Fausers Block
Ein wiederaufgelegter Pulp-Roman war Inspiration für Jörg Fausers "Der Schneemann"
Von Ambros Waibel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseEin Mann sitzt allein in einem Hotelzimmer in Atlantic City, USA. Vor ihm stehen zwei teure Koffer, die er am Bahnhof hat mitgehen lassen. Die Anzüge passen ihm leider nicht, die Schuhe dagegen schon. Und dann ist da noch diese Kassette, die er mit einer winzigen Feile geöffnet hat: "Ich starrte das Pulver an. Es starrte zurück." Von nun an ist Joe Marlin im Besitz von knapp einem Kilo reinem Heroin. Wir befinden uns auf Seite 29 des 1961 erschienenen Pulp-Klassikers "Mona" von Lawrence Block, als "Abzocker" gerade wieder frisch aufgelegt in der Reihe "Hard Case" bei Rotbuch Krimi.
Knapp zwanzig Jahre später, im Januar 1980, sitzt ein Schriftsteller in einem Hotelzimmer in Valetta, Malta. Er will einen Roman schreiben über einen Mann, der etwas findet, worauf ein anderer nicht so einfach verzichten wird. Und in der Version, die er gerade zum zehnten Mal durchliest, ist es eine Brieftasche, die ein Italiener im Zug hat liegen lassen. Der Protagonist dieses Entwurfs, Robert, steckt das Geld ein und lässt die Brieftasche in der Toilette verschwinden. So weit. Und jetzt? Was ergibt sich daraus? Wenig, findet der Mann auf Malta, eigentlich gar nichts. Dabei ist er doch auf Empfehlung seines Verlegers auf diese anglo-katholische Insel gefahren, um hier endlich durchzustarten mit dem Roman. Er schenkt sich den ersten Schluck des Tages ein und blättert in dem amerikanischen Taschenbuch, das er vorhin am Zeitungsstand eingesteckt hat: "Mona" von Lawrence Block.
Die ersten Seiten überfliegt er, Joe Marlin, ein Abzocker reicher Frauen. Zu viel Sex, das ist nicht sein Ding. Aber handeln könnte sein Held eventuell damit, mit Sex, mit Porno... "Hackensack" liest er - das ist ein guter Name. So könnte jemand heißen in seinem Roman, vielleicht ein Amerikaner? Und eigentlich geht es diesem Joe ja wie seinem Robert, immer irgendwie auf der Flucht, eine Ein-Mann-Firma im Schmuddelbusiness, der langsam die Felle wegschwimmen. Und was macht er jetzt, klaut einfach die Koffer an der Gepäckaufbewahrung! Nicht schlecht, ginge aber heute nicht mehr. Er müßte den Gepäckschein haben...
Heroin, verdammt. Damit kennt sich der Schriftsteller im Hotelzimmer aus. Monate hat er in Istanbul auf der Dachterasse verdämmert, dann in Berlin, in Göttingen und in Frankfurt. Er hat es sich gegeben und den anderen, aber den wirklich großen Deal hat er nie gemacht. Wann hat er das letzte Mal gedrückt? Vor sechs Jahren, in der Frankfurter Bude, nach der Schicht am Flughafen? Könnte sein Robert nicht auch ein Wunderpulver finden?
Etwas angesagteres allerdings, für schnellere Zeiten. Kokain, Koks, Schnee - wie schrieb doch dieser Block: "Ich musste das Zeug behalten. Vielleicht war es mein Ass, die einzige Trumpfkarte, die mein Leben retten konnte." Da gibt es doch ein wenig mehr dazu zu sagen als diesen amerikanisch abgebrühten Spruch, denkt unser Mann, da muss eine Portion mitteleuropäischer Wahnsinn hinein, Expressionismus, Joseph Roth, Gottfried Benn, Hans Fallada!
Er spannt ein frisches Blatt in die Maschine und hämmert los: "Alles was du brauchst ist endlich eine Chance, eine einzige wirkliche Chance, den dicken Fisch, den großen Heuler, und dann Schluß mit der billigen Tour, einmal die Knete richtig rollen, Herrgott, die großen Lappen ans Land ziehen, den Kopf aus der Scheiße heben, die echte heiße Sonne sehen, Madonna mia, und wenn die Rechnung kommt, dann bitte mit allen Stempeln und dem großen Bäng."
Der das so sagt, soll Siegfried Blum heißen. Und er soll "Der Schneemann" (1981) sein. Und das Ding soll Jörg 'Joe' Fausers Durchbruch werden. Und das wird es dann ja auch, nach vielen Mühen, der beste deutsche Krimi nicht nur des vergangenen Jahrhunderts, ein epochemachendes Buch der deutschen Literatur nach 1945.
Lawrence Blocks Erstling "Mona" - ein Name, den Fauser im "Schneemann" einer eurasischen Prostituierten von "animalischer Schönheit" geben wird - erschien mit dem hübschen Titel "Die Mörderlady" 1970 bei Heyne. Dass Block zu Fausers Kanon gehörte, bestätigt sein enger Freund, der Herausgeber renommierter Krimireihen bei Ullstein und Dumont, der "deutsche Krimi-Papst" Martin Compart. Ob Fauser "Mona" in der nun überarbeitet wiederaufgelegten Übersetzung oder im Original, ob er ihn tatsächlich auf Malta oder in seiner Schwabinger Klause gelesen hat: Dass er sich die Grundidee des Plots aneignete und den ersten Entwurf für den "Schneemann" beiseite legte, lässt sich nicht bestreiten. Der Robert, der die Brieftasche des Italieners findet, begegnet einem erst wieder in der Erzählung "Das Tor zum Leben" aus der Storysammlung "Mann und Maus" (1982).
Blocks Mona ist ein durchtriebenes Geschöpf. Sie ist die junge Frau des alten Mannes, dessen Heroin Joe Marlin gestohlen hat. Was liegt näher, als dass Joe und Mona eine heiße Affäre beginnen und beschließen, den ehrenwerten Ehemann loszuwerden? Und warum sollte ein Wesen wie Mona sich auf Dauer mit einem Gigolo wie Joe zufrieden geben? Aber Lawrence Block (geboren 1938) wäre kein Meister und Vielschreiber in der Nachfolge eines John D. MacDonald, wenn er nicht noch eine finale Überraschung parat hätte.
Fauser übernimmt neben der Grundidee noch weitere Details. Auch Blum, erfährt man aus einem Dossier seines zwielichtigen Gegenspielers Mr. Hackensack, hat sich schon von reichen, unerfüllten Frauen durchfüttern lassen. Seine Femme fatale heißt Cora und ist eine spätalternativ verlotterte Mona-Version. Beide Frauen haben neben ihrem Heißhunger auf Drogen und Kohle schon was übrig für ihre Siegfrieds und Joes, sie sind in ihren eigenen Worten "schlecht, aber nicht verkommen". Man darf sie eben nur nie vor die Wahl stellen.
Und wenn Blum mal wieder in einem schäbigen Hotelzimmer auf einen Abnehmer für den Stoff wartet, dann geht er wie Marlin in die Lobby und holt sich ein paar Taschenbücher, um die Zeit totzuschlagen. "Erinnerungen sind ja Scheiße, aber Geschichten halten das Leben zusammen. Manchmal, wenn du den großen Horror hast, ist eine gute Geschichte das einzige, was noch hilft", erklärt Blum einmal Cora.
Lawrence Block sei Dank, dass Fauser seinen Horror vor dem leeren, weißen Papier dann doch noch überwunden hat.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst in der Zeitung junge welt vom 18.04.2008. Wir danken dem Verfasser für die Publikationsgenehmigung.
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