Parallelwelten

Silke Scheuermanns Lyrikband "Über Nacht wird es Winter"

Von Andreas HuttRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hutt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silke Scheuermanns Gedichte leben von einer Sprache, die über weite Strecken hinweg die Eleganz einer attraktiven, urbanen Mittdreißigerin besitzt. ("Morgen schon muss ich gehn ... volljährig energetisch mit meiner geheimen Reserve Tier in mir" heißt es da, oder "dass es die Hölle nicht gibt doch ihr extrem ähnliche Räume"). In einem Interview anlässlich der Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt 2007 sagte sie, dass sie es interessant finde, wenn Gedichte einen Plot besäßen. Dieses Interesse am Narrativen in der Lyrik ist auch in "Über Nacht wird es Winter" zu bemerken. Manchmal stellt Scheuermann ihren Hang zum Erzählen über das Gebot der Verdichtung, indem sie Füllwörter verwendet ("Auch noch im Beichtstuhl") oder zu detailreich schildert ("direkt vor dem Kaninchen links im Bild"). Manche ihre Formulierungen wirken etwas gezwungen ("ich achte auf Zimmers Krisen / schon lange nicht mehr"). Man hat den Eindruck, dass ihre Gedichte laut gelesen sein wollen, dass eine große Stärke von ihnen im Klang liegt, - ja, dass sie vordringlich auf klangliche Elemente hingearbeitet sind.

Ihre Themen entlehnt Silke Scheuermann häufig der Märchenwelt oder der Mythologie. In "Der Wolf oder die Wege kreuzen sich diesmal im Stadtpark" wird zum Beispiel das Werwolf-Motiv aufgegriffen, in "Haushalt der Hexe" rekurriert Scheuermann auf das Hänsel-und-Gretel-Thema und das "Lied von den geretteten Tieren die nicht mehr vom Schiff wollten" spielt auf das Alte Testament an.

In "Haushalt der Hexe" gelingt es ihr, das Hänsel-und-Gretel-Sujet aus der Sicht eines Gefangenen der Hexe einfühlsam zu gestalten ("Hexe die Welt / die du dir immer gewünscht hast / ist winterlich Wie in Ekstase / Die Wälder in weiß flüstern die Worte / die du für sie ausgesucht hast").

Überhaupt sind Scheuermanns Texte immer dann überzeugend, wenn die Autorin emphatisch wird. In einigen Gedichten wirkt das mythologische, märchenhafte Thema nicht voll ausgereizt, zum Beispiel schildert das lyrische Ich im "Lied von den geretteten Tieren...", wie sein Segel-Turn von der Arche Noah verfolgt wird. Abschließend stellt es fest, dass die Löwen seiner Ansicht nach beim Ankern im Hafen das Land zuerst betreten werden. Die Frage bleibt, ob man aus dieser Idee nicht mehr hätte machen können.

Daneben enthält "Über Nacht ist es Winter" auch Texte, die sich thematisch stärker an unserem Alltag orientieren, oft Beziehungen zum Thema haben, in denen sich ein lyrisches Ich an ein lyrisches Du wendet oder mit ihm zu einem lyrischen Wir verschmilzt. Im "Mysterium kleiner Veranstaltungen" wird der Besuch eines Kinos kulturell überhöht, indem er mit dem eigenen Lebensfilm verglichen wird. Die "Existenz benachbarter Welten" verknüpft den Besuch eines Paares im Planetarium mit dem Geständnis des Mannes, dass es in seinem Leben noch eine andere Frau gebe. In diesen "Alltagsgedichten" schafft es Silke Scheuermann, Welthaltigkeit und Welterfahrung zu transportieren und oft gegen Ende des Gedichtes noch einmal überraschende Wendungen zu finden.

So ästhetisch gelungen einige Passagen in "Über Nacht ist es Winter" in sprachlicher Hinsicht sind, so sehr schenkt Silke Scheuermann Formalia zu wenig Aufmerksamkeit. Die Zeilenumbrüche wirken willkürlich, ohne der Verbindung von Form und Inhalt Rechnung zu tragen ("Mein Halt im Boden war beinah / vergessen Ich beugte / mich tief Spöttisch/ inspizierte der Sturm"). Die Überschriften treffen selten den Kern des Gedichtinhaltes oder tragen dazu bei, dem Gedicht einen neuen Aspekt hinzuzufügen ("Die Katze will noch in dieses Kapitel"). Auch die Bildebene ist nicht immer stimmig ("Sie [die Fernsehköche, A.H.] hissen ihre Rezepte / abends wie Flaggen / und breiten sich danach zum Schlafen drauf aus").

Festzuhalten ist, dass sich Silke Scheuermann in "Über Nacht wird es Winter" als gute Stilistin und eine große Emphatikerin zeigt. Eine wirklich große Lyrikerin in dem Sinne, dass sie die Möglichkeiten der Form optimal nutzt, ist sie allerdings nicht.


Titelbild

Silke Scheuermann: Über Nacht wird es Winter. Gedichte.
Schöffling Verlag, Frankfurt a. M. 2007.
96 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783895613722

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