Gegendarstellung

Zu Tom Cheesmans Artikel "Pseudopolitisch, pseudokorrekt: Ein deutscher Literaturskandal"

Von Norbert MecklenburgRSS-Newsfeed neuer Artikel von Norbert Mecklenburg

Tom Cheesman stellt in seiner Polemik gegen Kritiker, die höchst merkwürdige intertextuelle Beziehungen zwischen Feridun Zaimoglus Roman "Leyla" (2006) und Emine Sevgi Özdamars Roman "Das Leben ist eine Karawanserei" (1992) uneingeschüchtert unter die Lupe nehmen, über meinen Debattenbeitrag in "literaturkritik.de" (Juni 2006) eine Reihe von Behauptungen auf, die falsch oder irreführend sind und darum einer Richtigstellung bedürfen.

1. Cheesman behauptet, ich hätte eine "Plagiatsbeschuldigung" einer anonymen Germanistin übernommen. Das ist falsch. Richtig ist: Auch diese Kollegin erhebt, soweit darüber in der Presse berichtet wurde, keinen solchen Vorwurf; auch Özdamar tut das nicht und ich ebenfalls nicht. Die Anonymität hat, wie gleichfalls der Presse zu entnehmen war, wohl mit massivem Druck zu tun, den der Verlag beider Autoren, dem offenbar mehr an Zaimoglu als an Özdamar gelegen war, ausgeübt hat, vor allem mit der Drohgebärde eines Rechtsgutachtens gegen befürchtete öffentliche Plagiatsvorwürfe. Richtig ist: Ich habe nur aus der auffälligen und anders sehr schwer erklärbaren Art und Anzahl möglicher Anleihen Zaimoglus bei Özdamar die Vermutung abgeleitet, dass er sich bemüht haben könnte, sein dürftiges, pseudorealistisch-triviales Erzählen in diesem für ihn neuen Romanprojekt literarisch hier und da mit ein wenig geborgtem Glanz zu versehen. Genau das habe ich auch mit dem Märchen vom "Schmuck" (lat. ornatus) gemeint, das den Schluss meines Kommentars bildet.

2. Cheesman behauptet in seiner Polemik wiederholt, ich hätte "Leyla" gar nicht gelesen. Damit sagt er bewusst die Unwahrheit. Außer vielen anderen Textstellen aus "Leyla", die meine Lektüre belegen, kommentiere ich - sogar mit Seitenangabe (Seite 111) - einen Abschnitt, der dem Autor Zaimoglu nicht nur erzähltechnisch gänzlich daneben gegangen ist. Und die einzige Stelle, die diesem faden und peinlichen Softporno-Kapitel ein wenig Glanz gibt, ähnelt in Motiv und Struktur verblüffend einer Stelle in der "Karawanserei". Das verschweigt Cheesman bewusst und führt damit seine Leser in die Irre.

3. Cheesman behauptet, ich hätte als Zaimoglus Hauptproblem beim Schreiben von "Leyla" seinen Mangel an Verfügung über "vulgärorientalische Klischees" hingestellt. Das ist falsch. Richtig ist dagegen, dass ich von Mangel an literarischer Erzählkunst spreche, den er darum vielleicht auf krumme Weise zu beheben versucht hat.

4. Cheesman behauptet, bei einem meiner Beispiele für äußerst merkwürdige Parallelen - den Beschreibungen des Euphrat in beiden Romanen - hätte ich nicht beachtet, dass "verrückter Euphrat" eine traditionelle Redensart der Region ist. Richtig vielmehr ist: Genau das habe ich gerade gesagt. Ich habe sogar gesagt, dass auch Özdamar diese Wendung als bekannte Redensart anführt, während Zaimoglu sie als poetische Erfindung seiner Figur ausgibt. Nur habe ich dann gefragt, warum unter unzähligen weiteren Attributen des Flusses ausgerechnet die zwei bei Zaimoglu erscheinen, die auch Özdamar ausgewählt hat. Reiner Zufall? All das gibt doch zu denken und kann nicht einfach ignoriert werden!

5. Cheesman vermisst bei mir fälschlich Argumentation aufgrund von "genauem Stellenvergleich", wie es einem Philologen zukäme. Aber warum drückt er sich als Philologe dann selber um Erklärung oder auch nur Erwähnung einer von mir genannten Parallele, die besonders frappant ist: In beiden Romanen bringt das Kleinkind komischerweise als erstes Wort jeweils "Furz" beziehungsweise "Pups" hervor - bei Özdamar psychologisch glaubwürdig als Wort-Embryo ("Ossuk"), bei Zaimoglu unglaubwürdig elaboriert ("Pippipups"). Gemeinanatolisches Kulturgut, purer Zufall?

6. Cheesman behauptet, mein Kommentar sei nichts als eine wertlose "Hasstirade". Richtig ist, dass Wörter wie "ignorant", "Quatsch", "ganz, ganz Dämliche", "schlampig", "idiotisch" nicht von mir, sondern von ihm benutzt werden.

7. Cheesman unterstellt mir die Absicht einer germanistischen Interpretation der Personen und Ereignisse in "Leyla". Das ist falsch. Richtig ist, dass ich den öffentlichen Streit um die verdächtigen Parallelen zwischen beiden Büchern kritisch kommentieren, nicht jedoch eine Seminararbeit bei Prof. Cheesman schreiben wollte.

8. Cheesman behauptet, meine literaturkritischen Bemerkungen zu "Leyla" seien nicht in Lektüre begründet, sondern apodiktische Werturteile. Das ist falsch. Mein wichtigstes Werturteil, das ich auf jeder Seite des Romans belegt gefunden habe, scheint Cheesman sogar zu teilen. Denn was ich "Pseudorealismus" nenne, nennt er "Gothic": nämlich dass Zaimoglu trotz realistischem Anspruch "den Boden des Realistischen" zugunsten von karikaturhaften Klischees verlässt. Diese kritische Einschätzung von Zaimoglus Schreibstil wäre an seinem neuen und erneut hymnisch gelobten Roman "Liebesbrand" ihrerseits kritisch zu prüfen.

9. Cheesman behauptet gleich zu Beginn seiner Polemik seinerseits unüberbietbar apodiktisch, die vielen auffälligen punktuellen Parallelen zwischen beiden Büchern ließen sich allesamt aus einer gemeinsamen kulturellen Herkunft hinreichend erklären. Das ist falsch. Wie andere Kritiker habe auch ich darauf hingewiesen, dass es sich eben nicht nur um Parallelen des Stoffs, sondern auch der literarischen Bearbeitung handelt. Die jetzt allmählich zu diesem erklärungsbedürftigen Streitfall in Gang kommende literaturwissenschaftliche Forschung jedenfalls - ich nenne nur Margaret Littler, Maria E. Brunner, Yasemin Dayioglu-Yücel - weist teilweise deutlich in diese Richtung.

Abschließend möchte ich keine weitere der falschen Behauptungen C.s richtig stellen, sondern ihm nur eine Sorge ausreden: Meine "Methoden" sind gewiss nicht "typisch" für Literaturkritik und die Literaturwissenschaft in Deutschland, sondern nur für mich. Ich jedenfalls mache mir keine Sorgen um die Germanistik in Großbritannien.