Wenn Schubert in der Dunkelheit kichert

Amos Oz erzählt von der Einsamkeit des Schriftstellers

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eigentlich soll er gleich lesen, im Kulturzentrum Schunja Schor. Aber der Schriftsteller kommt immer zu früh und setzt sich noch in ein Café, um sich vorzubereiten. Auf die Lesung, vor allem auf die Fragen aus dem Publikum, die ja doch immer dieselben sind: "Warum schreiben Sie? Warum gerade in dieser Weise? Wollen Sie Ihre Leser verändern, und wenn ja - in welchem Sinne?" Und so weiter. Und die Antworten sind auch immer dieselben, manchmal ausweichend, manchmal ehrlich, manchmal witzig, manchmal ernst.

Im Café aber sieht er die Bedienung und ist fasziniert von einer leichten Asymmetrie, mit der sich ihr Slip abzeichnet. Und er belauscht die beiden alten Männer, die sich unterhalten. Und dann beginnt er, sich Namen und Geschichten auszudenken: Die Kellnerin nennt er Riki. "Als sie gerade sechzehn war, verliebte sie sich in den Ersatztorwart von Bnei-Jehuda, Charlie, der an einem Regentag in seinem Lancia vor dem Schönheitssalon auftauchte, in dem sie arbeitete, und sie zu einem Dreitage-Trip in ein Hotel nach Eilat entführte." Das Verhältnis dauerte nur eine Woche, aber noch heute denkt sie manchmal an Charlie zurück, "acht Jahre und vier Männer später". Und die beiden Männer nennt er Herr Leon und Schlomo Chugi. Und auch über sie phantasiert er, denkt sich ein Leben für sie aus, ihre Beziehung untereinander, ihre Probleme. Während der Lesung macht er dasselbe mit den Zuhörern und den Podiumsmitgliedern, ja, er denkt sich sogar einen One-Night-Stand mit der Frau aus, die aus seinen Büchern vorliest. Mit allen Details, mit allen Zögerlichkeiten und Begehrlichkeiten, mit seinem Versagen und ihrem Bemühen. Dabei hat er sie doch nur nach Hause begleitet, den Arm um sie gelegt und ihr seltsame Geschichten erzählt von einem Haus, das hier um die Ecke stand.

Amos Oz, der dieses Jahr für seine literarische Kreativität, seine politische Sensibilität und sein humanistisches Engagement den Heinrich-Heine-Preis bekommt, lässt den Leser mit seinem neuen Buch "Verse auf Leben und Tod" in die Werkstatt des Schriftstellers blicken. Es scheint ein einsames Leben zu sein, denn immer steht der Autor neben den Menschen, immer beobachtet er, denkt sich etwas aus, formuliert was er sieht und was er denkt. Alles, das ganze Leben, ist nur noch Material für seine Phantasie, nie ist er selbst richtig beteiligt. Zwar nähert er sich der Vorleserin, aber es wäre dann doch nur eine kurze Affäre gewesen, und den letzten Schritt wagt er auch nicht. Und die Menschen, die er beobachtet, werden geprägt von seinen Gedanken über sie. Es ist, als hätten sie kein eigenes Leben mehr, wären nur noch Folie für den Schriftsteller, wären als eigenständige Personen gar nicht vorhanden. Das sagt er sogar selbst: "Schämen müsste er sich, denn er betrachtet alle nur von Weitem, von der Seite, als würden alle nur existieren, um in seinen Geschichten aufzutauchen. Und diese Scham geht einher mit einer abgrundtiefen Trauer über seine ewige Fremdheit, über seine Unfähigkeit, zu berühren und berührt zu werden, darüber, dass sein Kopf sein Leben lang unter dem schwarzen Tuch der alten Kamera steckt. Wie Lots Frau: Um schreiben zu können, muss man zurückschauen. Und dieser Blick verwandelt einen selbst und die anderen in Salzsäulen. Die Welt so zu beschreiben wie sie ist, zu versuchen, einen Farbton oder einen Geruch oder ein Geräusch in Worte zu fassen, bedeutet, Schubert zu spielen, während Schubert anwesend ist und vielleicht in der Dunkelheit kichert."

Erstaunlich ist die überbordende Phantasie, die Amos Oz in seinem neuesten Buch beweist. Dennoch scheint es, verglichen mit seinen anderen, engagierteren Büchern, doch nur eine kleine Fingerübung zu sein, die, hat man das Strickmuster einmal erkannt, dann auch schnell langweilig wird. Es sind eben diesmal keine "Verse auf Leben und Tod".


Titelbild

Amos Oz: Verse auf Leben und Tod.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Miriam Pressler.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2008.
150 Seiten, 16,80 EUR.
ISBN-13: 9783518419656

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