Instinkt für Publikumsgeschmack

Nicole Nottelmann untersucht die Karrieren der Vicki Baum

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ihr Verleger Joseph Caspar Witsch schätzte die "Solidität ihrer Arbeit", war jedoch "weit davon entfernt, ihre Bücher für Beiträge der großen Literatur zu halten". Die "Unterhaltungsschriftstellerin" Vicki Baum (1888-1960) wird mit ihrem Werk der Neuen Sachlichkeit, einer Strömung der Frühen Moderne (1890 bis 1930), zugerechnet, in der bedeutende Zeitromane von Autoren wie Hans Fallada, Lion Feuchtwanger, Erich Kästner oder Alfred Döblin entstanden sind. Ein "Kolportageroman mit Hintergründen" erschien 1929 unter dem Titel "Menschen im Hotel" und begründete ihren Weltruhm - dank auch der Verfilmung durch Edmond Goulding (USA, 1932) mit Filmstars wie Greta Garbo und Joan Crawford. Seit 1931 lebte die gebürtige Wienerin in den USA (und schrieb schon bald auf Englisch), wo sie 1935 unter anderem ihren Roman "Career" ("Die Karriere der Doris Hart", erschienen 1936) beendete. Franz Carl Weiskopf, Feuilletonredakteur des "Berlin am Morgen", lobte ihre "Fertigkeit im Schürzen der ,Intrigue', im Mischen von Ironie und Rührung, in der Verwendung sozialer, kriminalistischer und erotischer Spannungselemente".

Der Erfolg der Autorin erklärt sich aus der Qualität der Bücher und aus der Praxis der Kulturindustrie, die hier in ihrer ganzen Leistungsfähigkeit sichtbar wird. Die Biografie der Journalistin und Germanistin Nicole Nottelmann, Jahrgang 1967, leistet dabei vor allem eines: Sie macht sichtbar, wie die großen Verlagskonzerne der Weimarer Republik die Autorin und ihre Produkte zur Markenreife führten. Das Ullstein-Kapitel etwa führt in das Zentrum einer "hocheffiziente[n] Maschinerie" der "experimentierfreudigen" zwanziger Jahre und demonstriert, wie der Konzern für Vicki Baum ein eigenes Marketingkonzept entwickelte. Der Erfolg ihrer Zeitromane dürfte aber auch darin zu suchen sein, dass hier eine epochale Denkstruktur der Moderne besonders plastisch herausgearbeitet wird, nämlich der neue Lebensbegriff mit seiner Weg-Ziel-Metaphorik, der Idee des "Lebenswechsels" (innerhalb des biologischen Lebens) und der Lebenskrise, die zur emotionalen Mobilisierung und Intensivierung des Subjekts führt, aber auch zur epochentypischen Erfahrung der Kälte und des (metaphorischen) Todes beiträgt. Damit freilich ist Nicole Nottelmann nicht vertraut.

Die Verfasserin, die auch über Baum promovierte ("Strategien des Erfolgs", 2002), beschwört zwar die "Erfolgsformel" ihres Werkes, vermag deren "Schemata" aber nicht recht deutlich zu machen: "Vom heutigen Standpunkt aus betrachtet, ist der neue Roman purer Pop, kühl kalkuliert, auf den Erfolg hin geschrieben, aber immer höchst originell: Nichts ist eindeutig, alles wird in der Schwebe gehalten. So fühlt sich fast jeder Leser, egal welcher Provenienz, angesprochen. Stud. chem. Helene Willfüer benutzt Klischees und bestimmte Vorstellungen und Erwartungen des Lesers, um sie kalkuliert zu brechen und dann letztlich doch wieder zu bestätigen."

Werkanalysen wie diese sind nur scheinbar griffig, tendieren zur Inhaltsparaphrase ("Vicki Baums Romanheldin Helene Willfüer bricht gleich mehrere Tabus. Sie hat vorehelichen Sex, sie wird ungewollt schwanger, sie sucht einen dubiosen Abtreibungsarzt auf, und sie bringt ein uneheliches Kind zur Welt.") und bemühen leerformelhaft die Terminologie der Literaturkritik ("Klischees", "kalkuliert") und der Literaturgeschichtsschreibung: Da ist von einem "nüchternen, reportagehaft-,neusachlichen' Stil" die Rede, der sich "erzähltechnisch und inhaltlich an die veränderte Wahrnehmung eines Publikums" angepasst habe, das "an Filmen, Revuen, Operetten und Schlagern geschult" sei, aber "nicht mehr unbedingt am Kanon der klassischen Literatur". Viel Spekulation (und ein wenig Hausfrauenpsychologie) soll(en) den Erfolg beim Leser plausibilisieren helfen: "Der Roman wirkte auch deshalb so glaubwürdig, weil sich in den Kernaussagen des Buches ihre eigenen Überzeugungen widerspiegelten - und genau darauf baute die Ullstein-Kampagne nun auf, Vicki Baum und ihre Ansichten bekannter zu machen. Noch bevor der Roman erschien, präsentierte sich die Autorin in verschiedenen Ullstein-Medien als zielorientierte Frau, pragmatisch und zäh, wie Helene Willfüer im Roman."

Die simple Formel, der zufolge ein Werk "deshalb so glaubwürdig" sei, "weil es starke autobiographische Parallelen zu Vicki Baums eigener Vita" aufweise, mag überzeugend finden, wer will. Die Stärken dieser Biografie liegen eher im Faktischen und weniger im Interpretatorischen - und das ist immerhin auch eine respektable Leistung.


Titelbild

Nicole Nottelmann: Die Karriere der Vicki Baum. Eine Biographie.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2007.
442 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783462037661

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