchte. Jedenfalls entwarfen alle drei "ein Ethos, das gleichermaßen als Mittel der Selbstkonstruktion als auch zur Kritik eines entsprechenden Selbst und der Normen seiner Einsetzung dient. Butlers Neuformulierung des 'reflexiven Selbst', Trinhs selbstdifferentes 'hybrides Subjekt' und Haraways 'situierte Zeugenschaft' sind hier einzuordnen."

Während Butler den "Prozess der Vergeschlechtlichung des Subjekts" und die "damit einhergehenden Formierungen entlang diskursiver Normen" in den Blick nimmt, um sie "zugunsten einer Vielfalt möglicher Identitätsformen zu dekonstruieren", negiert Trinh "fixierende Positivierungen" sowohl einer "idealisierten Weiblichkeit" wie auch von "Négritude-Konzepten". Haraway schließlich "verfährt doppelgleisig". Sie setzt "positiven Weiblichkeitsbildern" die "Auflösung von Dualismen" entgegen, die nicht nur die geschlechtliche und die kulturelle Differenz, sondern ebenso wohl diejenige zwischen Mensch und Tier einerseits und Mensch und Maschine andererseits umfasst.

Im letzten Kapitel "Technologien des Selbst - Technologien des Textes" führt Pritsch die "Problematiken um das Verhältnis von Subjekt und Text" unter den Perspektiven der "Indexikalität" und des "Dritten Raums" zusammen. Wie sie darlegt, schien dem in den 1990er-Jahren virulent gewordene Anliegen, die "problematisch gewordene sozial-ontologische Begründung eines weiblichen Standpunkts" durch den "konstruierten feministischen Standpunkt" abzulösen, die "Veräußerlichung subjektiver Momente im Ethos als einem Dritten Raum" ein "probates Mittel" zu sein, um "die Aporie zwischen universalen und partikularen Ansprüchen aufzulösen." Butler, Trinh und Haraway haben dies je auf ihre Weise ausgeführt, indem sie ihre textualisierten Subjekte als Dritte Räume "entwarfen", "die aus Übereinanderlagerungen von Differenzen, Setzungen und Bedeutungsentzügen (Butler) bzw. insgesamt als Hybride (Trinh, Haraway) bestanden."

Festzuhalten ist abschließend, dass Pritsch - trotz des schwachen Ausfluges in die Philosophiegeschichte, einigen unschönen Wendungen (wie etwa "möglicher Ordnungsmöglichkeiten") und Formulierungen ("Die Einsicht in die Eingebundenheit in die Bewegung der Zeichen wurde in der ästhetischen Moderne virulent.") sowie unzähliger Tippfehler - insgesamt ein Buch vorgelegt hat, das die im Klappentext versprochene Einführung in sein Thema mehr als zufriedenstellend einlöst.


Titelbild

Sylvia Pritsch: Rhetorik des Subjekts. Zur textuellen Konstruktion des Subjekts in feministischen und anderen postmodernen Diskursen.
Transcript Verlag, Bielefeld 2007.
510 Seiten, 38,80 EUR.
ISBN-13: 9783899427561

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