Vitiös

Franziska Schößlers wenig überzeugende Einführung in die Gender Studies

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit geraumer Zeit werden wissenschaftliche Bibliotheken in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen immer wieder um neue Einführungen zu feministischen Theorien und den Gender Studies bereichert. Angesichts deren Vielzahl dürften sich manche inzwischen die Frage stellen, ob es wirklich sinnvoll ist, ihnen weitere hinzuzugesellen.

Sie ist eindeutig zu bejahen. Denn wie jede lebendige Wissenschaft befinden sich feministische Theorien und die Gender Studies in einem ständigen Wandlungs- und Entwicklungsprozess und gerade als noch relativ junge Forschungsgebiete zudem in einem Prozess der Entfaltung und Vervielfältigung, auch wenn sie das Stadium embryonaler Zellteilung längst hinter sich gelassen haben.

Heißt das nun aber, dass eine jede neue Einführung zu begrüßen ist? Mitnichten. Da spielt deren Qualität die entscheidende Rolle. Und die ist bei der nun von der an der Uni Trier tätigen Literaturwissenschaftlerin Franziska Schößler verfassten und in der Reihe "Studienbuch Literaturwissenschaft" des Akademie Verlags erschienenen "Einführung in die Gender Studies" eher durchwachsen. Das beginnt schon mit ihrer einleitenden Definition der Gender Studies als "Wissenschaft [...], die sich ausdrücklich mit dem 'Rätsel' Weiblichkeit (als männliche Projektion) beschäftigt", die somit kaum mehr wären als die altbekannte Frauenforschung unter neuem gängigen Etikett.

Irrtümer und gelegentliche Fehler sind in keinem Text zu vermeiden. In Einführungen wiegen sie allerdings besonders schwer, richtet sich diese Textgattung doch an ein Publikum, das sich gerade erst mit einem Thema vertraut machen möchte und daher noch keinen an Vorwissen geschärften kritischen Blick besitzt. Schößlers Einführung aber erweist sich bereits auf den ersten Seiten fast schon als sprudelnde Fehlerquelle. So wird eine Schautafel zwar mit dem Titel "Feminismus und Gender Studies im Vergleich" versehen, vergleicht tatsächlich jedoch "Frauenforschung" und "Genderforschung". Ist diese Synonymisierung von Feminismus und Frauenforschung hier und Gender Studies und Geschlechterforschung dort schon bedenklich genug, so setzen sich die Ungereimtheiten in den Rubriken der Schautafel fort.

Unter der Spalte "Prämissen der Frauenforschung" erfahren die Lesenden einerseits, die "natürliche Geschlechterdifferenz" sei deren "Ausgangsbasis" (was im Übrigen zwar auf die historische Frauenforschung der 1970er-Jahre im Großen und Ganzen zutrifft, heute jedoch längst schon nicht mehr), bekommen aber andererseits mitgeteilt, die "Geschlechterdifferenz" sei "Ergebnis des Patriarchats und der Sozialisation". Dass zwischen beiden Behauptungen mehr als nur ein Spannungsverhältnis besteht, scheint der Autorin entgangen zu sein.

Der Umstand, dass Schößler diese Abbildung aus einer anderen Publikation übernommen hat, macht die Sache nicht besser, da sie die Schautafel mit den Worten erläutert: "Der Feminismus konzentriert sich eher auf (unterdrückte) Weiblichkeit, wobei Geschlecht tendenziell als invariable Natur betrachtet wird, und er geht von einer weiblichen Identität aller Frauen aus." Auch das trifft schon lange nicht mehr zu, und selbst die FeministInnen, die sich schon vor gut hundert Jahren als radikaler Flügel der Frauenbewegung um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann scharten, hätten sich in dieser Beschreibung nur mit Einschränkungen wiedererkannt.

Auch dass die Gender Studies im Unterschied zum Feminismus den Fokus auf das soziale Geschlecht legen, ist eine Verkürzung, gilt ihnen doch je nach dem von der Forscherin vertretenen Ansatz Geschlecht als sozial, diskursiv, performativ und/oder kulturell konstruiert. Dass sich die Gender Studies mit Geschlecht als sozialer Konstruktion befassen, begründet Schößler wiederum damit, dass es "vor allem kulturelle Akte [sind], die einen Mann zum Mann (eine Frau zur Frau) machen". Das ist nur dann schlüssig, wenn die Begriffe "kulturell" und "sozial" synonym verstanden werden oder der erste Begriff ganz in den zweiten fällt. Bei einer bloß gemeinsamen Schnittmenge beider Begriffe, wäre Schößlers Begründung schon nicht mehr ganz so einleuchtend. Ebenso wenig, wenn der Begriff des sozialen in den des kulturellen fallen würde.

Zu der mangelnden Differenzierung zwischen "sozial", "kulturell" und "performativ" passt, dass Judith Butler der Autorin zufolge "das anatomische Geschlecht (Sex) zu einer sozialen Konstruktion erklärt" hat. Das trifft mitnichten zu. Wie man weiß, hat Butler auf die diskursive Konstruiertheit von Geschlecht aufmerksam gemacht. Und um - wie Schößler es noch im gleichen Absatz tut - behaupten zu können, die Naturwissenschaften würden einen "ungebrochenen Objektivitätsanspruch" erheben, muss man schon ein gutes Jahrhundert Wissenschaftsgeschichte ausblenden. (vgl. literaturkritik.de 3/2008)

Ebenso unzutreffend ist, "dass der (amerikanische) Feminismus ausschließlich auf die weiße intellektuelle Mittelstandsfrau zugeschnitten ist". In der von Schößler behaupteten Ausschließlichkeit trifft das weder auf die Anfänge des amerikanischen Feminismus zu, dessen AnhängerInnen im 19. Jahrhundert zu den VorreiterInnen der Antisklavenbewegung zählten, noch auf den in zahlreiche Theorien und Bewegungen aufgefächerten Feminismus des ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts.

Nicht nur Schößlers Versuche, Forschungsinhalte und Ziele feministischer Theorie und Gender Studies in wenigen Worten auf den Punkt zu bringen, erweisen sich als mangelhaft, sondern auch ihre Kurzdefinition der Queer Studies, die sich der Autorin zufolge ihrem Namen "entsprechend mit queerem, das heißt schrägem, 'quer' zur Norm stehendem Begehren" befassen. Eine Definition, welche die immer lauter werdende Kritik deutschsprachiger queer-TheoretikerInnen an der Übertragung des englischen Begriffs queer in das deutsche Wort "quer" verschweigt.

Begriffsbestimmungen dienen im Allgemeinen dazu, das Verständnis eines Textes zu erleichtern. Doch wenn Schößler schreibt: "Der Gegenbegriff zu 'Gender' ist 'Sex', der das anatomische Geschlecht bezeichnet und mit Gender identisch sein kann, aber nicht muss" - dann erhellt das wenig.

Was ist gemeint? Ein bestimmter Begriff ist der Gegenbegriff zu einem anderen und kann zugleich mit dem von diesem bezeichneten identisch sein? So steht es zumindest da. Oder sollte gemeint sein, dass Personen, die anatomisch einem bestimmten Geschlecht zugeordnet werden, zwar ein Rollenverhalten an den Tag legen können, das diesem Geschlecht zugeschrieben wird. Dies aber nicht notwendig so sein muss und sie sich auch der von einem anderen Geschlecht erwarteten Rolle gemäß verhalten können. Dass die Autorin eben dies sagen wollte, legt der anschließende Satz nahe: "Eine Frau in anatomischer Hinsicht kann auf sozialer Ebene als Frau erscheinen, jedoch auch männliche Rollenangebote für sich in Anspruch nehmen." Zwar ist auch dies nicht ganz sauber formuliert, aber man kann immerhin ahnen, was gemeint ist.

Zu solchen Mängeln treten argumentative Schwächen, so etwa wenn das - um mit Kant zu sprechen - problematische Urteil: "Die feministischen Theorien sowie die Gender Studies gehen davon aus, dass alle gesellschaftlich-kulturellen Akte [...] aus der Geschlechter-Perspektive betrachtet werden [können]", die Autorin zu dem assertorischen Schluss "Die Kategorie Geschlecht gilt mithin als universal und als Fundament jeglichen Wissens" führt. Denn dass etwas unter einer bestimmten Perspektive ins Auge gefasst werden kann, heißt noch lange nicht, dass diese Perspektive tatsächlich oder gar notwendig das Fundament des Wissens über dieses Etwas ist.

Ein weiteres Beispiel: Nachdem Schößler zurecht konstatiert hat, dass die Gender Studies den "Objektivitätsanspruch von Wissenschaft" hinterfragen und darauf hinweisen, "dass auch das akademische Wissen Teil der geltenden Machtordnung ist und herrschende Tabus reproduziert", erklärt sie, "[w]as trotz dieser Relativierung Wissenschaftlichkeit garantiert, ist das Nachdenken über eigene Interessen und die Parteilichkeit, das die Gender Studies zu ihrem Programm gemacht haben."

Nun mag dieses Nachdenken - je nach dem, wie man Wissenschaftlichkeit definiert - zwar eine notwendige Bedingung für Wissenschaftlichkeit sein. Sicher ist es aber keine hinreichende, kann sie also schwerlich garantieren. Könnte dieses Nachdenken doch etwa auch zu dem Entschluss führen, Nützlichkeit den Vorrang vor Redlichkeit zu geben. Es hilft auch wenig, dieses Nachdenken an Parteilichkeit zu binden. Denn dass letztere keine Wissenschaftlichkeit garantiert, dürfte die Wissenschaftsgeschichte, etwa die des Wissenschaftlichen Sozialismus, hinlänglich gezeigt haben.

All diese Fragwürdigkeiten und Mängel drängen sich auf den gerade mal zehn Seiten des ersten Kapitels "Was sind Gender Studies?". Nach deren Lektüre könnte man also getrost zu einem anderen Buch greifen, von dem man sich mehr verspricht. Auch der Rezensent hätte das getan, wäre er es seinen LeserInnen nicht ebenso wie der Autorin des zu besprechenden Buches schuldig, die Lektüre zu Ende zu bringen.

Schößlers Buch widmet sich zwar fast ausschließlich der "kulturwissenschaftliche[n] Literaturwissenschaft", mithin dem Fachgebiet der Autorin, stellt im abschließenden der vierzehn Kapitel jedoch auch kurz die "Gender-Orientierung in den Naturwissenschaften" vor. Nach dem einleitenden Abschnitt gliedert sich das Buch in zwei oder drei als solche nicht ausgewiesene Hauptteile. Der erste umfasst sechs Kapitel und zeichnet die Entwicklung der Frauen- und Geschlechterforschung nach, von den ersten anthropologischen Überlegungen zum Geschlechtscharakter um 1800 über die Weiblichkeitsklischees im Fin de Siècle mit besonderem Blick auf den "'Chefdenker' der Geschlechterdifferenz im 20. Jahrhundert" Sigmund Freud und auf Otto Weiningers Schrift "Geschlecht und Charakter", über die feministischen Pionierinnen Virginia Woolf und Simone de Beauvoir bis hin zum akademischen Flügel des neuen Feminismus der frauenbewegten 1970er-Jahre, den Theoretikerinnen der Écriture feminine in Frankreich und des dekonstruktiven Feminismus von Judith Butler und ihrem Buch "Das Unbehagen der Geschlechter", in dem Schößer nicht zu unrecht den "Gründungstext der deutschsprachigen Gender Studies" erkennt.

Ein Kapitel zu den Queer Studies bildet den Übergang vom historischen Teil zu den beiden folgenden, die sich mit aktuellen Ausformungen und Spezialisierungen der Gender Studies, wie etwas den Men's Studies, und mit den Gender Studies in bestimmten Wissenschaftsgebieten (Film Studies, Narratologie, Kanonbildung, Genretheorie, Wissenschaftskritik) sowie angrenzenden beziehungsweise konkurrierenden Forschungen wie den Postcolonial Studies befassen. Den Cultural Studies ist erstaunlicherweise kein eigener Abschnitt gewidmet. Sie werden nur eingangs des Kapitels über die Beziehungen zu den Film Studies erwähnt.

Nach dem ersten Kapitel fasst die Autorin durchaus besser Schritt, auch wenn immer noch das eine oder andere etwas holzschnittartig gerät, wie etwa die Feststellung, es "gelten auch heute noch Forschungsgegenstände wie Körper, Geschlecht und Sexualität geradezu als anrüchig in einer Wissenschaftslandschaft, die sich dem reinen Geist verschrieben hat."

Auch schleicht sich weiterhin immer mal wieder ein Fehler ein. So kann der Königsberger Bürgermeister und Tischgenosse Immanuel Kants Theodor Gottlieb Hippel bei der Abfassung seiner Schrift "Ueber die bürgerliche Verbesserung der Weiber" schwerlich "im Zusammenhang mit der Französischen Revolution über die Emanzipation von Frauen nachgedacht" haben, denn sie erschien bereits 1782. Und Felix Saltens Buch "Josefine Mutzenbacher" ist keine "Hetärenbiographie", sondern ein Prostituiertenroman - genauer gesagt eine pornografische Männerfantasie.

Auch ein weiterer fragwürdiger Syllogismus bleibt zu konstatieren. Er unterläuft Schößler im Abschnitt über die Postcolonial Studies. "Weiße Frauen", erklärt sie, seien "Opfer und Täterinnen zugleich, denn sie können sich über einen rassisierten Anderen stellen." Wie bereits im ersten Kapitel knüpft die Autorin auch hier ein assertorisches Urteil an ein problematisches. Formallogisch wäre das nur korrekt wenn der Minor des Syllogismus problematische Behauptungen apodiktisch an assertorische binden würde, in dem Sinne, dass, was möglich ist, notwendigerweise auch wirklich ist.

Ob die zentralen Aussagen des Abschnitts über die Postcolonial Studies unter Gender-ForscherInnen und FeministInnen auf allgemeine Zustimmung hoffen dürfen, darf bezweifelt werden. So stuft die Behauptung, Sexismus sei "eine, wenn nicht die Strategie rassistischer Macht" diesen - zumindest tendenziell zum Nebenwiderspruch gegenüber dem Hauptwiderspruch des Rassismus herab, beziehungsweise erklärt ihn zum bloßen Mittel des rassistischen Ziels.

Überhaupt hätten die Postcolonial Studies gerne ein wenig kritischer in Augenschein genommen werden dürfen. Gleiches gilt für die Men's Studies. So weist Schößler nur en passant auf die maskulinistische Tendenzen hin, die sich innerhalb dieses Forschungszweiges beziehungsweise in der Männlichkeitsforschung breit machen. Und ihre Erklärung, sie seien eine Reaktion darauf, "dass Männlichkeit meist im Zeichen der Krise wahrgenommen und beschrieben wird", kommt einer Exkulpation bedenklich nahe.

Jedes der vierzehn Kapitel des Buches endet mit "Fragen und Anregungen" zur Überprüfung des Erlernten sowie mit kommentierten "Lektüreempfehlungen". Ein Serviceteil mit kommentierter Bibliografie und einer Auflistung von einschlägigen deutschen Forschungseinrichtungen sowie ein Anhang mit Personenverzeichnis und Glossar beschließen den Band.


Titelbild

Franziska Schößler: Einführung in die Gender Studies.
Akademie Verlag, Berlin 2008.
232 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783050044040

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