Von Witwen und anderen Weisen

Wie die italienische Professorin Benedetta Crateri uns den französischen Hof schmackhaft macht

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Allein die Witwenschaft habe Frauen in der Vergangenheit eine gewisse bürgerliche Selbstständigkeit garantiert. Es sei denn, sie hätten sich darauf verstanden, dieselben Waffen wie die Männer anzuwenden: Gemeinheit, Intrige, Bigotterie oder auch Ehrgeiz, Habgier und Herrschsucht. Eigenschaften also, die weder für das eine noch das andere Geschlecht eine besondere Zier sind, aber zweifellos zum Erfolg führten und führen. Auch wenn man den Ansatz von Benedetta Craveri, dass die Geschichte "das offizielle Vorrecht der Männer" bleibe, woran auch "keine Frau zweifle" (sic!) und die Frauen sich deswegen "verstellen oder listig vorgehen oder korrumpieren müssten", nicht teilt, kann man dieser "Geschichte von wahrer und käuflicher Liebe, Sex und Eifersucht, Tod durch Dolch, Gift oder Guillotine, noblen Gefühlen und niedrigen Motiven" einiges abgewinnen.

Am Königshof von Frankreich gab es seit jeher Gattinnen, geehelicht aus Gründen der Staatsräson: Katharina von Medici, Königin Margot, Maria von Medici, Marie Antoinette und einige mehr. Und genauso wie diese gab es seit jeher die Mätressen und Kurtisanen der Könige: Diane de Poitiers, die drei Schwestern Mailly, Madame de Maintenon und die du Barry, die Pompadour und viele andere mehr. Nicht jede Mätresse ist aber ein stummes Opfer, genauso wenig wie nicht jede Königin eine bloße Gebärmaschine des Königshauses war. Es gibt und gab eben auch unter den Frauen schamlose Karrieristinnen und gnadenlose Machtpolitikerinnen; ohne die oben zitierten Eigenschaften war ein sozialer Aufstieg weder für einen Mann, noch eine Frau möglich. Maria de Medici etwa war besessen von Macht, Anna von Österreich setzte auf ihre weiblichen Verführungskünste, die Offizierstochter Louise de la Vallière machte ihre atemberaubende Schönheit zu Geld und hielt sich etliche Jahre als Favoritin in der Bourbonen-Monarchie; auch Montespan, Du Barry, und Pompadour, die sogar dann noch eine Wohnung in Versailles bezog, als sie ihre sexuelle Beziehung mit Ludwig XV. längst - offiziell übrigens - beendet hatte. Mätressen waren also nicht nur Liebessklavinnen, sondern durchaus auch Beraterinnen der Könige, auch wenn gesagt werden muss, dass sich Madame Pompadour diesbezüglich eines besonderen Kniffes bediente.

Auch wenn sie "nur" eine Bürgerliche war, schaffte sie es bis ganz nach oben: ins Schlafzimmer des Königs. Dort diente sie ihm aber nicht als Betschwester, sondern als Bettlaken, denn sie musste den König für einige Entbehrungen seines bisherigen Lebens entschädigen. Das Interesse des Königs zog die Madame d'Etiolles, so ihr eigentlicher Name, auf sich, indem sie sich als Göttin Diana inszenierte und Ludwig immer wieder "zufällig" im Wald bei einer seiner geliebten Jagden begegnete: einmal in einem rosa Kleid in einer blauen Kutsche, ein andermal in einem blauen Kleid in einer rosa Kutsche. Ludwig musste die Verbindung seines Hobbys mit den mysteriösen Begegnungen mit ihr besonders genossen haben, denn die Jagd bedeutete ihm viel. Die Madame d'Etiolles war also raffiniert, und damit gelang es ihr auch bald in den Adelsstand erhoben zu werden und so wurde sie zur Marquise de Pompadour, als die die Welt sie heute immer noch kennt.

Sie blieb ganze 19 Jahre an der Seite des Königs, auch das war noch keiner Mätresse gelungen! In diesem Zusammenhang spricht die Autorin von einer "zweifachen Metamorphose": als sie es leid war, ihm ihren Körper darzubieten, organisierte sie Ludwig einen ganzen Hofstaat an Konkubinen. Im so genannten "Parc-aux-Cerfs" (dt.: "Hirschpark") wurden die Stelldicheins des Königs mit Jungfrauen aus dem Volk von Frau Pompadour organisiert. Dabei handelte es sich ganz im Gegenteil um ausdrücklich keine Prostituierten, denn diese hätten die hygienischen Voraussetzungen für den Beischlaf mit dem König zweifellos nicht erfüllt. So wurde der "Hirschpark" zu einem Symbol der moralischen Verwerflichkeit des Ancien regimes: denn hatten die Mädchen einmal von der unmoralischen Verderbtheit, die ihnen der König bescherte, gekostet, trugen sie diese auch wieder zurück in die Gesellschaft, und es konnte eigentlich nichts anderes mehr als Huren aus ihnen werden, - auch angesichts der Tatsache, dass ihre Eltern sie zumeist ja zuerst an den König respektive die Pompadour für gutes Geld "vermietet" hatten, gab es für diese Mädchen eigentlich kein Zurück in eine bürgerliche Existenz mehr.

Und wie erging es dabei den Königinnen? "Immer im Bett, immer schwanger, immer beim Gebären", soll etwa Ludwig XV. über seine Frau geseufzt haben, aber dies galt wohl nur als Rechtfertigung und Ausrede für seinen "Hirschstall". Zumeist wurden die Konkubinen viel zu jung verheiratet, und die Entwicklung emotionaler Gefühle zu fremden Männern fiel den meisten nicht gerade leicht. Auch Marie Antoinette hatte damit ihre Schwierigkeiten (bei der Heirat war sie 14). So große sogar, dass ihr Bruder, Joseph II., der spätere Kaiser von Österreich, extra von der gemeinsamen Mutter Maria Theresia aus Wien nach Versailles geschickt wurde, um seinen Schwager, Ludwig XVI., ordentlich ins Gebet zu nehmen.

Was genau er ihm dabei sagte, ist zwar nicht überliefert, der darauffolgende Kindersegen, exakte drei Monate nach Josephs Abreise, jedoch sehr wohl. Ein Dauphin wurde geboren und Marie Antoinette konnte freudig an ihre Mutter in Wien berichten: "Das Glücksgefühl, das ich in diesen Tagen empfinde, ist das wichtigste meines Lebens." Auf die Geburt eines Thronfolgers hatte nicht nur Marie Antoinette sieben lange Jahre lang gewartet, auch wenn es vorerst "nur" eine Tochter war, sollte sie später sogar noch zwei Jungen bekommen.

"Peitschen müsste man ihn, damit er aus Wut ejakuliert, wie es die Esel tun", schrieb ihr Bruder Joseph II. über seinen lendenlahmen Schwager an Kaiserin Maria Theresia. Ludwig war selbst noch nicht aufgeklärt und hatte wohl gerade die Stufe der "plaisirs solitaires" erreicht (er war bei der Heirat 16), als er mit der völlig unerfahrenen und noch jüngeren Marie Antoinette verheiratet wurde. Beim Geschlechtsakt hätten sie sich zwar vereinigt, berichtete Joseph II. seinem Bruder Leopold, doch dann verweile der grüne Junge "dort ein paar Minuten, ohne sich zu bewegen", ziehe sich aus Maries Schoß zurück "und wünsche eine Gute Nacht".

Benedetta Craveri, Professorin für französische Literatur an der italienischen Universität Tuscia, Viterbo und am Istituto Universitario Suor Orsola Benincasa in Neapel, hat erneut bewiesen, dass Frauen mit Anstand allein nicht weit kommen und dass es bestimmter charakterlicher Eigenschaften bedarf, um es zu etwas zu bringen, egal welchen Geschlechts man ist. Die vielzitierten "Waffen einer Frau" reichten nicht aus, da die Könige früher oder später ihr Interesse verloren. Dennoch schaffte es etwa eine gewisse Madame Pompadour nahezu zwei Dekaden lang als Untermieterin des Königs in Versailles zu wohnen und die Politik zu beeinflussen. In der Ehe seien sexuelle Ausschweifungen einfach nicht möglich gewesen, so die Autorin. Die jeweilige Gemahlin sei stets unter politisch-dynastischen Erwägungen heraus erwählt worden, hatte Kinder zu bekommen und ansonsten nicht weiter zu stören. Das übernahmen dann viel lieber die Kurtisanen der Könige. Diese hoben sich ab von der Unbeholfenheit der oft tiefkatholischen Königinnen und boten den Monarchen die Möglichkeit, ihre Sexualität auszuleben und dabei gleichermaßen ihren Kopf zu verlieren, wenn auch vorerst nur metaphorisch.

Durch ein Loch in einer Wand beobachtete Katharina von Medici einmal, was Heinrich II. (1519-1559) bei Diane de Poitiers suchte, das er bei ihr, der eigenen Ehefrau, aber niemals zu finden glaubte. Katharina sah "eine wunderschöne Frau, weiß, zart und blühend, teils im Hemde, teils nackt, welche ihrem Geliebten tausend Zärtlichkeiten, Liebkosungen und allerlei angenehme Dinge erwies." Auch bemerkte sie, wie Heinrich "die Zärtlichkeiten und alles andere zurückgab, worauf sie beide aus dem Bette stiegen und sich auf dem weichen Teppich zu Füßen des Bettgestells niederließen, um sich dort zu umarmen". Diane war aber nicht nur die Bettschwester in Heinrichs Leben, sondern auch die Betschwester, sie stieg nämlich bald in den Rang einer Vertrauten auf. Sogar die Gesandten am Hof suchten ihre Nähe, um sich auf diese Weise Gehör beim König zu verschaffen. Als Katharina endlich schwanger wurde, übernahm Diane sogar die Erziehung der Kinder. Die Königin musste es hinnehmen, schreibt die Autorin. Musste sie?

Ludwig XIV., der Sonnenkönig, der es selbst zu einigen Geliebten gebracht hatte, gab dem Kronprinzen folgenden Rat mit auf den Weg: "Während wir unser Herz hingeben, müssen wir doch absolute Herrscher über unseren Geist bleiben. Denn sobald Ihr einer Frau die Freiheit gewährt, mit Euch von wichtigen Dingen zu sprechen, wird sie Euch zwangsläufig Irrtümer verfallen lassen." Ludwig XV. nahm sich den Lebenswandel seines Vorfahren zum Vorbild, befolgte aber nicht seinen Rat. Vielleicht liegt in der Empörung des Volkes gegen den "Parc-aux-Cerfs", das Sodom und Gomorrha von Versailles, sogar einer der Gründe für die Revolution im Jahre 1789. Wenn nicht der Grund.

Marie Antoinette hatte auf ihre Weise sicherlich etwas zur Revolution beigetragen, denn ihr Lebenswandel, ihre eigene individuelle Revolution gegen den Hof (sie weigerte sich stets, sich der Etikette zu unterwerfen), hatte die kollektive Revolution des französischen Volkes erst angestachelt, dann ausgelöst. Ein in vorliegendem Buch abgedruckte Bleistift-Skizze vom "Revolutionsmaler" Jean-Luc David zeigt die "Bürgerin Capet" mit einem feisten und arroganten Gesichtsausdruck auf dem Karren zur Guillotine. Ihren Hochmut konnte ihr auch die Angst vor dem Schafott nicht nehmen. Ihrer Ansicht nach hatte sie ja nichts verbrochen und infolge dessen auch nichts zu befürchten in jener anderen Welt, die sie erwartete.


Titelbild

Benedetta Craveri: Königinnen und Mätressen. Die Macht der Frauen - von Kataharina von Medici bis Marie Antoinette.
Übersetzt aus dem Italienischen von Annette Kopetzki.
Carl Hanser Verlag, München 2008.
473 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446230132

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