Schottische Desaster

Stuart MacBrides brillante Fingerübung

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Schotte trinkt mächtig. Der Schotte trinkt morgens, mittags, nachmittags, abends; wenn er morgens nicht trinkt, dann nur deshalb, weil ihn sein Rausch vom Abend zuvor davon abhält. Dass er abends nicht trinkt, ist weder wahrscheinlich noch zu rechtfertigen. Der Schotte also trinkt. Und das tut er respektive sie wahrscheinlich mit Grund, denn auch die Schottin trinkt.

Logan McRae ist ein solcher Schotte, er ist Polizist, und im Vergleich zu seiner Lebensgefährtin Jackie wäre er geradezu abstinent, wenn ihn nicht seine Chefin Steel dauernd zum Trinken anhalten würde. Das Polizistenleben in Aberdeen ist hart und ohne zu trinken wohl nicht auszuhalten. Fragt sich nur, wie es diese Schottinnen und Schotten im Dauerrausch nur aushalten und wie sie in der Lage sind, zum Beispiel irgendwelche Verbrechen aufzuklären oder solch nette und kurzweilige Bücher zu schreiben wie Stuart MacBride.

Dabei sind die Fälle, um die es geht, beinahe schon Nebensache, auch wenn sie das alles am Laufen halten und über die gut 500 Seiten tragen, die dieses Buch lang ist. Im Wesentlichen sind es drei Fälle: Da gibt es etwa einen jungen Mann, Schauspieler, Pornodarsteller und Callboy, der offensichtlich beim Extremsex mit einem Riesendildo zu Tode kommt (zerrissener Enddarm, nicht schön). Da sind diese jungen Frauen, die von einem Vergewaltiger angefallen, missbraucht und schwer misshandelt werden. Schließlich bringt ein Achtjähriger, der bis vor kurzem noch unauffällig und freundlich war, einen Rentner um, der ihm und seinen gleichfalls kindlichen Kumpanen bei einem Raub im Weg steht. Im einen Fall recherchieren Logan McRae und seine Kollegen in der Aberdeener SadoMaso-Szene - deren Erkennungssignal im Übrigen ein Roman des schottischen Krimiautors Ian Rankin ist. Pikant daran ist, dass einer der jüngeren Kollegen zur Szene gehört und sich - als das bei den Kollegen rumgeht - so manchen dummen Scherz anhören muss (muss am Alkohol liegen). Im anderen Fall wird der Stürmerstar des örtlichen Fußballteams verdächtigt, der Täter zu sein. Er wird sogar bei einem Überfall gefasst, kommt aber aufgrund seines arg gerissenen Anwalts frei. Der Junge wird einigermaßen schnell eingefangen, offen bleibt nur der Hintergrund seiner verhängnisvollen Wandlung, die etwa ein halbes Jahr zurückliegt. Das alles macht aber nur einen Bruchteil des Romans MacBrides aus. Der Rest wird von den spärlichen Fortschritten vorangetrieben, die in den Fällen gemacht werden, bis sie sich am Ende doch ihrer Auflösung zuneigen.

Allerdings wird dieser langsame, teils zufällige Fortgang der Ermittlung nie langweilig oder gezwungen. Die Ermittlungen laufen meist ins Leere, der Junge entwischt der Polizei zunächst, der vergewaltigende Fußballstar kann sein Betätigungsfeld erfolgreich verlagern, dem toten Pornostar weint niemand wirklich nach, nicht einmal die Polizei.

Stattdessen sind es die vielen kleinen Details des schottischen Polizistenlebens, die das Buch beleben. Steel ist lautstark lesbisch, raucht wie ein Schlot und meidet jede körperliche Betätigung jenseits von Sex, wie sie auch die Arbeit meidet wie der Teufel das Weihwasser. Insch, der zweite Inspector, dem Logan zugeordnet ist, wiegt mindestens 80 Kilo zuviel und frisst sich durch Maoams und andere Süßigkeiten. Alle Inspectors sind chronisch schlecht gelaunt und hetzen ihre untergeordneten Kollegen von einem Fall zu nächsten, immer fordernd, immer grantelnd, mit der Presse und den Rechtsanwälten hadernd, und stets mit einem Fluch auf den Lippen.

Das Leben ist nicht schön im fernen Aberdeen. Besonders nicht Logans Leben, muss er doch annehmen, das ihm seine Freundin fremd geht. Ganze Nächte ist sie weg, meist mit einem Kollegen. Wer käme da nicht auf dumme Gedanken?

Auch hetzt die Presse unablässig gegen die Polizei und ihre Arbeit - zweifelsohne zurecht, bei all den Fehlern, die Logan und seinen Kollegen unterlaufen, bei den Vorurteilen, die sie hegen, und den vielen Bieren, die sie trinken. Wer würde da noch Erfolge vermuten?

So ist es dann auch keine systematische Ermittlung, die schließlich zu den Erfolgen führt, das heißt zur Entlarvung der wahren Täter, sondern oft Zufall. Eine DVD, die bei einer Razzia entdeckt wird. Ein Exhibitionist, der - nach einem anderen Fall befragt - auf einmal eine Vergewaltigung gesteht. Und so weiter. Nichts wird ans Tageslicht geholt, weil die Ermittler einen geregelten Weg gegangen wären. Sie wanken von einem Fall zum nächsten, fragen hier, suchen dort, und finden immer etwas, nur meist nicht das, was sie suchen. Hätte man es nicht mit einem Stück Fiktion zu tun, würden sich Sätze anbieten, die in Richtung Sittenbild der Aberdeener Polizei und sonstigen Verhältnisse ausgerichtet sind. Aber das verbietet sich hier. Ob Schotten also wirklich so viel trinken? Wer weiß das schon. Wenn es so zugeht wie in Mac Brides Roman, hätten sie allerdings jeden Grund dazu.


Titelbild

Stuart MacBride: Der erste Tropfen Blut. Ein Fall für Detective Logan McRae.
Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Jäger.
Goldmann Verlag, München 2008.
508 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783442465743

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