Der Geist des Affen

Markus Wild philosophiert über Mensch und Tier

Von Walter WagnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Wagner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Philosophen stellen bekanntlich ernste Fragen an die menschliche Spezies. Dass sich ihr Erkenntnisinteresse auch auf das Tierreich erstreckt, erscheint erst auf den zweiten Blick selbstverständlich. Immerhin gerät das uralte Verhältnis von Mensch und Tier in Zeitläuften ökologischer Krise vermehrt in den Brennpunkt öffentlicher Debatten, zumal wenn ökonomische Interessen mit Fragen des Artenschutzes kollidieren, sodass die Notwendigkeit einer philosophischen Aufarbeitung des Themas außer Zweifel steht.

Tierphilosophie, wie sie in dieser Einführung verstanden wird, berührt ökologisch neuralgische Punkte in den von ihr diskutierten Problembereichen indes nur am Rande. Vielmehr handelt es sich hier um das mentale und soziale Vermögen von Tieren (Geist der Tiere), den Unterschied zwischen Mensch und Tier (anthropologische Differenz) und die moralischen Prämissen, die unser Verhältnis zur Fauna bestimmen (Tierethik). Die epistemologische Basis für tierphilosophische Erkundungen liefern neben philosophisch-philologischen Disziplinen die Naturwissenschaften, wodurch nicht nur die dialektische, sondern auch die empirische Verankerung der in diesem Band versammelten Ergebnisse gewährleistet wird. Behutsam nähert sich Wild den hochkomplexen Sachverhalten und versucht, diese mithilfe von Beispielen auch Nichtfachleuten plausibel darzustellen. Dabei konstatiert er selbstkritisch, dass die Tendenz, tierisches Wesen und Verhalten zu anthropomorphisieren, jeglichem 'Tierdiskurs' inhärent ist. Mit anderen Worten, wir beziehen uns stets auf die menschliche Erfahrungswelt, wenn wir über Tiere nachdenken. Indem wir Hunde, Katzen und so weiter in derlei Analogien einbinden, laufen wir naturgemäß Gefahr, Gefühle und Gedanken in Organismen zu projizieren, die möglicherweise nur von Instinkten, Trieben und Reizen gesteuert werden. Anderseits hängt unser Verständnis von Tieren ganz entscheidend davon ab, wie wir Denken und Bewusstsein definieren.

Um in dieser facettenreichen Problematik nicht die Übersicht zu verlieren, steckt Wild wohlweislich die theoretischen Grenzen seiner Tierphilosophie ab, die er auf sechs Thesen gründet. Frei nach Charles Darwins Evolutionslehre lautet die erste: Der Mensch ist so weit wie möglich als Tier zu betrachten. Die Tierphilosophie behauptet ferner, dass Tiere in einem bestimmten Ausmaß über 'Geist' beziehungsweise geistige Merkmale verfügen. In seiner dritten These knüpft Wild an das vorher Gesagte an und schließt Sprachfähigkeit als notwendige Bedingung des Denkens aus. Als Angehöriger des evolutionären Stammbaums hat der Mensch mithin schon als Tier eine kognitive 'Veranlagung', wobei die Sprache als distinktives Merkmal ihre Geltung verliert.

Von diesem Postulat lässt sich eine weitere These ableiten: Die Tierphilosophie operiert naturalistisch und erteilt dem Glauben an einen prinzipiellen Unterschied zwischen Mensch und Tier ("Differentialismus") eine Absage. Anhänger dieser Auffassung identifizieren stattdessen ein "Tieren und Menschen gemeinsames Geflecht geistiger Fähigkeiten". Die fünfte These betont den "Assimilationismus" der Tierphilosophie, womit im Gegensatz zum oben vorgeschlagenen Separationismus die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund rücken. In einer philosophischen Volte, die offensichtlich Gegensätze zu vereinen sucht, beharrt Wild indes in seiner sechsten und letzten These auf der anthropologischen Differenz. Etwas laienhaft formuliert heißt dies: Wir sind Tiere unter anderen und doch wieder nicht. Dergestalt argumentierend gibt er die Sonderstellung des Homo sapiens nicht preis und sichert zugleich die für das Überleben unserer Gattung grundlegenden 'Freiheiten', die jenen der Tiere zuwiderlaufen können. Einer Gleichstellung von menschlichen und tierlichen Interessen, wie sie radikale Tierschützer fordern, wird in diesem Konzept folglich kein Raum gegeben. Ungeachtet dieser Asymmetrie dürfen wir daraus allerdings nicht das Recht ableiten, willkürlich über Tiere zu verfügen.

Da ein Nachdenken über unsere 'Verwandten' im Tierreich ohne den Rekurs auf kulturgeschichtlich relevante Mythen und Theorien unvollständig bliebe, kommentiert der Autor kurz Aristoteles, Michel de Montaigne, René Descartes und Darwin in tierphilosophischer Hinsicht. Angesichts dieses historisch gewachsenen Substrats wird verständlich, warum Tiere einerseits noch immer als Maschinen und anderseits als die besseren Menschen betrachtet werden und basale Veränderungen auf dem Feld der Tierethik so langsam vonstatten gehen.

Gerade diesem heute so wichtigen Gebiet widmet sich der Autor bedauerlicherweise kaum. Zentral ist und bleibt für ihn hingegen die Frage nach dem Geist der Tiere, die ein Philosophieren über die anthropologische Differenz nach sich zieht. Um dem Verdacht der Voreingenommenheit zu entgehen, stellt Wild in diesem Zusammenhang zwei konträre Theorien vor. Zunächst beleuchtet er die differentialistische Position von Donald Davidson, der behauptet, dass es "keine ausreichende Grundlage dafür gibt, Tieren Gedanken oder Begriffe zuzuschreiben". Geistige Tätigkeiten sind seiner Ansicht nach essentiell an Überzeugungen gekoppelt, die sich über Verben wie denken, glauben, wünschen, hoffen oder befürchten artikulieren. Tiere verfügen über derlei Fähigkeiten nicht und bleiben als a-rationale Wesen so genannte "Diskriminierer" und "Reagierer". Wenn ein Hund also Bäume und Katzen unterscheiden kann, heißt das noch lange nicht, dass er sie als solche wahrnimmt beziehungsweise 'denkt'. Nur rationale Wesen wie der Mensch sind "Denker" und "Begreifer" und komplexer mentaler Prozesse fähig.

Im Gegensatz zu Davidson betonen Assimiliationisten wie Ruth Millikan und Fred Dretske, dass Tiere Inhalte nicht denken, sondern "repräsentieren", das heißt, sie erfassen bestimmte Objekte unter einem bestimmten Aspekt. Die beiden Philosophen halten daher auch rudimentäre mentale Operationen, wie sie Tiere vollziehen, für eine Form des Denkens. Insofern haben wir es bei einigen Vertretern aus dem Tierreich mit "bescheidenen, doch beachtlichen Denkern zu tun". Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass Tiere über ein "episodisches Gedächtnis" verfügen, das ihnen ermöglicht, sich an das Was, Wann und Wo von Ereignissen zu erinnern. Mit Hilfe dieser einfachen kognitiven Struktur gelingen ihnen (ähnlich wie dem Menschen) erstaunliche Lern- und Anpassungsleistungen, die zum Fortbestand ihrer Art beitragen.

Mit dem Mensch-Tier-Unterschied schließt Wild seinen philosophischen Aufriss ab und stellt zunächst Martin Heideggers Anthropologie vor, in der es heißt: "Der Mensch ist das Tier, das eine Welt hat." Gemäß den von ihm vorgeschlagenen Begriffen befindet sich der Mensch in einem Weltzusammenhang, den er als Um-zu-Struktur erfährt. Die Dinge, bei Heidegger "Zeug" genannt, sind mithin auf uns zugerichtet, das heißt, sie stehen uns als potenzielle Praktiken zur Verfügung. Tiere richten sich analog dazu in ihrer ökologischen Nische ein, gleichwohl bleiben sie laut Heidegger "weltarm".

Wild geht von dieser Prämisse aus, um die anthropologische Differenz an den Kulturfaktor zu binden. Wie zoologische und ethologische Forschungen belegen, stellen Tiere zwar 'Werkzeuge' her, kommunizieren mittels einer rudimentären 'Sprache' und legen sogar ein durchaus komplexes Sozialverhalten an den Tag, gleichwohl sind sie keine Kulturwesen. Biologisch gesehen unterscheiden sich Tiere nämlich durch den Mangel an einer Theorie des Geistes. Anders gesagt, sie können dem Verhalten anderer Lebewesen, insbesondere ihrer Artgenossen, keine Ziele und Absichten zuschreiben, was eine kumulative kulturelle Evolution verhindert.

Wie wir gesehen haben, arbeitet Wild mithilfe seines assimilationistisch-differentialistischen Ansatzes geschickt die Doppelnatur beziehungsweise Verwandtschaft von Mensch und Tier heraus, ohne dabei das Trennende aus dem Auge zu verlieren. Trotz aller Bemühungen, das spannungsreiche Verhältnis von Mensch und Tier beziehungsweise Kultur und Natur zu entschärfen, zu dem Bücher wie dieses beitragen könnten, müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass dieser tradierte Dualismus nicht nur unser Handeln, sondern auch unser Denken bestimmt. Daran ändert auch Wilds auf Versöhnung der Gegensätze zielende Beteuerung nichts: "Die in diesem Band skizzierte Tierphilosophie gibt den Gegensatz von Mensch und Tier auf andere Weise auf."

Die Wahrnehmung der Fauna als das Andere (wenngleich nicht ganz Andere) wird weiter bestehen, selbst wenn sich Theoretiker wie Wild darum bemühen, die Grenzen zu verschieben. Inwieweit die bisweilen an Spekulation grenzenden Erkenntnisse in ethisches Handeln und politische Praktik überführt werden können, bleibt offen. Als Denkanstöße und philosophische Referenzen müssen sie allerdings ernst genommen werden.


Titelbild

Markus Wild: Tierphilosophie zur Einführung.
Junius Verlag, Hamburg 2008.
232 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783885066514

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